Köln

1863 · Paris · 1874 – Revolution in der Kunst: Vom Salon zum Impressionismus

Frédéric Bazille: Fischer mit Wurfnetz, 1868, Öl auf Leinwand. © Foto: Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Fotoquelle: Wallraf-Richartz-Museum
Salon de Paris en miniature: Das Wallraf-Richartz-Museum zeigt französische Kunst aus nur elf Jahren, in denen die Weichen für die Moderne gestellt wurden. Wobei von Revolution kaum die Rede sein kann – eher von kontinuierlichem Reformprozess, veranschaulicht durch eine überschaubare, aber kluge Auswahl.

Zwei Ereignisse, die die Kunstwelt veränderten: 1863 wurde für Künstler, die nicht am Pariser Salon teilnehmen durften, erstmals eine Nebenschau eingerichtet – „le Salon des Refusés“, der „Salon der Abgelehnten“. 1874 eröffnete die neu gegründete Künstlergruppe „Société anonyme des artistes peintres, sculpteurs et graveurs etc.“ ihre erste Ausstellung – für sie verwendeten Kunstkritiker bald die Bezeichnung „Impressionisten“.

 

Info

 

1863 · Paris · 1874 –
Revolution in der Kunst:
Vom Salon zum Impressionismus

 

15.03.2024 - 28.07.2024

 

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

im Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Am Kölner Rathaus

 

Katalog 32 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Diese Umbruchphase ist häufig als Wachablösung nach dem Muster „Alt gegen Neu“ erzählt worden: Junge Avantgardisten hätten ihre verstaubten Vorgänger mit Aplomb von der Bildfläche gefegt. Dem war nicht so, im Gegenteil: Der Wechsel in der Kunstproduktion und dem Publikumsgeschmack geschah ganz allmählich. Der offiziell veranstaltete Salon war offen für eine Vielzahl von Kunst-Spielarten, und auch die Impressionisten waren sehr bedacht auf Anerkennung durch die Salon-Jury – weil dieses Gütesiegel ihren Marktwert enorm steigerte.

 

Wichtige Akteure bleiben gleich

 

Das zeigt deutlich die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum; dabei konzentriert sie sich auf die elf Jahre zwischen beiden Eckdaten. Die vermeintliche Revolution in der Kunst war eher ein kontinuierlicher Reformprozess, bei dem maßgebliche Akteure – Künstler, Kritiker und Sammler – die gleichen blieben. Erst in der kunsthistorischen Rückschau tritt der epochale Wandel hervor.

Impressionen der Ausstellung


 

Mega-Schau mit Tausenden von Werken

 

Der Pariser Salon hatte eine lange Geschichte. 1648 entstand in Paris die „Académie royale de peinture et de sculpture“, die ab 1667 Ausstellungen veranstaltete. Von 1725 an zeigten ihre Mitglieder neue Werke im „Salon Carré“ des Louvre, ab 1737 regelmäßig – daher die Etikettierung als Salon-Ausstellungen. Die Aufsicht über sie übernahm 1791 die staatliche Verwaltung; nun standen sie nicht mehr nur Akademie-Mitgliedern, sondern prinzipiell allen Künstlern offen.

 

Als Kontrollinstanz fungierte ab 1798 eine Jury, die eingereichte Arbeiten beurteilte und ab 1804 manche auszeichnete. So machte sie Kulturpolitik: Die Prämierung bestimmter Künstler und der Ankauf ihrer Werke sollte die Kunstentwicklung in gewünschte Richtungen lenken. Gleichzeitig wurde der Pariser Salon mit Tausenden von Exponaten und bis zu einer Million Besucher zu Europas wichtigstem Kunstforum, das Karrieren beförderte – oder auch nicht. Versteht sich, dass die Jury-Zusammensetzung und ihr Auswahlverfahren stets umstritten waren und alle paar Jahre geändert wurden.

 

Kaiser rehabilitiert Abgelehnte

 

Einige Künstler, die sich von der Jury verkannt fühlten, zeigten ihr Schaffen zeitgleich in der Nähe des Palais de l’Industrie, der alle Salon-Ausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherbergte – so etwa Georges Courbet 1855 und Édouard Manet 1867. Am folgenreichsten wurde jedoch der „Salon des Refusés“ 1863. In diesem Jahr hatte die Jury mehr als die Hälfte der 6000 eingereichten Werke abgelehnt; die Proteste dagegen waren besonders heftig.

 

Um ihnen die Spitze zu nehmen, verfügte Kaiser Napoleon III., alle abgelehnten Werke in einem separaten Teil des Palais de l’Industrie zu zeigen – sofern ihre Schöpfer das wollten. Tatsächlich zogen viele ihre Arbeiten zurück, weil sie fürchteten, ansonsten bei der Salon-Jury künftig chancenlos zu sein. So waren im „Salon des Refusés“ nur 780 Beiträge von 410 Künstlern zu sehen; darunter einige, die heute als Meisterwerke gelten, etwa das „Frühstück im Grünen“ von Manet oder das „Mädchen in Weiß“ des US-Amerikaners James McNeill Whistler.

