Eldorado lag in Kolumbien – glaubten die Spanier. Der Mythos vom sagenumwobenen Land mit unermesslichen Schätzen ging auf ein lokales Ritual zurück. Priester und Herrscher des Muisca-Volks, das im Gebiet der heutigen Hauptstadt Bogotá siedelte, opferten zu feierlichen Anlässen dem Guatavita-Bergsee, der als heilig galt: Sie fuhren mit Flößen hinaus und warfen Goldgegenstände sowie Edelsteine ins Wasser. Dieser Brauch war schon obsolet, als spanische Truppen ab 1536 Zentralkolumbien erreichten – doch die Eroberer suchten fieberhaft nach der Lagerstätte.
Info
Mehr als Gold: Glanz und Weltbild
im indigenen Kolumbien
22.03.2024 - 21.07.2024
täglich außer montags 10 bis 17 Uhr,
mittwochs bis 20 Uhr
im Museum Rietberg, Gablerstr. 15, Zürich
Engl. Katalog mit deutschem Beiheft 49 CHF
Weitere Informationen zur Ausstellung
Nicht über fremde Kultur, sondern mit ihr
Die Schau entstand als Koproduktion dreier amerikanischer Museen in Los Angeles, Houston und Bogotá; sie stellen auch fast alle Leihgaben. Für das Züricher Museum Rietberg, der einzigen Station in Europa, hat man das Arrangement etwas verändert; es umfasst nun knapp 400 Exponate, wobei viele recht klein sind. Beibehalten wurde aber das ambitionierte Konzept, eine Ausstellung nicht über eine fremde Kultur, sondern mit ihr zu machen.
Trailer zur Ausstellung; © Museum Rietberg
Begrüßung mit Kokablätter-Tausch
Dafür haben die Kuratoren jahrelang das Volk der Arhuaco aufgesucht. Es lebt an Kolumbiens Nordküste in der Sierra Nevada de Santa Marta, dem höchsten Küstengebirge der Welt, und führt seine Traditionen auf die Tairona zurück, die hier sieben Jahrhunderte lang bis etwa 1600 wohnten. Die Mamos, spirituelle Führer der Arhuaco, erklärten den Besuchern ihre Weltsicht und Praktiken; nun werden sie in der Ausstellung veranschaulicht.
Etwa der Stellenwert der Koka-Pflanze: Die in weiße Baumwoll-Gewänder mit Strickhüten gehüllten Männer begrüßen sich nicht mit Worten, sondern indem sie ein paar Blätter tauschen. In ihre Kleidung haben die Frauen Muster voller Symbolik eingewebt; zwei Beispiele für nonverbale Kommunikation. Nur die Männer kauen häufig die leicht anregenden Koka-Blätter, die sie dafür mit aus Muscheln gewonnenem Kalk mischen, und sinnieren dabei vor sich hin – das nötige Zubehör wie Taschen, Kalkbehälter und Stäbe zum Portionieren ist in etlichen Varianten zu sehen.
Exponate in ihre Umwelt einbetten
Die Weltanschauung der Arhuaco ist von Ganzheits- und Gleichgewichts-Vorstellungen geprägt. Alles hängt mit allem zusammen; jedes Haus ist ein Abbild des Universums, und umgekehrt das All wie ein Haus für sämtliche Geschöpfe. Es gilt, die Balance zwischen allen Wesen und Kräften herzustellen und zu bewahren; dazu muss jeder seinen Teil beitragen. Etwa, beim eigenen Handeln stets dessen Konsequenzen für die Nachkommen bedenken: „den Vorfahren vorbereiten, der wir sein werden“, nennen es die Mamos.
Solcher Pantheismus – alles ist beseelt und damit quasi göttlich – findet sich bei vielen archaischen Völkern weltweit. Im Museum wird er aufwändig dargestellt: Filmprojektionen, Fotowände und Vogelgezwitscher sollen die Exponate gleichsam in die Umwelt einbetten, der sie entstammen. Das erscheint manchmal skurril; wie bei Fotomontagen, in denen die Objekte wie UFOs mitten in Luftaufnahmen von Regenwäldern schweben. Zudem leben die Arhuaco nur in einer von acht Regionen Kolumbiens, die in der Schau vorgestellt werden. Sie können also kaum pars pro toto alle indigenen Kulturen repräsentieren.
