Emma Stone + Willem Dafoe

Kinds of Kindness

Raymond (Willem Dafoe) and Vivian (Margaret Qualley) . Foto: © 2024 Searchlight Pictures All Rights Reserved
(Kinostart: 4.7.) Zurück zu den wunderlichen Wurzeln: Seinem Ausflug in den Mainstream mit “Poor Things” lässt Regisseur Giorgos Lanthimos ein rästelhaftes Triptychon folgen, das an seine eigenen Anfänge in Griechenland erinnert. Mit dabei sind wieder Emma Stone und Willem Dafoe.

Robert (Jesse Plemons) fährt einen SUV und hält sich meist in den klimatisierten Büroetagen und pompösen Villen der amerikanischen Oberschicht auf. Mit seiner Frau Sarah (Hong Chau) bewohnt er selbst ein geräumiges, freistehendes Haus in einer durchgrünten Vorstadt. Der Ton in diesem Milieu ist floskelhaft höflich, jede Bewegung eigentümlich bedächtig. Ein alles umfassender Luxus dämmt die Geräusche der Realität und tränkt die Welt wie bei David Lynch in gespenstische Gesichtslosigkeit.

 

Info

 

Kinds of Kindness

 

Regie: Giorgos Lanthimos,

164 Min., Irland/ Großbritannien 2024;

mit: Emma Stone, Willem Dafoe, Jesse Plemons

 

Weitere Informationen zum Film

 

Doch Roberts gutes Leben ist zu einhundert Prozent abhängig von seinem Chef Raymond (Willem Dafoe). Von ihm erhält Robert jeden Morgen eine Auflistung all der Dinge, die er den Tag über zu tun hat – selbst sein Liebesleben und seine Speisenfolge werden darin geregelt. Wirklich bewusst wird ihm diese Asymmetrie erst, als er sich eines Tages weigert, einen von Raymonds Aufträgen auszuführen.

 

Unfähig zu eigenen Entscheidungen

 

Daraufhin entzieht sein Gönner ihm die Zuwendung. Von nun an ist Robert auf sich selbst gestellt. Statt allerdings die Gelegenheit zu nutzen, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen, leidet er unter dem Liebesentzug und ist komplett überfordert, eigene Entscheidungen zu treffen. Ohne Raymonds Anleitung wird Robert mit dem Leben nicht fertig. Also beschließt er, alles zu tun, um die Zuwendung des Übervaters zurückzugewinnen.

Offizieller Filmtrailer


 

Zurück zur sperrigen Kost

 

So beginnt „Kinds of Kindness“ von Giorgos Lanthimos. Der Episodenfilm feierte im Mai im Wettbewerb von Cannes seine Premiere – nur ein halbes Jahr, nachdem der Vorgängerfilm „Poor Things“ mit ähnlicher Besetzung bei den Filmfestspielen von Venedig den Hauptpreis gewann. Nach der zuletzt erreichten, gradlinigen Leichtigkeit kehrt der Regisseur und Autor nun zu den surrealen Experimentieranordnungen seiner Anfänge zurück: der von ihm mitbegründeten „Neuen Griechischen Welle“ um 2010, zu der außer ihm auch Athina Rachel Tsangari und Syllas Tzoumerkas gerechnet werden.  

 

Schon über die Logos der Produktionsfirmen legt er statt der üblichen Fanfaren den Song „Sweet Dreams (Are Made of This)“ des britischen Synthiepop-Duos Eurythmics aus dem Jahr 1983. Der handelt davon, woraus süße Träume gemacht sind und wie sie die Träumenden benutzen (oder missbrauchen) oder sich von ihnen benutzen und missbrauchen lassen. Diese Zeilen bilden die Ouvertüre zu allem, was folgt. Und das ist, verglichen mit der sexpositiven Steampunk-Befreiungsutopie „Poor Things“, wieder deutlich sperrigere cineastische Kost.

