Kanwal Sethi

Was von der Liebe bleibt

Ilyas (Serkan Kaya) und Yasemin (Seyneb Saleh) genießen ihre Zweisamkeit, © Foto: Erik Molberg Hansen / Rohfilm Productions / Filmwelt
(Kinostart: 2.5.) Posthumer Terrorverdacht: Die ermordete kurdische Frau eines Deutschtürken könnte PKK-Unterstützerin gewesen sein. Das behaupten hiesige Ermittler – was den Witwer völlig verstört. Regisseur Kanwal Sethi entfaltet anschaulich und sinnlich einen Fall von strukturellem Rassismus.

Ein Mann liegt eingeschneit auf einer Bank; gefilmt steil von oben aus der Vogelperspektive. S-Bahn-Geräusche und Passanten weisen darauf hin, dass er sich in einer Großstadt befindet. Irgendwann öffnet der Mann namens Ilyas (Serkan Kaya) die Augen. Die Kamera fährt zurück, und man erkennt die Umgebung der Warschauer Straße in Berlin. Ilyas steht auf und geht, die Arme um den verkühlten Rumpf geschlungen, aus dem Bild.

 

Info

 

Was von der Liebe bleibt

 

Regie: Kanwal Sethi,

100 Min., Deutschland 2023;

mit: Serkan Kaya, Seyneb Saleh, Amira Demirkiran 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ilyas und Yasemin (Seyneb Saleh) sind zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre lang ein Paar gewesen. Kennen gelernt haben sie sich auf einer Party. Auch wenn sie anfangs kess behauptet, er sei nicht ihr Typ, ist es Liebe auf den ersten Blick. Ilyas, ein eher zurückhaltender Türke, versteht sich selbst eindeutig als Westberliner. Hier sei er geboren, hier werde er auch begraben, sagt er. Dagegen besteht die extrovertierte Kurdin und Kölner Göre Yasemin darauf, dass sie vor allem eins immer sein werden: Kanaken.

 

Café-Betrieb statt Bank-Job

 

Ihre Worte werden später prophetisch klingen. Zunächst aber werden Ilyas und Yasemin Eltern, und er steigt mit ihrer Unterstützung aus seinem ungeliebten Job bei einer Bank aus. Auf ihre Initiative hin gründen sie ein Café; es läuft gut und sichert ihr Auskommen. Die Kleinfamilie lebt in einer schönen großen Wohnung. Sorgen müssen sie sich höchstens darum machen, ob sie für ihre Tochter Senna (Amira Demirkiran) gute Eltern sind – oder ob sie noch ein Restaurant eröffnen sollen.

Offizieller Filmtrailer


 

„Haben Sie mit Politik zu tun?“

 

Das führt zu Spannungen, und wieder kommt ihnen ihr Temperament in die Quere. Sie ist unstet und will immer weiter, während er Risiken sieht und sich nach ruhigeren Zeiten zurücksehnt, in denen sie mehr Zeit für einander und ihre Beziehung hatten. Dennoch: Sobald sie miteinander reden, stellt sich tiefe Vertrautheit ein – auch körperlich.

 

Doch eines Vormittags liegt Yasemin tot im Café; sie wurde erschossen. Zwei Kriminalkommissare befragen den unter Schock stehenden Ilyas, ob sie Feinde hatten oder beide Erfahrung mit Schutzgelderpressung gemacht haben. Außerdem bitten sie ihn um Mithilfe, da sie sich im Kulturkreis des Paares nicht auskennten. Und fragen: „Haben Sie etwas mit der Politik in Ihrem Heimatland zu tun?“

 

Befragung bei der Beerdigung

 

Ilyas entgegnet, sie hätten sie keine Geheimnisse voreinander gehabt; Yasemin sei allseits beliebt gewesen. Dennoch wird er durch die Fragen verunsichert. Außerdem wechseln bei den Ermittlungsbehörden immer wieder die Beamten und Ebenen, die mit dem Fall betraut sind; bald befragt ihn das Landeskriminalamt. Irgendwann ordnet die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung an. Mit der Begründung, es bestehe der Verdacht auf Steuerhinterziehung; womöglich habe Yasemin auch die verbotene kurdische PKK-Guerilla unterstützt.

 

Sogar bei der Beerdigung seiner Frau tauchen Kommissare auf, um Fragen zu stellen, ebenso im Fußballverein von Tochter Senna. Ihr fällt es verständlicherweise sehr schwer, mit dem Tod ihrer Mutter zurechtzukommen. Dass sie mit dem Vater im Polizeipräsidium zum Verhältnis ihrer Mutter zu deren bester Freundin aussagen soll, macht die Sache nicht besser.

 

Verdacht erschüttert Erinnerungen

 

Je mehr Ilyas miterleben muss, wie seine Tochter aus der Bahn geworfen wird und sich ihr eigentlich liebevolles Verhältnis durch Stress in andauernde Anspannung verwandelt, desto mehr setzen ihm die Verdächtigungen zu. Bis sie auch seine Erinnerungen angreifen und seine Gewissheiten erschüttern: Hat er vielleicht den Menschen, dem er sich immer am nächsten wähnte, doch nicht wirklich gekannt?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Im toten Winkel" – fesselnder deutsch-türkisch-kurdischer Politthriller von Ayşe Polat

 

und hier eine Besprechung des Films "Stille Post" – eindringlicher Medien-Thriller über die deutsche Sicht auf den Kurden-Konflikt von Florian Hoffmann

 

und hier einen Bericht über den Film "Once Again – Eine Liebe in Mumbai" – schön bebildeter Bollywood-Arthouse-Hybrid von Kanwal Sethi

 

und hier einen Beitrag über den Film "Bakur – North" – Dokumentation über die PKK in Südost-Anatolien von Çayan Demirel + Ertuğrul Mavioğlu.

 

In klar durchkomponierten Bildern erzählt Regisseur Kanwal Sethi, der für seinen dritten Film auch das Drehbuch schrieb, die Geschichte einer Migranten-Liebe in Deutschland. Sogar im Nachhinein wird sie über die üblichen Zweifel hinaus, die es in Partnerschaften wohl immer gibt, von außen massiv beeinflusst und gestört.

 

Doppeltes Leid durch Ermittlungen

 

Dabei springt sein Erzählfluss assoziativ vor und zurück, eher an Themen als an Chronologie interessiert. So folgt er den sich im Kreis drehenden Gedanken seines innerlich aufgewühlten Protagonisten und zieht zugleich das Publikum tief hinein in die Innenansicht einer intimen Beziehung.

 

Regisseur Sethi geht es vor allem um strukturellen Rassismus – doch gelingt es seinem Film, dieses eher abstrakte und sperrige Thema sehr anschaulich und sinnlich nachvollziehbar zu machen. Als ob der Mord und das gewaltsame Ende von Familie und Vertrautheit nicht schlimm genug wären, lassen die völlig aus dem Ruder laufenden Ermittlungen die Angehörigen, ohnehin Opfer von Schmerz und Verlust, zusätzlich leiden.

 

Schrifttafel ändert alles

 

Um diesen doppelten Schock spürbar zu machen, benötigt Sethi kaum Drastik und wenig Drama. Stattdessen genügt am Ende eine präzise gesetzte Schrifttafel, um die Bedeutung des zuvor Gesehenen in ganz neuem Licht erscheinen zu lassen. Bleibt nur zu hoffen, dass Liebe wirklich stärker ist als der Tod, wie es der Film über weite Strecken suggeriert.