Berlin

Göttinnen und Gattinnen – Frauen im antiken Mythos

Attisch-rotfigurige Pelike: Amazonen im Kampf, Anfang 4. Jh. v. Chr.. Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung / Johannes Laurentius
Aphrodite, Medea oder Medusa: Welche Bedeutung haben Frauenfiguren der antiken Mythologie aus heutiger weiblicher Sicht? Diese feministische Fragestellung beantwortet das Alte Museum nur ansatzweise – aber die Appetithäppchen der Sonderschau locken in die großartige Dauerausstellung.

So stellt man sich die Liebesgöttin Aphrodite vor: als Nackte mit kokett ausgestellter Hüfte, ihr Körper ist jung, schlank und makellos. Doch warum hält die Statue ein Schwert in der linken Hand? Setzt sie ihre Schönheit als Waffe ein? Drückt sich darin sexuelle Aggressivität aus? Oder hat sie gar eine politische Bedeutung? Auch wenn die Darstellung überrascht – das Motiv der bewaffneten Venus ist nicht ungewöhnlich. Es soll bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. vorkommen.

 

Info

 

Göttinnen und Gattinnen –
Frauen im antiken Mythos

 

24.05.2024 - 16.03.2025

 

mittwochs - freitags 10 bis 17 Uhr

samstags + sonntags bis 18 Uhr

im Alten Museum, Am Lustgarten, Berlin

 

Katalog 34,80 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Ebenso ungewöhnlich ist die römische Statue einer Athena aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.: Die stattliche, würdevoll gekleidete Frau trägt einen winzigen, hilflosen Säugling auf dem Arm. Da zeigt sich die sonst so kriegerische Schutzgöttin von ihrer fürsorglichen Seite. Beide Beispiele machen deutlich: Es wäre zu vereinfachend, mythologische Frauenfiguren der Antike auf stereotype Eigenschaften zu reduzieren.

 

Merkmale jenseits des Geläufigen

 

Nach dem Schema: Aphrodite ist verführerisch, Penelope die treue Gattin Odysseus‘, Medea eine rachsüchtige Rasende, die ihre Kinder tötet, oder Medusa ein Sinnbild der Bosheit mit Knollennase und herausgestreckter Zunge im Fratzenmund. Trotz ihrer geläufigen Attribute finden sich an antiken Kunstwerken auch Merkmale, die Anlass zu ganz anderen Deutungen geben. Solche Aspekte beleuchtet die Ausstellung – für einen Vergleich antiker Rollenbilder von Frauen mit zeitgenössischen.

Impressionen der Ausstellung


 

Hillary Clinton mit Haupt der Medusa

 

Denn Frauenfiguren der Mythologie begegnet man immer noch häufiger, als es den Anschein hat. Im Stadtwald steht vielleicht ein Denkmal mit der Jagdgöttin Artemis, oder auf einem Gebäudefries fleht eine geraubte Persephone um Hilfe. Auch in der Reklame wird gern mit ihnen geworben, etwa mit Venus für Körperpflegeartikel. Dagegen zeichnen Karikaturisten mächtige Politikerinnen wie Hillary Clinton schon einmal als furchteinflößendes Haupt der Medusa.

 

Offenbar haben selbst nach mehr als zwei Jahrtausenden manche Mythen ihre Faszination und Wirkmacht immer noch nicht eingebüßt. So sind in den letzten Jahren im angelsächsischen Raum etliche Romane und Sachbücher zu antiken Frauenfiguren erschienen, die sie feministisch uminterpretieren – als Vorbilder jenseits herkömmlicher Klischeevorstellungen, für ein weibliches Selbstverständnis im #MeToo-Zeitalter.

 

Lockvogel für junges Publikum

 

Dafür präsentiert die Ausstellung eine Reihe von Anknüpfungspunkten. So lassen sich Aphrodite, Athena und Artemis nicht auf weibliche Rollenbilder eingrenzen, die vor allem im bürgerlichen Zeitalter des 18. und 19 Jahrhunderts tonangebend waren. „Sie sind weder treue Ehefrau noch fürsorgliche Mutter. Aphrodite hat Sex, mit wem sie will. Athena und Artemis bleiben immer jungfräulich und gehen die gesellschaftlich wichtige Ehe erst gar nicht ein. Dennoch sind sie zentral für die menschliche Gemeinschaft: Athena als weise und bewaffnete Stadtgöttin, Artemis als Göttin des Übergangs in das Erwachsenenalter, Aphrodite als Göttin ehelicher (!) Liebe“, heißt es dazu im Katalog.