 

Triptychon der Zumutungen

 

Dafür hat Lanthimos einmal mehr mit dem Drehbuchautoren Efthimis Filippou zusammengearbeitet. Filippou ist der Mann, der sich die absurden Szenarios ausdenkt, denen der Regisseur seinen Ruf verdankt: „Dogtooth“ (2009), „Alpen“ (2011), „The Lobster“ (2015) und „The Killing of a Sacred Deer“ (2017). Während der Arbeit an „Kinds of Kindness“ sei ihnen das Projekt zum Triptychon geraten, sagt Lanthimos. Ein Episodenfilm erschien dem Duo „komplexer und ansprechender“ als eine lineare Erzählung.

 

Auf den oben geschilderten ersten Teil folgen also zwei weitere, auf den ersten Blick von ihm unabhängige Episoden. Zusammengehalten werden alle drei durch eine gemeinsame Grundstimmung, Mehrfach-Besetzungen der Rollen, eine Reihe verwandter Themen sowie einen ominösen Charakter namens R. M. F. (Giorgos Stefanakos). Der hat zwar keinen eigenen Text, fungiert aber für alle drei Teile als Titelgeber. Nichts von alldem trägt dazu bei, den Film leichter verständlich zu machen. Doch genau das scheint es zu sein, worauf Lanthimos aus ist: mehr Experiment, mehr Zumutungen für die Zuschauer.

 

Der geheimnisvolle R.M.F.

 

Auf die erste knappe Stunde unter dem Titel „The Death of R. M. F.“ folgen die Episoden „R. M. F. is flying“ und „R. M. F. eats a Sandwich“. In ersterer leidet der Polizist Daniel (wieder gespielt von Plemons) darunter, dass seine Frau Liz, eine Forscherin (Emma Stone, die in der ersten Episode in einer Nebenrolle auftaucht), verunglückt ist. Als sie schließlich doch wieder zu ihm nach Hause zurückkehrt, erkennt er sie nicht wieder. Er versteift sich darauf, dass sie nicht echt, sondern eine Art Replikant ist und fordert zunehmend blutigere Liebes- und Echtheitsbeweise von ihr, um diesen Zweifel auszuräumen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Poor Things" - opulent-eindimensionales Sex-Horror-Märchen von Giorgos Lanthimos

 

und hier eine Besprechung des Films "The Favourite – Intrigen und Irrsinn" – brillantes Kammerspiel am englischen Hof von Giorgos Lanthimos

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Lobster" – grotesk surreale Beziehungs-Dystopie von Giorgos Lanthimos 

 

und hier einen Bericht über den Film "The Killing of a Sacred Deer" – absurder Familien-Psychothriller von Giorgos Lanthimos.

 

Das abschließende Kapitel „R. M. F. eats a Sandwich“ gehört dann ganz Emma Stone. Deren Charakter Emily hat für eine Sekte Mann und Kind verlassen und ist nun mit ihrem Kollegen Andrew (Plemons) auf der Suche nach einer Heilsbringerin. Sie reisen im Auftrag ihres väterlichen Gurus Omi (Dafoe) und seiner Frau Aka (Chau). Wieder geht es um den Übergang von Vertrauen und Geborgenheit zu Macht, Missbrauch und Abhängigkeit.

 

Kein Moment der Wahrheit

 

Alle drei Episoden werden getragen durch das grandiose Spiel der immer wieder auftretenden Darsteller, die ihre Rollen mit unterschiedlichen Energien und Eigenheiten ausstatten. Die Themen, um die die Plots kreisen, sind miteinander verwandt und scheinen einander zu spiegeln. Trotzdem sorgen sich stetig steigernde, häufig extreme und bisweilen extrem unappetitliche Einfälle dafür, dass der Gang der Dinge kaum vorhersehbar ist.

 

Auch wenn der Film mit seinen drei Episoden insgesamt um einiges zu ausufernd geraten ist, langweilt er an keiner Stelle. Immer ist er auf der Suche nach dem, was Stones Charakter Emily an einer Stelle den „Moment der Wahrheit“ nennt. Der wird zwar nie erreicht, doch um die Aufmerksamkeit zu fesseln, reicht die stete Verheißung, dass er am Ende doch wundervoll sein könnte.