Gold + Kupfer als kosmische Gegensätze
Deshalb besteht diese Ausstellung eher aus zweien, die parallel nebeneinander herlaufen. Einerseits eine üppige Multimedia-Inszenierung, andererseits eine konventionelle Aufbereitung mit Schaukästen und Vitrinen voller aufgereihter Objekte. Dass ihre Datierung fehlt, um dem Arhuaco-Verständnis von Zeit als Kontinuum Tribut zu zollen, dürfte den meisten Besuchern egal sein. Wer Epochen-Angaben vermisst, findet sie im Katalog.
All das mindert nicht den Schauwert des Gebotenen; trotz des Ausstellungstitels funkeln zahlreiche güldene Gegenstände um die Wette. Oft mit rötlichem Schimmer, denn sie bestehen aus tumbaga; einer Legierung aus Gold und Kupfer, die eine Verschmelzung kosmischer Gegensätze symbolisiert. Durchsetzt mit Akzenten aus Platin, das damals nur in Kolumbien verarbeitet wurde, Quarz und Smaragden.
Behindert breiter Nasenschmuck das Atmen?
Am faszinierendsten ist aber das Menschenbild, das in diesen Artefakten bei allen regionalen Unterschieden zum Ausdruck kommt. Die Auffassung des Antlitz‘ ist häufig streng stilisiert: Köpfe wie Quader, kreisrunde Kugeln oder schmale Schlitze als Augen, leere oder mit Reißzähnen besetzte Höhlen als Münder. Kantige Steinhäupter dienten als Stelen, aufgeblähte Leiber mit winzigen Gliedmaßen als Graburnen, anthropomorphe tunjo-Votivfigürchen waren für Opfer bestimmt.
Noch fantastischer fallen Schmuckstücke aus. Goldene Anhänger, Ohrpflöcke und Brustplatten sind verwegen kombiniert aus menschlichen Zügen und animalischen Elementen von Vögeln, Schlangen oder Fledermäusen. Bei ausladend breitem Nasenschmuck fragt man sich unwillkürlich, wie dessen Träger ihn wohl im Gesicht befestigt haben mag – und wie er damit noch atmen oder essen konnte.
Wenig nichtwestliche Blockbuster-Schauen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Das göttliche Herz der Dinge" – facettenreiche Präsentation präkolumbischer Kunst im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Nasca: Im Zeichen der Götter – Archäologische Entdeckungen aus der Wüste Perus" – grandiose Themenschau in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Bericht über den Film "Thinking like a Mountain" – exzellentes Doku-Porträt des indigenen Volkes der Arhuaco in Kolumbien von Alexander Hick
und hier einen Beitrag über den Film "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – atemberaubendes Historien-Drama am kolumbianischen Amazonas von Ciro Guerra.
Bekannt war das immer, doch mittlerweile wird es lautstark angeprangert. Was auf den Kulturbetrieb zurückfällt: Ab den 1990er bis Ende der 2010er Jahre gab es zahlreiche Blockbuster-Ausstellungen, die nichtwestliche Kulturen der Vergangenheit vorstellten. Seither kaum noch; um Protesten von Aktivisten zu entgehen, versuchen sich viele Museen an der eigenen Dekolonisierung. Die verkrampft volkspädagogischen Ergebnisse gefallen vor allem selbst ernannten postkolonialen Aktivisten – das breite Publikum wendet sich schulterzuckend ab.
Nachfahren kommentieren Ahnen-Kunst
Angesichts dieses Dilemmas zeigt die Züricher Schau einen Ausweg auf. Sie leugnet nicht, wie grausam die Pretiosen geraubt wurden, die in den Depots lagern; ebensowenig, dass heutige Unkenntnis über ihre Gestaltung und Verwendung durch brutale Vernichtung ihrer Schöpfer bedingt ist. Sie plädiert aber auch nicht für wohlfeile Sühne-Akte durch Rückgabe an die Herkunftsländer – an wen genau? Und was geschieht dann damit?
Stattdessen bringt sie die glanzvollen Zeugnisse einer schwer zu entschlüsselnden Geschichte mit denen zusammen, die noch am ehesten darüber Auskunft geben können: den heutigen Nachfahren derjenigen, die sie einst hergestellt haben. Um so viel Wissen wie möglich zu bündeln und ohne Agitprop-Agenda dafür Interesse zu wecken; wenn das wie hier so überzeugend gelingt, ist schon viel erreicht.