Gabriela Cowperthwaite

I.S.S.

Masha Mashovka (Weronika Vetrov), Christian Campbell (John Gallagher Jr.) und Alexey Pulov (Pilou Asbæk, v.l.n.r.) begutachten die Raumkapsel der I.S.S.. Fotoquelle: Universal Pictures International Germany
(Kinostart: 18.7.) Weltkrieg auf engstem Raum: Die früher so symbolträchtige internationale Raumstation I.S.S. dient Regisseurin Gabriela Cowperthwaite als Schauplatz für ein Psycho-Planspiel. Ein Kriegsausbruch auf Erden springt auf die russisch-amerikanische Besatzung über – wobei alle verlieren.

Als 1998 die erste internationale Crew ihren Dienst auf der Raumstation I.S.S. („International Space Station“) antrat, war der Kalte Krieg auch im Weltraum endlich Geschichte. Ein friedliches Forschungslabor in der Erdumlaufbahn für Wissenschaftler aus Russland, den USA, Europa, Kanada und Japan – nach dem aggressiven Wettrüsten der 1980er Jahre war das eine Sensation. Trotz aller Wechselfälle der irdischen Politik bleibt die I.S.S einer der wenigen Orte, an denen internationale Zusammenarbeit ideologiefrei zu funktionieren scheint.

 

Info

 

I.S.S.

 

Regie: Gabriela Cowperthwaite,

96 Min., USA 2023;

mit: Ariana DeBose, Chris Messina, John Gallagher Jr.

 

Weitere Informationen zum Film

 

Videos der wechselnden Crews, die sich zu Halloween albern kostümierten oder ihre Sangeskünste demonstrierten, schufen Sympathie und ein wenig Hoffnung. Inzwischen hat Russland allerdings seinen Rückzug aus dem Projekt bis spätestens 2028 angekündigt. Das macht die I.S.S. zum Symbol für enttäuschte Erwartungen und öffnet Spielräume für Kino-Planspiele: Was passiert, wenn sich politische Konflikte auf den Orbit ausweiten? Dieser Frage geht der Film von Gabriela Cowperthwaite nach. 

 

Abwechslung durch neue Crewmitglieder

 

In naher Zukunft stoßen darin zwei neue Crewmitglieder zur vierköpfigen Besatzung der I.S.S. Die Begrüßung der beiden Amerikaner ist herzlich und feuchtfröhlich, denn Neuankömmlinge bedeuten Abwechslung im eher gleichförmigen Stationsalltag. Die aus drei Russen und einem weiteren Amerikaner bestehende Stammbesatzung ist bereits aufeinander eingespielt und teilweise mehr als nur befreundet. Man führt gemeinsam Experimente durch und muss dabei miteinander auskommen, denn der Platz ist arg begrenzt.

Offizieller Filmtrailer


 

Die Station durch Dr. Kiras Augen

 

Privatsphäre gibt es nur ansatzweise in einer winzigen Schlafkoje an der Wand, die kaum Platz für eine Person bietet. Vor allem die US-Biologin Dr. Kira Foster (Ariana DeBose) tut sich schwer mit den beengten Verhältnissen an Bord. Die  Schwerelosigkeit macht nicht nur ihr, sondern auch ihren mitgebrachten Labormäusen zu schaffen, zu denen sie eine fast mütterliche Beziehung hat.

 

Aus ihrer zunächst naiven Perspektive erkundet der Film erst einmal die Station. Alles wirkt recht zusammengebastelt, improvisiert und be- bis abgenutzt. Diese I.S.S. sieht aus wie die echte Raumstation; hier gibt es keine Kommandobrücke mit strahlend weißen Hightech-Geräten. Mit den Basisstationen auf der Erde kommuniziert man nicht mittels in Sci-Fi-Filmen üblichen Riesenbildschirmen, sondern mithilfe von handelsüblich aussehenden Laptop-Computern. Dafür entschädigt der Panoramaausblick auf die Erde, den die Crewmitglieder oft und ausgiebig genießen.

 

Krieg im Orbit

 

Eines Tages werden auf der Erdoberfläche seltsame Blitze sichtbar; sie erweisen sich als Einschläge von Kernwaffen-Raketen. Zwischen den USA und Russland ist offenbar ein Atomkrieg ausgebrochen. Bald erhalten die beiden Kapitäne, der Russe Nicolai Pulov (Costa Ronin) und der Amerikaner Gordon Barrett (Chris Messina), von ihren jeweiligen Regierungen ähnlich lautende Aufträge: Sie sollen die Kontrolle über die Station um jeden Preis an sich reißen. Vor allem sollen bestimmte geheime Forschungsergebnisse nicht in die Hände der Gegner geraten.

 

Während die wissenschaftlich denkenden Frauen Kira und ihre Kollegin Weronika Vetrov (Masha Mashovka) weiter den Status Quo zu wahren versuchen, schalten die militärisch geschulten Männer sofort innerlich auf Kriegsmodus um. Einander misstrauisch beäugend, versuchen sie, eine Strategie zur Befehlserfüllung zu entwickeln. Allmählich setzt bei allen Paranoia ein. Außer Kira, die keine Verwandten auf der Erde hat, sind zudem alle um ihre Familien besorgt.

 

Menschen in Extremsituationen

 

Hintergrund

 

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Dann gerät die Raumstation langsam, aber unaufhaltsam in Sinkflug, für den es keine Erklärung gibt; überdies unterbricht ein Defekt an der Außenantenne die Funkverbindung mit der Erde. Diese technische Störung lässt sich nur beheben, indem ein Astronaut einen Weltraumspaziergang riskiert. Statt dabei aber an einem Strang zu ziehen, verfolgen die beiden Kapitäne schon längst eigene Ziele. Bei diesem Ausflug ins All hat der Zuschauer zum ersten Mal den Eindruck, wirklich im Weltraum zu sein – zuvor blieb das Geschehen auf den klaustrophobisch engen Innenraum der Station beschränkt.

 

Regisseurin Cowperthwaite, die ihre Laufbahn als Dokumentarfilmerin begann, interessiert sich sichtlich kaum für Hochtechnologie oder Weltraumpanoramen. Stattdessen versucht sie zu ergründen, wie sich die Extremsituation auf die Betroffenen auswirkt. Die Reaktionen der Protagonisten sind – je nach Charakter – irrational, brutal oder selbstzerstörerisch. Bald fließt Blut, das daraufhin tröpfchenweise im Raum herumschwebt.

 

Keine Helden oder Sieger

 

Manche Gewaltausbrüche geraten der Regie etwas theatralisch oder unmotiviert; sie fügen sich aber schlüssig in die Erzählung ein, die keine Helden oder Sieger kennt, sondern nur Verlierer. Zwar können einige Crew-Mitglieder am Ende die rettende Raumkapsel Richtung Erde besteigen. Was sie aber dort erwartet, steht in den Sternen – und das fühlt sich leider sehr real und gegenwärtig an.