 

Auch wenn das Konzept etwas penetrant an aktuelle Modedebatten anknüpft, hat es zwei Vorzüge: Erstens bietet es einen Anlass, um selten gezeigte Stücke aus dem Depot zu holen – so war die Aphrodite mit Schwert seit den 1930er Jahren nicht mehr zu sehen. Zudem hofft das als ehrwürdig verstaubt geltende Museum, mit diesem Thema vor allem ein jüngeres Publikum anzusprechen und für die fantastische Antikenkollektion des Hauses zu interessieren.

 

Sehr überschaubarer Umfang

 

Doch das Anliegen, gleich ein Dutzend Frauenfiguren der Mythologie – von den Amazonen über Athene, Atalante, Artemis, Aphrodite, Hera, Kirke, Medea, Medusa und Omphale bis zu Penelope und Persephone – mithilfe antiker Stücke neu zu bewerten, sprengt den sehr überschaubaren Rahmen. Im Sonderausstellungsraum des Museums sind sechs große Statuen und rund 100 andere, mitunter winzige Objekte versammelt. Dazu kommen sieben monumentale Skulpturen in der Dauerschau.

 

Diese Zusammenstellung soll elementare Fragen beantworten – etwa, was genau eine Heldin ausmacht, oder ob selbst ein Monster wie Medusa zum feministischen Vorbild taugt. Dabei sind weder der Begriff der Antike noch die griechische und römische Mythologie eindeutig und einheitlich. Schon die maßgeblichen schriftlichen Quellen weichen erheblich voneinander ab. Beschreibt etwa Homer in seiner „Odyssee“ Penelope als kluge, tugendhafte Ehefrau, die geduldig auf ihren Gatten wartet und alle Freier listig abschmettert, erscheint sie bei Ovid als fast verzweifelte Heulsuse, die ihren Mann in einem Brief flehentlich zur Rückkehr zu bewegen versucht.

 

Radikal unterschiedliche Deutungen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Antike Welten" mit Meisterwerken der griechischen + römischen Kunst im Alten Museum, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Rückkehr der Götter" über antike Mythologie im Römisch-Germanischen Museum, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kleopatra. Die ewige Diva" - Darstellungen der legendären Herrscherin in der Bundeskunsthalle, Bonn.

 

Auch diese Version wird verschieden gedeutet. Während manche Ovids Penelope als sexbesessen betrachten, heben andere die Menschlichkeit der Ehefrau hervor, die ihren Emotionen freien Lauf lässt. So unterscheiden sich die Interpretationen auch anderer berühmter Frauengestalten teilweise radikal. Zu diesem enorm weiten Spektrum haben die Exponate der Ausstellung wenig zu sagen.

 

Da ist etwa das Haupt der Penelope aus römischer Zeit zu sehen, die Kopie eines griechischen Originals von 470 v. Chr. Der Kopf ist leicht geneigt, das Antlitz zeigt eine in Gedanken versunkene, in sich ruhende Frau von altersloser Schönheit. Mag sein, dass etwas Trauer in ihrem Gesichtsausdruck mitschwingt; aber sie ist keinesfalls verzweifelt.

 

Schlaglichter als Appetithäppchen

 

Eine andere Penelope-Skulptur ist ein Torso aus derselben Epoche. Unter dem aufwändig modelliertem Faltenwurf des Gewands lässt er die verführerischen Körperformen einer Frau erahnen, die Freier anzulocken vermag. Gleichzeitig umfasst ihre geschlossene Faust einen Gegenstand, wohl eine Wollspindel, mit dem sie jene von sich fernhält. Attraktivität und kluge List in Marmor gemeißelt – so kunstvoll, dass die Gestalt auch nach 2500 Jahren noch beeindruckt. Aber was sagt das über das damalige Rollenverständnis aus?

 

Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Frauenfiguren in der Ausstellung. Ob lebensgroße Skulpturen oder filigrane Darstellungen auf Tongefäßen, Trinkschalen, winzigen Gemmen und anderen Schmuckstücken: Bei aller handwerklichen Perfektion werfen sie nur Schlaglichter auf die Frauenfiguren, die sie repräsentieren. Zumindest würde man sich wünschen, dass die Berliner Antikensammlung aus ihren umfangreichen Beständen eine größere Bandbreite von Rollenbildern darstellen. So bleibt es bei Appetithäppchen, die allenfalls Lust machen, die erstklassigen Stücke der Sammlungspräsentation mit geschärftem Blick neu zu entdecken.