Baloji

Omen (Augure)

Zweisamkeit von Tshala (Eliane Umuhire) und ihrem Geliebten nach dem Exorzismus-Ritual. Foto: Grandfilm-Wrong Men
(Kinostart: 4.4.) Wider das Klischee von der harmonischen afrikanischen Großfamilie: Der belgisch-kongolesische Regisseur Baloji zeigt, wie die Stigmatisierung von 'verfluchten' Frauen und Kindern deren Existenz zerstört – aber nicht als tristes Sozialdrama, sondern als bildgewaltigen Episoden-Reigen.

Lange waren Autorenfilme aus Afrika meist schnörkellos realistisch gehalten. Schon aus finanziellen Gründen: Sie wurden mit geringen bis winzigen Budgets gedreht. Verspielte Experimentierfreude wie in „Touki Bouki“ (1972) vom Senegalesen Djibril Diop Mambéty war die Ausnahme – und geriet häufig etwas konfus. Das hat sich in den letzten Jahren sichtlich geändert.

 

Info

 

Omen (Augure)

 

Regie: Baloji,

92 Min., Demokratische Republik Kongo/ Belgien/ Südafrika 2023;

mit: Marc Zinga, Yves-Marina Gnahoua, Marcel Otete Kabeya

 

Weitere Informationen zum Film

 

Junge Regisseure wie der Nigerianer C. J. «Fiery» Obasi, der Ghanaer Blitz Bazawule – der nach seinem fulminanten Debüt „The Burial of Kojo“ jüngst das Musical-Remake von „Die Farbe Lila“ drehen durfte – oder der in Belgien aufgewachsene Kongolese Baloji Tshiani brennen in ihren Filmen wahre Ideen-Feuerwerke ab. Mit exzentrischer Ausstattung, fantasievoller Bildgestaltung und erstaunlichen Klängen kreieren sie Werke, die manchmal etwas effekthascherisch, aber stets originell wirken – und afrikanische Vorstellungswelten adäquat auf die Leinwand bringen.

 

Das Beste aus zwei Welten

 

Aus zwei Gründen: Viele dieser Newcomer leben sowohl in Afrika wie im Westen; sie sind mit beiden Kulturkreisen vertraut. Bazawule zog mit 19 Jahren in die USA, wo er nach seinem Studium als Rapper aktiv war. Auch für Baloji wurde sein Mitwirken in einem Hip-Hop-Sextett ab 1995 zum Einstieg in den Kulturbetrieb. Zudem wird afrikanische Popkultur zunehmend durch die hektisch grelle Ästhetik von Musik-Videoclips geprägt, die via Internet und Youtube dort omnipräsent sind.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Durch Muttermal gebrandmarkt

 

Als Hybrid mit traditionell afrikanischer Thematik in globalisiert eklektischer Aufbereitung ist auch „Omen“ angelegt, in französischsprachigen Original „Augure“ betitelt. Im Sinne von „Vorzeichen“, deren fatale Auswirkungen Regisseur Baloji in Episoden mit vier Protagonisten darstellt. Koffi (Marc Zinga) wurde in seiner Jugend verstoßen, weil ihn ein Muttermal auf der Wange als „Zabolo“ brandmarkte; so wird ein Zauberer auf Swahili genannt.

 

Nun kehrt er nach vielen Jahren im europäischen Exil mit seiner weißen Partnerin Alice (Lucie Debay) zurück; offenbar nach Lumbumbashi, die Hauptstadt der Bergbau-Provinz Katanga. Sie ist schwanger, beide wollen heiraten, und Koffi erhofft sich dafür den Segen seiner Familie, wenn er das herkömmliche Brautgeld entrichtet. Doch der Aussöhnungs-Versuch geht gründlich schief.