 

Künstler-Emanzipation von Regeln

 

Die Entscheidung des französischen Monarchen wirkte zunächst großzügig und liberal. Sie hatte aber mittelfristig ungeahnte Folgen: Indem der Staat auf seine Kunst-Aufsicht erstmals verzichtete, ermutigte er die Künstler, künftig unabhängig von akademischen Regeln und stilistischen Vorgaben zu handeln. Das eröffnete völlig neue Spielräume der Spontaneität und Originalität. Auch in der Kunst-Präsentation: Die erste Impressionisten-Ausstellung 1874 wäre ohne den „Salon des Refusés“ kaum denkbar gewesen.

 

Was damals kunstsinnige Gemüter erregte und begeisterte, führt das Museum anschaulich vor: mit knapp 70 Gemälden, dazu ein paar Grafiken und Skulpturen. Die Auswahl ist vergleichsweise überschaubar, aber wohl durchdacht; fast alle Werke waren entweder im regulären Salon, bei den „Refusés“ oder bei der Impressionisten-Debütschau zu sehen. Dabei repräsentieren etliche Stücke einen gewissen Teilaspekt des Kunstmarkts, angefangen mit den verführerischsten Hinguckern des Sortiments.

 

Frauenakte ja, Männerakt nein

 

Seine „Geburt der Venus“ im Salon von 1863 machte Alexandre Cabanel im Nu zum Star-Maler. Kein Wunder: Eine nackte Schöne mit langem roten Haar räkelt sich genüsslich in der Gischt, als warte sie nur darauf, wachgeküsst zu werden. Darüber jubilieren fünf Putten, was der Szene die Kitsch-Krone aufsetzt. Das galt als akzeptabel, da Cabanel sie mit einem fadenscheinigen Allegorie-Mäntelchen betitelt hatte. „Die Perle und die Welle“ von Paul-Jacques-Aimé Baudry empfand man jedoch als sehr gewagt: Sein Frauenakt am Meeresufer dreht sich zum Betrachter um und lächelt ihn kokett an.

 

Dagegen wurde der unbekleidete „Fischer mit Wurfnetz“ im Grünen des Proto-Impressionisten Frédéric Bazille 1869 von der Jury abgelehnt. Weniger wegen Nacktheit an sich; Männerakte waren durchaus gestattet, wenn sie mythologisch oder historisch verbrämt wurden. Doch das fehlte hier – für banale Alltäglichkeit im Adamskostüm war die Zeit noch nicht reif. Zumal Bazille den Hintern seines Modells provokativ ins Bildzentrum rückte und das Kolorit stark akzentuierte.

 

Stilistisch zwischen den Stühlen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gut - Wahr - Schön - Meisterwerke des Salon de Paris aus dem Musée d'Orsay" in der Hypo-Kunsthalle, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Eugène Delacroix & Paul Delaroche: Geschichte als Sensation" – aufschlussreicher Vergleich der beiden Salonkünstler im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Manet – Sehen: Der Blick der Moderne" – hervorragende Werkschau über Édouard Manet als Salon- + Anti-Salonkünstler in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Monet und die Geburt des Impressionismus" – informative Themenschau im Städel Museum, Frankfurt/ Main.

 

Ihm ähnlich befindet sich auch das Gemälde „Blick von La Faucille auf den Montblanc“ stilistisch zwischen den Stühlen: weder ist es akademisch glatt, noch avantgardistisch unkonventionell. Sein Schöpfer Thédore Rousseau zählt eigentlich zur „Schule von Barbizon“, die den Impressionisten vorausging. Von einem 1300 Meter hohen Pass aus hielt er ein Panorama des Genfer Sees vor den Jura-Alpen fest: als klar angelegte Komposition, doch im Detail beinahe pointillistisch getüpfelt. Das gefiel der Salon-Jury von 1867.

 

Wobei nur eine Minderheit der Exponate den Übergang gleichsam in sich abbildet. Die meisten sind sehr wohl einem der dominierenden Stile zuzuordnen, etwa dem Orientalismus. Gemälde wie „Die Quelle am Feigenbaum, Ain Kerma“ von Gustave Achille Guillaumet, ein „Ausflug des Harems“ in einer Barke auf dem Nil von Jean-Léon Gérôme oder der überlebensgroße „Ägypter“, den Laurent Bouvier eine Schale voller Zitronen auf dem Kopf tragen lässt, spiegeln handwerklich vollendet Fernweh und Exotismus-Sehnsüchte ihrer Epoche wider. Alle waren seinerzeit im Salon zu sehen.

 

Ratten-Metzger im Salon

 

Anderes verblüfft durch seine Drastik. Wie der „Rattenverkäufer während der Belagerung von Paris 1870/71“, den Narcisse Chaillou schonungslos ins Bild gesetzt hat. Im Winter 1870 hatten deutsche Truppen wochenlang die französische Hauptstadt eingekesselt; dort hungerte die Bevölkerung. In ihrer Not verzehrte sie Hunde, Katzen, auch Ratten – an diese Demütigung erinnert Chaillou mit einem burlesken Genrebild, auf dem ein lustiger Geselle das aufgespießte Nagetier häutet. Kaum zu glauben, dass dieses Gemälde im Salon von 1872 präsentiert wurde.

 

Solche Aha-Effekte sind in der Ausstellung an jeder Ecke zu erleben. Am Ende erscheint der Impressionismus nicht als ästhetischer Bruch, sondern als fast schon zwingende Folgerung aus dem, was künstlerisch zuvor erprobt worden war. Von Revolution kann nur sprechen, wer nicht genau hinsieht.