Lange waren Autorenfilme aus Afrika meist schnörkellos realistisch gehalten. Schon aus finanziellen Gründen: Sie wurden mit geringen bis winzigen Budgets gedreht. Verspielte Experimentierfreude wie in „Touki Bouki“ (1972) vom Senegalesen Djibril Diop Mambéty war die Ausnahme – und geriet häufig etwas konfus. Das hat sich in den letzten Jahren sichtlich geändert.
Info
Omen (Augure)
Regie: Baloji,
92 Min., Demokratische Republik Kongo/ Belgien/ Südafrika 2023;
mit: Marc Zinga, Yves-Marina Gnahoua, Marcel Otete Kabeya
Weitere Informationen zum Film
Das Beste aus zwei Welten
Aus zwei Gründen: Viele dieser Newcomer leben sowohl in Afrika wie im Westen; sie sind mit beiden Kulturkreisen vertraut. Bazawule zog mit 19 Jahren in die USA, wo er nach seinem Studium als Rapper aktiv war. Auch für Baloji wurde sein Mitwirken in einem Hip-Hop-Sextett ab 1995 zum Einstieg in den Kulturbetrieb. Zudem wird afrikanische Popkultur zunehmend durch die hektisch grelle Ästhetik von Musik-Videoclips geprägt, die via Internet und Youtube dort omnipräsent sind.
Offizieller Filmtrailer OmU
Durch Muttermal gebrandmarkt
Als Hybrid mit traditionell afrikanischer Thematik in globalisiert eklektischer Aufbereitung ist auch „Omen“ angelegt, in französischsprachigen Original „Augure“ betitelt. Im Sinne von „Vorzeichen“, deren fatale Auswirkungen Regisseur Baloji in Episoden mit vier Protagonisten darstellt. Koffi (Marc Zinga) wurde in seiner Jugend verstoßen, weil ihn ein Muttermal auf der Wange als „Zabolo“ brandmarkte; so wird ein Zauberer auf Swahili genannt.
Nun kehrt er nach vielen Jahren im europäischen Exil mit seiner weißen Partnerin Alice (Lucie Debay) zurück; offenbar nach Lumbumbashi, die Hauptstadt der Bergbau-Provinz Katanga. Sie ist schwanger, beide wollen heiraten, und Koffi erhofft sich dafür den Segen seiner Familie, wenn er das herkömmliche Brautgeld entrichtet. Doch der Aussöhnungs-Versuch geht gründlich schief.
Doppeltes Exorzismus-Ritual
Beim ersten Besuch, währenddessen beide ohnehin frostig empfangen werden, bekommt Koffi plötzlich Nasenbluten; ein paar Tropfen fallen auf das Neugeborene einer seiner Schwestern. Das wird als böses Signal interpretiert: Er wolle ihm die Seele rauben. Koffi wird einem brutalen und traumatisierenden Exorzismus-Ritual unterzogen, das der lokale Medizinmann ausführt.
Bei dem landet auch seine Schwester Tshala (Eliane Umuhire), die wegen ihres eigensinnig modernen Lebenswandels von der übrigen Familie ebenso misstrauisch beäugt wird. Sie will mit ihrem Geliebten nach Südafrika entfliehen – dummerweise hat er sie nach einem Seitensprung mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt. Um die zu heilen, müssen beide gleichfalls zum Medizinmann.
Gewalt mit Wiederholungszwang
Über die Einhaltung solcher Riten wacht unerbittlich Mama Mujila (Yves-Marina Gnahoua). Gegen Ende stellt sich heraus, dass sie einst zur Heirat mit ihrem Mann und der Schwangerschaft mit Koffi gezwungen wurde. Sein Muttermal geht wohl auf misslungene Abtreibungsversuche zurück. Fremdbestimmung und Gewalt, die Mujila angetan wurden, wiederholt sie bei ihren Kindern; ein geläufiges Muster.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mami Wata" – faszinierend stilisierte Parabel über den Konflikt von Tradition + Moderne in Zentralafrika von C. J. «Fiery» Obasi
und hier eine Besprechung des Films "Félicité" – ergreifendes Sozialdrama aus Kinshasa von Alain Gomis, prämiert mit Silbernem Bären 2017
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Megalopolis – Stimmen aus Kinshasa" – faszinierende Überblicksschau über Recycling-Künstler aus dem Kongo im Grassi-Museum, Leipzig
und hier einen Beitrag über den Film "Viva Riva! – zu viel ist nie genug" – rasant inszenierter Benzinschmuggler-Krimi als erster Spielfilm aus der Demokratischen Republik Kongo von Djo Tunda wa Munga.
Der Sippenchef hat immer recht
Der Episodenreigen seines Debütfilms gerät passagenweise etwas verschachtelt oder sprunghaft. Und die überbordende Symbolik lässt sich vom hiesigen Publikum wohl nur ansatzweise entziffern: So tritt Pacos ärgster Widersacher mit Leopardenfell und -mütze wie der bis 1997 herrschende Diktator Mobutu auf. Doch das macht die furiose Bildgewalt der Inszenierung mehr als wett: Satte Farben und schnelle Schnitte lassen auch karge Hütten, Müllberge im Slum und Kohlehalden-Mondlandschaften zu eindrucksvollen Schauplätzen werden, ohne gängige Exotik-Klischees.
Vor allem aber räumt Baloji mit einem hartnäckigen sozialen Klischee auf: dem von der harmonischen afrikanischen Großfamilie. Stattdessen herrscht hier rücksichtsloser Patriarchalismus, der ohnehin Abhängige wie Frauen und Kinder für Fehler oder Schicksalsschläge einen hohen Preis zahlen lässt. Denn der Sippenchef hat immer recht, seine Autorität darf nie bezweifelt werden, und nichts ist einfacher, als einen Sündenbock auszuwählen und in die Wüste zu schicken.