 

Doppeltes Exorzismus-Ritual

 

Beim ersten Besuch, währenddessen beide ohnehin frostig empfangen werden, bekommt Koffi plötzlich Nasenbluten; ein paar Tropfen fallen auf das Neugeborene einer seiner Schwestern. Das wird als böses Signal interpretiert: Er wolle ihm die Seele rauben. Koffi wird einem brutalen und traumatisierenden Exorzismus-Ritual unterzogen, das der lokale Medizinmann ausführt.

 

Bei dem landet auch seine Schwester Tshala (Eliane Umuhire), die wegen ihres eigensinnig modernen Lebenswandels von der übrigen Familie ebenso misstrauisch beäugt wird. Sie will mit ihrem Geliebten nach Südafrika entfliehen – dummerweise hat er sie nach einem Seitensprung mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt. Um die zu heilen, müssen beide gleichfalls zum Medizinmann.

 

Gewalt mit Wiederholungszwang

 

Über die Einhaltung solcher Riten wacht unerbittlich Mama Mujila (Yves-Marina Gnahoua). Gegen Ende stellt sich heraus, dass sie einst zur Heirat mit ihrem Mann und der Schwangerschaft mit Koffi gezwungen wurde. Sein Muttermal geht wohl auf misslungene Abtreibungsversuche zurück. Fremdbestimmung und Gewalt, die Mujila angetan wurden, wiederholt sie bei ihren Kindern; ein geläufiges Muster.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mami Wata" – faszinierend stilisierte Parabel über den Konflikt von Tradition + Moderne in Zentralafrika von C. J. «Fiery» Obasi

 

und hier eine Besprechung des Films "Félicité" – ergreifendes Sozialdrama aus Kinshasa von Alain Gomis, prämiert mit Silbernem Bären 2017

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Megalopolis – Stimmen aus Kinshasa" – faszinierende Überblicksschau über Recycling-Künstler aus dem Kongo im Grassi-Museum, Leipzig

 

und hier einen Beitrag über den Film "Viva Riva! – zu viel ist nie genug" – rasant inszenierter Benzinschmuggler-Krimi als erster Spielfilm aus der Demokratischen Republik Kongo von Djo Tunda wa Munga.

 

Dagegen hat Paco (Marcel Otete Kabeya) gezwungenermaßen mit seiner Familie gebrochen. Er fristet ein freies, aber gefahrvolles Dasein in einer Straßenkinder-Gang, die mit burlesken Paraden und Revierkämpfen beschäfigt ist. Paco wurde von seinen Verwandten fortgejagt, weil sie sich von ihm verflucht glaubten, etwa wegen chronischer Geldprobleme. So erklärt es Regisseur Baloji, der auch aus persönlicher Erfahrung schöpfen dürfte: Sein eigener Name bedeute auf Swahili wörtlich „Hexer, der anderen Kräfte wegnimmt“, sagt er. Nicht gerade ein Kosename.

 

Der Sippenchef hat immer recht

 

Der Episodenreigen seines Debütfilms gerät passagenweise etwas verschachtelt oder sprunghaft. Und die überbordende Symbolik lässt sich vom hiesigen Publikum wohl nur ansatzweise entziffern: So tritt Pacos ärgster Widersacher mit Leopardenfell und -mütze wie der bis 1997 herrschende Diktator Mobutu auf. Doch das macht die furiose Bildgewalt der Inszenierung mehr als wett: Satte Farben und schnelle Schnitte lassen auch karge Hütten, Müllberge im Slum und Kohlehalden-Mondlandschaften zu eindrucksvollen Schauplätzen werden, ohne gängige Exotik-Klischees.

 

Vor allem aber räumt Baloji mit einem hartnäckigen sozialen Klischee auf: dem von der harmonischen afrikanischen Großfamilie. Stattdessen herrscht hier rücksichtsloser Patriarchalismus, der ohnehin Abhängige wie Frauen und Kinder für Fehler oder Schicksalsschläge einen hohen Preis zahlen lässt. Denn der Sippenchef hat immer recht, seine Autorität darf nie bezweifelt werden, und nichts ist einfacher, als einen Sündenbock auszuwählen und in die Wüste zu schicken.