Helen Mirren

Golda – Israels Eiserne Lady

Benny Peled (Ed Stoppard), David "Dado" Elazar (Lior Ashkenazi) und Golda Meir (Helen Mirren, v.l.n.r.) mit einem hochrangigen Offizier im Schutzbunker der Kommandozentrale. Foto: © Aidem Media Ltd, Foto Sean Gleeson
(Kinostart: 30.5.) Kettenrauchende Kriegsherrin: Die israelische Regierungschefin Golda Meir qualmt im Film von Regisseur Guy Nattiv unentwegt. Das vernebelt ihre Qualitäten ebenso wie den Verlauf des Jom-Kippur-Kriegs 1973. Solchen Hurrapatriotismus jetzt ins Kino zu bringen, wirkt instinktlos.

Golda Meir war eine der faszinierendsten und erfolgreichsten Politikerinnen des 20. Jahrhunderts. 1898 in Kiew geboren, emigrierte sie als Achtjährige mit ihrer Familie in die USA. Da die Mutter ihr eine höhere Schulbildung verweigerte, verließ sie mit 14 Jahren ihre Eltern, zog zur älteren Schwester und besuchte eine High School. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie für sozialistisch-zionistische Organisationen und wurde 1917 US-Staatsbürgerin.

 

Info

 

Golda – Israels Eiserne Lady

 

Regie: Guy Nattiv,

100 Min., Israel/ Großbritannien/ USA 2023;

mit: Helen Mirren, Liev Schreiber, Rami Heuberger, Lior Ashkenazi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Vier Jahre später zog sie mit ihrem Mann nach Palästina; beide lebten drei Jahre lang im Kibbuz. Dann wurde Golda Meir Aktivistin des jüdischen Gewerkschafts-Dachverbands Histadrut und 1930 Funktionärin der Mapai. Die sozialdemokratische Arbeitspartei sollte bis Mitte der 1970er Jahre alle Kabinette dominieren – ab 1968 unter dem Namen Awoda. Nach Israels Unabhängigkeit 1948 wurde Meir erste Botschafterin ihres Landes in der Sowjetunion.

 

Vierteljahrhundert in der Knesset
 

Außerdem war sie 25 Jahre lang Knesset-Abgeordnete, neun Jahre lang Außenministerin, zwei Jahre lang Mapai-Generalsekretärin und ab 1969 – nach dem Tod ihres Vorgängers Levi Eshkol – bis 1974 Parteivorsitzende und Ministerpräsidentin. Als Regierungschefin beendete sie 1970 den zweijährigen Abnutzungskrieg mit Ägypten am Suez-Kanal. Von all diesen Stationen ihrer so wechselhaften Biographie erfährt man im Film des israelischen Regisseurs Guy Nattiv: nichts.

Offizieller Filmtrailer


 

Kein Meir-Biopic, sondern Kriegs-Chronik
 

Ebensowenig von den Charakterzügen, dank derer Golda Meir ihr phänomenaler politischer Aufstieg gelang; neben Indira Gandhi in Indien war sie die erste Frau an der Regierungsspitze einer Demokratie. Wie konnte sie sich in einer von orientalischem Machismo geprägten Umgebung behaupten? Zumal als Witwe; ihr Gatte war bereits 1951 gestorben. Woher nahm sie die Energie und Durchsetzungskraft, die Chuzpe und Raffinesse im politischen Ränkespiel? Der Film begnügt sich mit der plakativen Floskel von „Israels Eiserner Lady“.

 

Denn Guy Nattiv hat kein Biopic über Golda Meir, sondern eine Chronik des Jom-Kippur-Kriegs gedreht. Am 6. Oktober 1973 griffen ägyptische und syrische Truppen überraschend Israel am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur an. Nach ihren Anfangserfolgen wendete sich das Blatt, und die israelische Armee trieb ihre Feinde zurück bis zum Waffenstillstand am 25. Oktober. Über diese 19 Tage macht der Regisseur einen Kriegsfilm, dessen öde Monotonie kaum zu überbieten ist.

 

Politisches Genie in Hautfalten
 

Seine Golda Meir ist eine kauzige Oma, die außer Nikotin-Schwerstabhängigkeit wenig persönliche Eigenschaften zu haben scheint. Die sonst grandiose Helen Mirren versucht, ihrer Figur ein paar Nuancen abzugewinnen, scheitert aber meist an der unförmigen Maske, in der sie steckt. Daran kann sich die Kamera nicht sattsehen. Unentwegt fährt sie an grauen Haaren und runzliger Haut entlang oder zoomt auf die faltige Augenpartie, als würde sie dort das Geheimnis von Meirs politischem Genie entdecken.

