Agnes Lisa Wegner + Cece Mlay

Das leere Grab

Die Großfamilie Mbano umringt das leere Grab von Nduna (Unterkönig) Songea Mbano im „Majimaji Memorial Museum“. Foto: Salzgeber
(Kinostart: 23.5.) Keine Raubkunst, sondern Leichenschändung: Im Maji-Maji-Krieg in Ostafrika wurden zahlreiche Schädel getöteter Schwarzer nach Deutschland abtransportiert – Nachfahren fordern sie zurück. Darauf macht die Doku des Regie-Duos Wegner und Mlay aufmerksam, aber nur aus der Ameisenperspektive.

Noch ein vergessener Völkermord: 1905 erhoben sich rund 20 Stämme und Ethnien im Küstengebiet von Tansania, dem damaligen Deutsch-Ostafrika, gegen die Ausbeutung durch die Kolonialherren. Ihre Krieger glaubten anfangs an einen maji-Wasserzauber, der sie unverwundbar mache; maji bedeutet auf Swahili „Wasser“. Gegen die Guerillataktik der Aufständischen verfolgte die Kolonialarmee eine Strategie der verbrannten Erde: Sie raubte Dörfer aus, vernichtete Vorräte und versengte Felder. Daher starben die meisten Kriegopfer an Hunger. Ihre Zahl wird auf 75.000 bis 300.000 geschätzt; letzteres entspräche einem Drittel der damaligen Bevölkerung in der Region.

 

Info

 

Das leere Grab

 

Regie: Agnes Lisa Wegner + Cece Mlay,

97 Min., Tansania/ Deutschland 2024;

mit: John Mbano, Mnyaka Sururu Mboro, Felix und Ernest Kaaya

 

Weitere Informationen zum Film

 

Nicht nur der Maji-Maji-Krieg wurde lange verdrängt, sondern auch eine besonders scheußliche Episode. Wie bereits im Krieg gegen die Herero in Deutsch-Südwestafrika wenige Jahre zuvor schnitt man auch in Ostafrika den Leichen getöteter Schwarzer die Köpfe ab, um ihre Schädel ins Deutsche Reich zu schicken – diese Praxis hat Regisseur Lars Kraume kürzlich im Film „Der vermessene Mensch“ anschaulich dargestellt. Teils dienten sie als Präparate für die so genannte Phrenologie, die mit pseudowissenschaftlichen Mess-Methoden die Überlegenheit der weißen Rasse beweisen wollte – teils wohl auch als Trophäen.

 

Lange unbeachtetes makabres Erbe

 

Dieses makabre Erbe der deutschen Kolonialzeit lagerte Jahrzehnte lang unbeachtet in Depots und Archiven. Erst im Zuge der postkolonialen Debatte um die Rückgabe von Raubkunst findet auch die Knochen-Beute wieder mehr Beachtung; vor allem durch Forderungen der Nachkommen, die Gebeine ihrer Vorfahren in ihre Heimatländer zu überführen. Darum geht es in „Das leere Grab“.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Anführer-Skelett in US-Museum

 

Dieses leere Grab befindet sich im „Majimaji Memorial Museum“ in der südtansanischen Stadt Songea, damals ein Zentrum des Kriegs. Sie ist nach Nduna (Unterkönig) Songea Mbano benannt, einem der wichtigsten Anführer der Aufständischen. Sein Urenkel John Mbano, ein junger Anwalt, bemüht sich mit seiner Frau Cesilia, Lehrerin für Geschichte, die sterblichen Überreste des Kriegshelden ausfindig zu machen und zu repatriieren – die Doku-Regisseurinnen Agnes Lisa Wegner + Cece Mlay heften sich dabei an seine Fersen.

