Stéphane Brizé

Zwischen uns das Leben

Mathieu (Guillaume Canet) und Alice (Alba Rohrwacher) kommen sich nach 15 Jahren wieder näher. Foto: Alamode Film
(Kinostart: 2.5.) Beziehungsaufarbeitung mit Meerblick: Im Wellness-Urlaub trifft ein ausgelaugter Schauspieler auf seine Verflossene. Dieser romantischen Standardsituation entlockt Regisseur Stéphane Brizé mit hervorragenden Darstellern und pointierten Dialogen eine paar tiefe Wahrheiten.

Einfach mal „Nein“ sagen, den Stecker ziehen, aussteigen. Der Schauspieler Mathieu (Guillaume Canet) hat es getan: Er sollte in einer prestigeträchtigen Theaterproduktion die Hauptrolle spielen. Das Stück war bereits angekündigt, die Proben liefen auf Hochtouren. Vier Wochen vor der Premiere hat der Star abgesagt.

 

Info

 

Zwischen uns das Leben

 

Regie: Stéphane Brizé,

115 Min., Frankreich 2023;

mit: Alba Rohrwacher, Guillaume Canet, Sharif Andoura

 

Weitere Informationen zum Film

 

Stéphane Brizés Film setzt ein, als Mathieu in dem Wellness-Hotel eincheckt, das er sich für seine Auszeit ausgesucht hat. Die Lobby ist leer, denn die Saison ist vorbei. Matthieu gönnt sich eine Luxus-Suite mit Meerblick. Die Frau an der Rezeption lächelt ihn an; sie ist ein Fan von ihm.

 

Entspannung mit Hindernissen

 

Ein auf ihn persönlich zugeschnittenes Sport- und Erholungsprogramm soll dafür sorgen, dass er wieder zu sich selbst findet. Allerdings gestaltet sich die Suche nach Entspannung komplizierter als gedacht: Noch bevor sie die Hand an seinen Körper legt, bittet die Masseurin Mathieu um ein gemeinsames Selfie. Der Moment könnte ungünstiger nicht sein, denn der Promi liegt schon halb nackt auf dem Behandlungstisch. Hilflos willigt er ein.

Offizieller Filmtrailer


 

Begegnung mit der Vergangenheit

 

Wie sich bald herausstellt, hat Mathieu weniger Probleme, als er dachte zu den gravierendsten zählen zum Beispiel seine Geheimratsecken. Doch den Künstler graut es vor dem Älterwerden. Ansonsten ist er glücklich verheiratet, hat einen Sohn, und seine Karriere läuft. Den Schnitzer mit dem geplatzten Theaterengagement solle er sich nicht so zu Herzen nehmen, sagt seine Frau am Telefon. Ohnehin sei das Kino doch eher sein Metier.

 

Dann wird er von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt, als überraschend Alice (Alba Rohrwacher) auftaucht. Bevor Mathieu als Filmschauspieler berühmt wurde, waren die beiden ein Paar. Jetzt lebt seine Ex mit ihrer Familie in dem verschlafenen Badeort, ist mit einem Arzt verheiratet und spielt Klavier im Altersheim.

 

Schmelzende Herzen vor stürmischer See

 

Dieses unverhoffte Zusammentreffen der ehemaligen Geliebten ist das Herzstück des Films. Sobald dieser Kern, um den sich alles dreht, nun endlich gefunden ist, scheint auch die Handlung endlich Fahrt aufzunehmen. Doch dieser Eindruck trügt. Nachdem Brizé im ersten Drittel seines Dramas vor allem auf Situationskomik gesetzt hat, bremst er von nun an das Tempo. Das Drehbuch konzentriert sich fortan auf die Gespräche zwischen Alice und Mathieu.

 

Brizé erzählt in „Zwischen uns das Leben“ von jenem bittersüßen Moment der zweiten Chance. Zwei Menschen räumen auf mit alten Gefühlen, Verletzungen, Missverständnissen. Draußen stürmt die See, drinnen ist die Stimmung gedämpft, aber langsam beginnen die Herzen zu schmelzen. Man kennt das alles, man hat es im Kino schon oft gesehen.

 

Zwei glänzende Hauptdarsteller

 

Worauf es also ankommt, sind die feinen Zwischentöne: eine spitze Bemerkung hier, eine zärtliche Geste dort. Letztere kommen vor allem von Alice. Sie ist die Verlassene, und es scheint, als hätte sie die Trennung nie wirklich überwunden. Einmal redet sie von Antidepressiva. Ein andermal fordert sie Matthieu auf, sich aufrichtig bei ihr zu entschuldigen. Er lässt seine Schauspielkünste beiseite, bittet sie um Verzeihung, und sie akzeptiert.

 

Dass die Szene nicht peinlich berührt, verdankt der Regisseur seinen beiden Hauptdarstellern. Canet und Rohrwacher sind blendend aufeinander abgestimmt und haben sich hervorragend in ihre Figuren eingefühlt. Deswegen nimmt man ihnen die neue alte Romanze ab, die sich zwischen ihnen langsam entwickelt.

 

Präzise Dialoge, lange Einstellungen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Streik (En Guerre)" packendes Arbeitskampf-Drama über Fabrik-Stilllegung von Stephane Brizé

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Wert des Menschen – La Loi du Marché" – Porträt eines Langzeit-Arbeitslosen von Stéphane Brizé

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ein Leben" – brillante Adaption eines Provinzadligen-Romans von Guy de Maupassant durch Stéphane Brizé.

 

Natürlich hat man als Zuschauer längst darauf gewartet. Aber Brizé bremst seine Protagonisten in den oft langen Einstellungen mit zahlreichen atmosphärischen Zwischenshots immer wieder regelrecht aus. Zu sehr stützt er sich ganz auf die Leistungen seiner Schauspieler ihnen zuzusehen, ist zwar wunderbar, aber ein etwas strafferer Schnitt hätte dem Drama gut getan.

 

Dabei kann Brizé auch ganz anders. Seine Filme über die heutige Arbeitswelt wie „Streik (En Guerre)“ (2018) gehören zum Besten, was das politische Kino der Gegenwart zu bieten hat. Die Präzision in den Dialogen verbindet „Zwischen uns das Leben“ mit solchen Werken. Das Drehbuch hat der Regisseur diesmal gemeinsam mit der französischen Journalistin und Moderatorin Marie Drucker verfasst. Zwischen den Zeilen ist zu spüren, dass sie die Stimme von Alice deutlich mitgeprägt hat. 

 

Im Strickmuster versteckte Wahrheit  

 

In der Fülle an ähnlich gestrickten Beziehungsdramen ist „Zwischen uns das Leben“ letztlich vielleicht kein besonderer, aber doch ein besonders feinsinniger Film. Obwohl er nicht ohne Klischees und Allgemeinplätze auskommt, steckt in den Gesprächen zwischen Alice und Matthieu dennoch die eine oder andere Wahrheit allein dafür hat sich ihr Wiedersehen gelohnt.