Levan Akin

Crossing: Auf der Suche nach Tekla

Die lebenslustige Lia (Mzia Arabuli) tanzt auf der Strasse. Foto: Mubi
(Kinostart: 18.7.) Verlorengehen und Selbstfindung in Istanbul: Auf der Suche nach ihrer Trans-Nichte verschlägt es eine georgische Lehrerin und ihren Begleiter in die Halbwelt der Bosporus-Metropole. Regisseur Levan Akin feiert die Solidarität im LGBTQI-Milieu, trägt dick auf und bleibt doch authentisch.

Lia (Mzia Arabuli) ist zwar im Ruhestand, doch die Lehrerin, die sie früher war, steckt immer noch tief in ihr. Steif und stets um ein kontrolliertes Auftreten bemüht – so lernen die Zuschauer sie anfangs kennen. Sichtbar konsterniert stakst sie zwischen Bruchbuden umher, auf der Suche nach ihrer Nichte Tekla. Die nun 28-jährige Transfrau wurde vor Jahren von ihrer Familie verstoßen. Nun soll Lia sie nach Hause holen – das hat sie ihrer Schwester auf dem Sterbebett versprochen.

 

Info

 

Crossing: Auf der Suche nach Tekla

 

Regie: Levan Akin,

106 Min, Georgien/ Türkei/ Frankreich 2024;

mit: Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanlı 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Tekla, so heißt es, wurde zuletzt an diesem heruntergekommenen Strand nahe der georgischen Hafenstadt Batumi gesichtet; er ist offenbar ein Hotspot für Prostitution. Viel erreicht Lia bei ihrer Suche nicht, doch immerhin trifft sie auf einen ehemaligen Schüler. Der kann oder will ihr nichts übers Teklas Verbleib verraten. Sein jüngerer Halbbruder Achi (Lucas Kankav) jedoch wittert eine Chance, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und in Istanbul neu anzufangen. Dorthin hat sich angeblich seine Mutter vor Jahren abgesetzt.

 

Fast wie im Buddy-Film

 

So behauptet Achi, eine Adresse von Tekla in Istanbul zu haben und Lia zu ihr führen zu können – vorausgesetzt, sie nimmt ihn mit. Zwei höchst unterschiedliche Charaktere raufen sich einer gemeinsamen Mission zuliebe zusammen: Mit dieser klassischen Buddy-Movie-Konstellation beginnt der atmosphärische dichte, bisweilen etwas langatmige und doch eindrückliche Film von Levan Akin.

Offizieller Filmtrailer


 

Rückkehr nach Batumi

 

Es ist bereits seine zweite Regiearbeit, die sich mit der Situation der LGBTIQ-Community in Georgien beschäftigt. 2019 wurde die georgische Premiere seines mitreißenden Dramas „Als wir tanzten“ von heftigen Protesten begleitet; nach wenigen Tagen musste der Film abgesetzt werden. Denn er erzählte von zwei Männern, die sich ausgerechnet in einer Bastion traditioneller Werte kennen und lieben lernen: der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis.

 

Wohl nicht zufällig hat der schwedische Regisseur mit georgischen Wurzeln für den Nachfolgefilm einen Schauplatz gewählt, an dem die Proteste seinerzeit besonders hoch kochten: Batumi am Schwarzen Meer; dort nimmt Lias und Achis Reise ihren Ausgang. Die tief verwurzelte Homophobie der georgischen Gesellschaft spielt in diesem Film allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

 

Istanbul im Fokus

 

In „Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ steht ein anderer Ort im Fokus: die Millionen-Metropole Istanbul. Besonders in die Milieus der eher randständigen Bewohner der Stadt taucht der Film tief ein. Das deutet sich bereits an, als Lia und Achi mit der Fähre über den Bosporus ihrem Ziel entgegenfahren.

 

Die Kamera löst sich von den beiden Reisenden und fängt ein buntes Kaleidoskop von Menschen ein, die auf dem Schiff unterwegs sind. Diese lange Kamerafahrt ist eine der eindrücklichsten, die es seit langem im Kino zu sehen gab; sie zeichnet ein stimmungsvolles, wenn auch etwas sozialkitschiges Gesellschaftspanorama. Immer wieder nutzt Akin solche dokumentarischen Elemente für seinen Film.

 

Plädoyer für Wahlverwandtschaften

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Als wir tanzten" – mitreißendes Coming-Out-Ballett-Drama in Georgien von Levan Akin

 

und hier eine Besprechung des Films "Wet Sand" – sorgfältig inszeniertes Queer-Drama aus Georgien von Elene Naveriani

 

und hier einen Bericht über den Film "Joyland" – originelles Melodram über die Liebe zu einer Trans-Frau in Pakistan von Saim Sadiq

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die langen hellen Tage" – stimmungsvolles Porträt zweier Freundinnen im Georgien der chaotischen 1990er Jahre von Nana Ekvtimishvili + Simon Groß.

 

Nebenbei führt die Kamera in dieser Einstellung Figuren ein, die der Zuschauer in nächsten anderthalb Stunden näher kennenlernen wird. Da sind zum einen die Transfrau und Aktivistin Evrim (Deniz Dumanli), die gerade auf ihre Zulassung als Anwältin wartet, und zum anderen zwei Straßenkinder. Ein älterer Junge, dessen Mutter immer wieder verschwindet, kümmert sich um ein kleines, ganz sich selbst überlassenes Mädchen, indem er Touristen trickreich das Geld aus der Tasche zieht.

 

Immer wieder legt Akin, der auch das Drehbuch schrieb, bewusst falsche Fährten – angefangen mit der Frage, worum es in seinem Film eigentlich geht. Die Geschichte scheint vordergründig von dem Versuch zu erzählen, ein innerfamiliäres Zerwürfnis zu kitten, ist aber eigentlich vor allem ein leidenschaftlicher Plädoyer für Wahlverwandtschaften. Zudem wird Evrim auf eine Weise eingeführt, die suggeriert, dass sie etwas mit Tekla zu tun haben könnte.

 

Eindrückliche Gesten, authentische Darstellung

 

Das erweist sich als Trugschluss, auch wenn sie die Reisenden Tekla ein Stück näherbringt. Vor allem aber spürt Akin den Rissen nach, die Lias Selbstwahrnehmung bekommt, als sie sich in unvertrauter Umgebung erstmals ihren Mitmenschen wirklich öffnet. Wie Hauptdarstellerin Arabuli das mit kleinen Gesten auf die Leinwand bringt, ist beeindruckend.

 

Der Solidarität unter den Außenseitern in einem repressiven System und dem Zusammenhalt innerhalb einer Notgemeinschaft gilt die Sympathie des Films. Das spiegelt sich, wenn auch mitunter etwas dick aufgetragen, in der authentisch wirkenden Darstellung der Schauplätze und Milieus.