 

Im Norden Tansanias verfolgen sie einen weiteren Fall. In der Region um den Mount Meru, einen schlafenden Vulkan westlich des Kilimandjaro, lebt die Großfamilie Kaaya. Ihr Vorfahre Mangi Lubulu Kayaa spielte ebenfalls im Maji-Maji-Krieg eine bedeutende Rolle und wurde 1900 gemeinsam mit 18 anderen Anführern hingerichtet. Nun wollen die Aktivisten Mnyaka Sururu Mboro – der Tansanier lebt seit 40 Jahren in Deutschland – und Konradin Kunze sein Skelett ausfindig gemacht haben: Es soll sich im American Museum of Natural History in New York befinden.

 

Aufwändige + teure Personen-Zuordnung

 

All diese genauen Angaben finden sich nur in den Hintergrundinformationen zum Film – aus ihm selbst erfährt man sie nicht. Weder werden Verlauf und Folgen des Maji-Maji-Krieg skizziert noch die wichtigsten Akteure vorgestellt und erklärt, warum sie mit dieser Sache befasst sind. Ohnehin bleibt die Bedeutung der historischen Leichenschändung vage; schließlich dürften viele Zuschauer kaum wissen, wo sich die Schädel ihrer eigenen Urgroßeltern befinden. In etlichen außereuropäischen Kulturen spielt Ahnenverehrung eine herausragende Rolle; wie es sich damit bei tansanischen Völkern verhält, und wie wichtig für sie die realen Gebeine sind, wird nicht erläutert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der vermessene Mensch" – fesselndes Dokudrama über Schädelraub und Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika 1904 von Lars Kraume

 

und hier eine Besprechung des Films "White Shadow" – Drama über Diskriminierung + Verfolgung von Albinos in Tansania von Noaz Deshe

 

und hier einen Beitrag über den Film "Concerning Violence − Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence" – Dokumentation über Afrika-Antikolonialismus der 1960/70er Jahre von Göran Hugo Olsson

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afrika mit eigenen Augen" über Facetten der kolonialen Sicht auf Afrika im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden.

 

Auch die konkreten Hindernisse, die einer Rückgabe im Wege stehen, werden nur gestreift. Der Transport erbeuteter Knochen ins Deutsche Reich wurde schlecht dokumentiert; oft ist kaum bekannt, von welchem Ort sie stammen, geschweige denn von welcher Person. Sie 120 Jahre später den jeweiligen Nachfahren zuzuordnen, wäre extrem aufwändig und damit teuer, wie ein DNA-Test mit John Mbano deutlich macht. Ihm und seiner Frau gelingt es, nach Berlin zu reisen. Im Archäologischen Zentrum wird ein Schädel identifiziert, welcher derjenige seines Urgroßvaters sein könnte – doch der Gentest fällt negativ aus.

 

Politischer Sprengstoff wird ignoriert

 

Doch womöglich geht es gar nicht vorrangig um Restitution. Zwei Mal formulieren Wortführer der Großfamilien unmissverständlich: Wenn Deutschland die Gebeine nicht zurückgeben könne, dann solle es Reparationen zahlen! Als finanzielle Forderung wird die Angelegenheit von einer Frage privater Pietät zur außenpolitischen Affäre. Kein Wunder, dass tansanische Regierungsvertreter in der Metropole Daressalam abwiegeln und Bittsteller der Kayaa-Familie vertrösten; sie sollen sich nicht in die staatliche Diplomatie einmischen. Freundlicher, aber ähnlich unverbindlich reagiert in Berlin eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amts auf die Wünsche von John Mbano.

 

Der politische Sprengstoff, der in diesem Thema steckt, wird von den Regisseurinnen schlicht ignoriert; er war ihnen wohl zu heikel. Stattdessen verharren sie in der Ameisenperspektive und begleiten ihre Protagonisten geduldig von einem Ortstermin zum nächsten. Mit dem dramaturgischen Höhepunkt eines Besuchs von Frank Walter Steinmeier im „Majimaji Memorial Museum“; der deutsche Staatschef trägt dort die einschlägigen Floskeln von Trauer, Bitten um Verzeihung und Bemühenszusagen vor. So wird diese Doku zum Beispiel für postkolonialen Aktivismus, der nicht über komplexe Zusammenhänge aufklären, sondern nur auf die Tränendrüse drücken und damit materielle Ansprüche unterfüttern will.