 

Was so redselige wie flache Dialoge übertünchen soll. Gefühlt drei Viertel des Films spielen in Besprechungszimmern oder Kommandostäben. Nach immergleichem Schema: Kernige Minister und Generäle versammeln sich, Golda Meir eröffnet die Sitzung mit den Worten, sie habe von Militärischem keine Ahnung und bitte um Lageeinschätzungen, jeder sagt sein Sprüchlein auf, dann hat die Oberbefehlshaberin einen zündenden Einfall, erteilt Befehle, und alle eilen zurück auf ihre Posten. Kriegführen kann so einfach sein; zumindest wird deutlich, wie Bunkermentalität entsteht.

 

Auf dem OP-Tisch weiterqualmen
 

Kein Wunder bei diesem Personal: Verteidigungsminister Mosche Dajan (Rami Heuberger) ist ein traumatisiertes nervliches Wrack, Kommandant Ariel Scharon (Ohad Knoller) ein Heißsporn, der die Ägypter am liebsten ins Rote Meer treiben würde, und US-Außenminister Henry Kissinger (Liev Schreiber) ein reicher Onkel aus Amerika, der sich von Meir alle gewünschten Waffenlieferungen abschwatzen lässt. Nur Generalstabschef David „Dado“ Elazar zeigt differenziertes Profil; er wird verkörpert von Lior Ashkenazi, dem zurzeit wohl besten israelischen Schauspieler.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die eiserne Lady"Biopic über Margaret Thatcher mit Meryl Streep von Phyllida Lloyd

 

und hier eine Besprechung des Films "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" – aufwändige Verfilmung des Romans von Amos Oz über Israels Staatsgründung von + mit Nathalie Portman

 

und hier einen Bericht über den Film "The Good Liar – Das alte Böse" schwarzhumoriger Thriller von Bill Condon mit Helen Mirren

 

und hier einen Beitrag über den Film "Norman" – subtile Polit-Satire als Hochstapler-Sittenkomödie von Joseph Cedar mit Lior Ashkenazi als Israels Regierungschef.

 

So folgt ein Kriegstag dem anderen. Operationen werden detailliert ausgebreitet, was Sandkasten-Strategen und Leser von „Landser“-Groschenromanen fesseln dürfte. Dauernd ist der Himmel über Jerusalem und Tel Aviv bleigrau, ständig kümmert sich Meirs Assistentin Lou Kaddar (Camille Cottin) fürsorglich um ihre Chefin, und stets quellen die Aschenbecher in Großaufnahme über. Regisseur Guy Nattiv scheint ein ähnlich militanter Nichtraucher zu sein wie sein deutscher Kollege Oskar Roehler. Aber nachsichtiger: Wenn Golda Meir zur Krebs-Bestrahlung ins Krankenhaus muss, darf sie auf dem OP-Tisch weiterqualmen.

 

Miserables Kinostart-Timing
 

Dass die Israelis schließlich die Oberhand behielten, steht in jedem Geschichtsbuch. Nattiv verklärt das zum Sieg auf der ganzen Linie. Wie und warum, bleibt offen – es muss wohl an haushoher geistiger und moralischer Überlegenheit liegen. Jedenfalls macht sich ein schulterklopfender Hurrapatriotismus mit „Wir gegen den Rest der Welt“-Credo breit, der einen Vergleich mit der Gegenwart geradezu aufnötigt. Ohnehin wirken weite Strecken des Films, als sei das Drehbuch in der Likud-Propagandaabteilung verfasst worden; Benjamin Netanjahu wäre gewiss gern ein ebenso siegreicher Feldherr wie seine Amtsvorgängerin.

 

Was die übrige Welt anders sieht: Nach fast acht Monaten Gaza-Krieg ist das Meinungsklima umgeschlagen. Statt anfänglichem Verständnis für Terror-Abwehr überwiegen nun Kritik und Proteste angesichts einer blindwütigen Kriegsführung ohne Strategie für das Danach. Da fragt sich, warum der Verleih diesen Film gerade jetzt in die deutschen Kino bringt. Als Jetzt-erst-recht-Durchhalteappell für treue Parteigänger der israelischen Regierung? Oder als kalkulierte Provokation, die aufgeregte Reflexe triggern und zahlende Schaulustige anlocken soll? Wie dem auch sei: Das Timing könnte kaum schlechter sein.