Pawo Choyning Dorji

Was will der Lama mit dem Gewehr?

Die Mönche und Dorfbewohner bei einer Zeremonie. Foto: © 2023 Dangphu Dingphu: A 3 Pigs Production & Journey to the East Films Ltd.
(Kinostart: 1.8.) Graswurzeldemokratie mit Gelbstich: Vor dem Hintergrund der ersten freien Wahlen in Bhutan 2006 inszeniert Regisseur Pawo Choyning Dorji eine harmonieselige Dramödie im Himalaya-Staat – mit respektvoll gelassenen Laiendarstellern in idyllischer Bergwiesen-Kulisse.

Die letzten weißen Flecken des Planeten füllen sich, sowohl touristisch als auch cineastisch. Das kleine Himalaya-Königreich Bhutan mit knapp 800.000 Einwohnern, das sich lange gegen die Außenwelt völlig abschottete, öffnet sich behutsam seit zwei Jahrzehnten. Inzwischen ist eine begrenzte Zahl von Reisenden willkommen – wenn sie eine Einreisegebühr von 100 US-Dollar pro Aufenthaltstag zahlen.

 

Info

 

Was will der Lama mit dem Gewehr?

 

Regie: Pawo Choyning Dorji,

107 Min., Bhutan/ Taiwan 2023;

mit: Tandin Wangchuk, Kelsang Choejey, Deki Lhamo

 

Weitere Informationen zum Film

 

Noch begrenzter ist die Zahl der Filme, die in Bhutan entstehen und ihren Weg in die Außenwelt finden. Bekanntester Regisseur des Landes ist Pawo Choyning Dorji: Sein Debüt „Lunana – Das Glück liegt im Himalaya“ über einen Junglehrer, den es in ein Hochgebirgs-Dorf verschlägt, realisierte er mit winzigem Team und sehr bescheidener Ausrüstung vor Ort. Prompt wurde sein Debüt zum Festival-Hit und schaffte es auf die shortlist für den Auslands-Oscar 2022.

 

Ende der absoluten Monarchie

 

Für den Nachfolgefilm wählt Dorji ein einschneidendes Ereignis in der jüngeren Landesgeschichte. Überraschend dankte König Jigme Singye Wangchuk 2006 zugunsten seines Sohnes ab; aus einer absoluten sollte eine konstitutionelle Monarchie werden. Die neue Verfassung führte ein Zwei-Kammer-Parlament ein; mit Wahlen zum Oberhaus 2007 und zum Unterhaus 2008 wurde Bhutan de facto zur parlamentarischen Demokratie.

Offizieller Filmtrailer


 

Wahl-Simulation mit fiktiven Parteien

 

Diese Revolution von oben fiel nicht vom Himmel. Vermutlich hatte der Monarch das Negativ-Beispiel des benachbarten Nepal vor Augen, wo beim zehnjährigen Bürgerkrieg mit maostischen Guerilleros ab 1996 rund 13.000 Einwohner umkamen. 2007 wurde dort die Monarchie abgeschafft, im Folgejahr die Republik ausgerufen. Dagegen ist die Rolle des Königs in Bhutan als Staatsoberhaupt weiterhin anerkannt; das Parlament könnte ihn nur zum Rücktritt zugunsten des Thronfolgers zwingen.

 

Solche verfassungsrechtlichen Fragen kümmern die Protagonisten des Films nicht. Sie werden fast ausnahmslos von Laien verkörpert, deren respektvoll gelassener Umgang miteinander auffällt. 2006 zieht Yangden (Pema Zangmo Sherpa) mit Wahlhelfern durchs Land, um der Bevölkerung das Wahlverfahren beizubringen: als Wahl-Simulation mit drei fiktiven Parteien „Blau“ (sozialdemokratisch), „Rot“ (wirtschaftsliberal) und „Gelb“ (konservativ). Wobei die meisten potentiellen Wählern nicht verstehen, was das Ganze soll: Sie hätten doch schon einen König.

