Düsseldorf

Hilma af Klint und Wassily Kandinsky – Träume von der Zukunft

Wassily Kandinsky: Im Blau, 1925, Öl auf Pappe, 80 x 110 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Foto: Achim Kukulies
Wie man einen Weltstar lanciert: Die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen wollen im K20 die schwedische Esoterikerin Hilma af Klint zur Erfinderin der abstrakten Kunst hochjazzen. Im direkten Vergleich mit den Werken von Kandinsky wird jedoch deutlich: Sie war eher eine fleißige Schamanin.

Das hätte sich Hilma af Klint (1862-1944) wohl nie träumen lassen: Dass sie, die ihr Dasein weitgehend in zurückgezogener Abgeschiedenheit verbrachte, einmal zur Begründerin der Abstraktion in der Kunst hochgejubelt werden würde. Geboren in eine begüterte Offiziers-Familie, führte sie ein beständiges, an äußeren Ereignissen eher armes Leben, wie es sich für eine gesittete Bürgersfrau im 19. Jahrhundert geziemte.

 

Info

 

Hilma af Klint und Wassily Kandinsky Träume von der Zukunft

 

16.03.2024 - 11.08.2024

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr

im K20, Grabbeplatz 5, Düsseldorf

 

Begleitbuch 32 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Nach dem Kunsthochschul-Studium widmete sie sich der Malerei, meist im Kreis gleichgesinnter Frauen; mit mehreren hatte sie vermutlich Liebesbeziehungen. Schweden verließ sie nur für kurze Reisen. Um 1920 richtete sie sich auf der Insel Munsö östlich von Stockholm ein Atelierhaus ein; ihre Pläne zum Bau eines Tempels, für den sie zahlreiche Bilder schuf, nahmen nie Gestalt an. Testamentarisch verfügte sie, dass die mehr als 1000 Gemälde und 100 Notizbücher in ihrem Nachlass, den sie ihrem Neffen vermachte, erst 20 Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden dürften.

 

Geister befahlen zu malen

 

Denn af Klint wirkte nicht für die profane, sondern eine andere Welt. Schon mit 17 Jahren beteiligte sie sich an Séancen. Ab 1886 fungierte sie als Medium der Gruppe „Die Fünf“, in der sie mit Freundinnen spiritistische Sitzungen protokollierte; zwei Jahre später trat sie der „Theosophischen Gesellschaft“ bei. Nach 1900 war sie sehr produktiv – und davon überzeugt, dass ihr beim Malen übersinnliche Wesen den Pinsel führten. Was Rudolf Steiner bezweifelte, als sie ihn 1908 erstmals traf. Dennoch schloss sie sich 1920 den Anthroposophen an und besuchte fortan häufig deren Zentrale, das Goetheaneum im schweizerischen Dornach.

Feature zur Ausstellung. © K20


 

Mehr Frauen-Werke in Kunstsammlung

 

Angesichts der Sperrfrist verwundert nicht, dass die Rezeption ihres Œuvres lange auf sich warten ließ. In Gruppenausstellungen der 1990er Jahre über Okkultismus in der Malerei kamen ihre Beiträge wenig an. Die erste große Retrospektive im Stockholmer Moderna Museet, die 2013 neben weiteren Stationen in Spanien und Dänemark auch im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen war, erfuhr verhaltene Resonanz. Erst eine Werkschau im Guggenheim Museum 2018/9 mit fast 600.000 Besuchern sorgte für den Durchbruch: Seither wird nach Kräften versucht, Hilma af Klint in den Olymp der klassischen Moderne zu befördern – als Erfinderin der Abstraktion.

 

Nicht nur, weil New York immer noch das Epizentrum der Kunstwelt ist und gut eine halbe Million Amerikaner nicht irren können. Sondern vor allem, weil af Klint eine Frau war – von denen es im Kunst-Kanon nach Ansicht heutiger Geschlechtsgenossinnen arg mangelt. Da muss Abhilfe her. Ausdrücklich verfolgt die Direktorin der Kunstsammlung NRW Susanne Gaensheimer die Strategie, „gezielt Werke bedeutender Künstlerinnen der klassischen Moderne zu präsentieren und zu erwerben“. Was als bedeutend gelten darf, hängt von den Fürsprecherinnen ab.

 

Umtriebige Af-Klint-Biographin

 

Auftritt Julia Voss: Die frühere FAZ-Feuilletonredakteurin, seit 2015 Honorarprofessorin der Universität Lüneburg, hat 2020 eine Af-Klint-Biographie mit 600 Seiten veröffentlicht; inzwischen in 6. Auflage erschienen. Unermüdlich wirbt Voss für die aus ihrer Sicht verkannte Schwedin. Sie war 2022 an der Entstehung einer Graphic Novel über sie ebenso beteiligt wie zwei Jahre zuvor am Dokumentarfilm „Jenseits des Sichtbaren“, der aber in der Corona-Epidemie unterging. Auch die Ausstellung im K20 hat Voss kuratiert, gemeinsam mit Daniel Birnbaum, Ex-Direktor des Moderna Museet und Mitherausgeber des Af-Klint-Werkverzeichnisses.

 

Die Kunstsammlungen NRW besitzen mehrere Hauptwerke von Wassily Kandinsky (1866-1944), der bislang als wichtigster Wegbereiter der Abstraktion galt. Da liegt ein direkter Vergleich von ihm mit af Klint nahe – der selbstredend zugunsten letzterer ausfällt. Schließlich malte sie bereits 1906/7 ungegenständliche Bilder, während Kandinskys erste abstrakte Gemälde 1910/1 entstanden. Durchaus ähnlich inspiriert: Auch Kandinsky interessierte sich für Theosophie und Anthroposophie; in seiner einflussreichen Schrift „Vom Geistigen in der Kunst“ bezog er sich mehrfach darauf.

 

Feministischer Funktionalismus

 

Allerdings wäre es bizarr, die Entstehung der Abstraktion allein durch obskure Geheimlehren erklären zu wollen. Also interpretiert Voss sie um: Derlei sei für damalige Frauen eine „Befreiungsreligion“ gewesen, die ihnen „eine Plattform gegeben“ habe, auf der sie reüssieren konnten. So abstrus solche Esoterik heute auch erscheinen mag: Hauptsache, sie brachte die Gleichberechtigung voran. Dieser feministische Funktionalismus findet sich in vielen Details wieder, wenn die Kuratorin minutiös diverse Parallelen zwischen beiden Künstlern aufzeigt.

 

Doch im Grunde ist die Suche nach dem frühesten abstrakten Bild absurd; streng genommen zählt jedes gedankenlose Gekritzel dazu. Schon im 19. Jahrhundert waren viele Ölskizzen etwa von John Mallord William Turner oder Gustave Moreau ungegenständlich; Victor Hugo fertigte etliche solcher Tintenklecksbilder an und hatte dazu allerlei krause Ideen. Es kommt daher nicht auf die Abstraktion an sich, sondern auf damit verbundene Absichten und ihre Wirkungsgeschichte an.

 

Theoriefernes Kunstverständnis

 

Gemeinhin streiten die Gelehrten, ob Kandinsky, Piet Mondrian oder Kasimir Malewitsch der Ehrentitel gebührt, Erfinder der abstrakten Malerei zu sein – wobei weniger Jahreszahlen als vielmehr die damit verknüpften Konzepte zählen. In dieser Hinsicht ist die Position von Hilma af Klint eindeutig: Sie begriff sich als Werkzeug höherer Mächte, die mithilfe ihrer demütigen Dienerin spirituelle Botschaften auf der Leinwand festhielten. Damit glich sie eher einer Schamanin oder einem Orakel als einem autonomen Künstler im heutigen Sinne. Dagegen war Kandinsky ein eminenter Akteur der klassischen Moderne; als Expressionist im „Blauen Reiter“ wie als langjähriger Bauhaus-Lehrer.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Klee & Kandinsky – Nachbarn, Freunde, Konkurrenten" mit Werken von Wassily Kandinsky im Lenbachhaus, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Visions of Modernity" über "Impressionismus und Klassische Moderne" mit Werken von Wassily Kandinsky im Deutsche Guggenheim, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde" über Kubofuturismus + Suprematismus in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Geheimgesellschaften – Wissen Wagen Wollen Schweigen" über Esoterik in der Kunst in der Schirn, Frankfurt/Main.

 

Dass dieser fundamentale Unterschied von den Kuratoren souverän ignoriert wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf ihr theoriefernes Kunstverständnis: Was kümmert uns das Selbstverständnis der Macher – wichtig ist nur der Schauwert ihrer Werke. Womöglich ist das tatsächlich der beste Weg, eigentlich Inkommensurables trotzdem zu vergleichen. Denn in der direkten Gegenüberstellung schneiden die Arbeiten der Schwedin offenkundig eher schlecht ab.

 

Organisch gerundete Pril-Blumen

 

Kandinskys Malerei strotz vor Variantenreichtum. Geometrische Grundformen kombiniert er zu komplexen, verschachtelten Gebilden, die teils vor Energie zu vibrieren scheinen, teils eine Art Rhythmus verströmen. Kein Wunder: Der Künstler empfand synästhetisch, ordnete also jeder Farbe einen Lautwert zu. Seine Bilder sollen beim Betrachter Empfindungen wie beim Hören von Musik auslösen – mal ergreifen sie unmittelbar, mal lassen sie kalt.

 

Ganz anders die Darstellungen von af Klint: Meist kreisen und wabern organisch gerundete Formen, in denen Voss zuweilen Anspielungen auf Geschlechtsteile ausmachen will. Von spannungsvollen Kontrasten keine Spur; die Schwedin bevorzugte flächige Symmetrie in Pastellfarben, manchmal dem gesamten Spektrum wie bei Farbmusterbögen. Bedeutung soll durch Format entstehen: Für ihre Reihe „Die zehn Größten“ bemalte sie Leinwände, die 3,5 mal 2,5 Meter maßen. Diese Serie füllt den letzten Saal im K20; eine Besucherin fühlt sich erinnert an dekorative „Pril-Blumen, wie sie in den 1970er Jahren in unserer Küche klebten“.