 

Lama-Gewehr als MacGuffin

 

Einige Wendehälse denken jedoch weiter und hängen sich an aussichtsreiche Kandidaten dran. So hofft der Familienvater Choepel, dass ein Bewerber der Roten seine Hilfe mit einem Posten in der Hauptstadt Thimphu belohnen wird und seine Tochter eine gute Schule besuchen kann. Andere lassen sich ihre Unterstützung handfester entgelten. Da gelingen Regisseur Dorji ein paar hübsche Spitzen zur Wähler-Loyalität in Entwicklungsländern: Programme spielen kaum eine Rolle – sondern Geld oder Geschenke.

 

Im Dorf Ura macht sich der Lama, höchste spirituelle Autorität des Ortes, seinen eigenen Reim auf die Reform: Er beauftragt den jungen Mönch Tashi (Tandin Wangchuk, Frontmann der populären Rockgruppe „Misty Terrace“), ein Gewehr zu besorgen, am besten zwei. Wozu, wie der Titel etwas plakativ formuliert (im Original heißt der Film nüchterner „The Monk and the Gun“)? Wohl kaum, um ein Massaker anzurichten. Der Verwendungszweck ist ein klassischer MacGuffin nach der Definition von Alfred Hitchcock: Alle sind hinter ihm her, aber keiner weiß genau, warum.

 

Waffensammler jagt Antiquität nach

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Sing me a Song" – kontrastreiche Doku-Fiktion, wie Internet den Alltag in Bhutan verändert, von Thomas Balmès

 

und hier eine Besprechung des Films "Chaddr – Unter uns der Fluss" – facettenreiches Porträt einer Familie in der indischen Himalaya-Region Ladakh von Minsu Park

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Indiens Tibet – Tibets Indien" – hervorragende Einführung in Kulturen + Gesellschaften im Westhimalaya im Linden-Museum, Stuttgart

 

und hier ein Bericht über die Ausstellung "Buddha – Sammler öffnen ihre Schatzkammern" – exzellenter Überblick über Meisterwerke buddhistischer Kunst aus 2.000 Jahren in der Völklinger Hütte, Völklingen

 

und hier eine Kritik des Films "Pawo" – optisch opulentes Doku-Drama über tibetischen Widerstand gegen China von Marvin Litwak.

 

Tashi gelingt es, bei einem Bauern eine uralte Flinte aufzutreiben; sie soll aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg stammen. Deshalb haben auch andere es auf sie abgesehen: der US-Waffensammler Harry Einhorn (Ronald Coleman) und sein lokaler Fremdenführer Benji (Tandin Sonam). Beide sind bereit, für die begehrte Antiquität einen hohen Preis zu bezahlen. Sie bieten Tashi sogar den Tausch gegen zwei Kalaschnikow-MGs an, doch der Mönch bleibt den Anweisungen des Lama treu.

 

Derweil schreiten die Wahlvorbereitungen munter voran. Um Wahlkampf einzuüben, spalten Yandens Helfer das Elektorat in Anhänger zweier Parteien und lassen sie die jeweils andere schmähen. Sehr zum Missfallen einer Greisin: „Warum zwingt ihr uns, grob zu sein? So sind wir nicht“. Regisseur Dorji sieht das ähnlich: In der buddhistischen Zeremonie, die den Film beschließt, werden die Waffen ihrer wenig überraschenden Bestimmung übergeben. Und bei der ersten regulären Abstimmung wählen die Dörfler zu 95 Prozent die „gelbe“ Partei – wegen der Farbe des Königshauses.

 

Gegen konsumistische Internationale

 

Das mag arg harmonieselig erscheinen. Zumal die Gesellschaft von Bhutan keineswegs konfliktfrei ist: 1990 wurden mehr als 100.000 Bürger nepalesischer Abstammung nach Nepal vertrieben, wo sie seither in Flüchtlingslagern hausen. Andererseits hat der Kleinstaat das offizielle Regierungsziel eines „Bruttonationalglücks“ hervorgebracht, in das psychologische Faktoren wie Gerechtigkeit und immaterielle wie Umweltschutz eingehen.

 

Über diesen qualitativen Indikator zur Messung von Lebensqualität reden die Industriestaaten schon seit drei Dekaden, während sie immer noch auf herkömmliches Wirtschaftswachstum starren. Als Widerstandsnest gegen die konsumistische Internationale bleibt Bhutan weiter unverzichtbar – und als idyllische Bergwiesen-Kulisse für versöhnliche Wohlfühlfilme.