Berlin + Potsdam

Noa Eshkol – No Time to Dance + Soft Power

Noa Eshkol: Palestinian Vase in a Window, 1999 (Detail); Foto: © The Noa Eshkol Foundation for Movement Notation; Fotoquelle: Georg Kolbe Museum.
Tanz der Stoffreste: Einst die teuerste aller Kunstgattungen, dann als Handarbeits-Hobby belächelt, erleben Textilarbeiten eine Renaissance. Das zeigen die Retrospektive der Israelin Noa Eshkol, die nur Abfälle verwendete, im Georg Kolbe Museum und eine etwas überambitionierte Überblicks-Schau in DAS MINSK.

Von der Bildhauerei über modernen Tanz zur Textilkunst: Tänzerinnen zählten zu den Lieblingsmotiven des Bildhauers Georg Kolbe (1877-1947). Die gleichnamige Bronzeskulptur im Garten seines Atelierhauses, des heutigen Georg Kolbe Museums, brachte ihm den Durchbruch. Oft zeichnete er Gret Palucca, die berühmte Pionierin des modernen Ausdruckstanzes. Im April 1933 entließ Palucca alle jüdischen Mitglieder ihrer Tanzschule in Dresden, darunter auch Tile Rössler. Sie eröffnete in Tel Aviv ihre eigene Schule.

 

Info

 

Noa Eshkol – No Time to Dance

 

15.03.2024 - 25.08.2024

täglich außer dienstags 11 bis 18 Uhr

im Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, Berlin

 

Begleitheft kostenlos

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Soft Power

 

16.03.2024 - 11.08.2024

täglich außer dienstags 10 bis 19 Uhr

im Das Minsk Kunsthaus, Max-Planck-Str. 17, Potsdam

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Diese Schule besuchte auch die im Kibbuz geborene Noa Eshkol (1924-2007); sie gründete später die „Chamber Dance Group“, die bis heute existiert. Größter Schatz ihres Archivs sind erstaunlich farbenfrohe Wandteppiche – hunderte davon hat Eshkol geschaffen. Sie begann damit, als 1973 der Jom-Kippur-Krieg ausbrach. Eshkol befand, dies sei „nicht die richtige Zeit zum Tanzen“ – daher der Name dieser Retrospektive zu ihrem 100. Geburtstag.

 

Stets unveränderte Umrisse

 

Ihr Blickfang sind vor allem die großformatigen Textilarbeiten in leuchtenden Farben. Genauer: Collagen aus Stoffresten, mit überbordender Fülle aus Farbtönen, Musterungen und Geweben, ob geblümt, getupft, bestickt oder aus hauchfeinem Tüll. Nie griff Eshkol zur Schere, um ihre Formen anzupassen. Sie nahm, was sie geschenkt bekam, selbst Ausschuss von Textilfabriken. Da werden etwa Kragen zu Vögeln oder Blättern; am Rande der Abstraktion changieren sie zwischen Erkennbarkeit und freiem Formenspiel. Ihre Kompositionen gestaltete die Künstlerin auf dem Fußboden, beim Zusammennähen half das ganze Tanzensemble.

Feature zur Ausstellung "Noa Eshkol - No Time to Dance". © Georg Kolbe Museum


 

Global-Geschichte aus Wegwerfmaterial

 

Doch beinahe hätte das lange geplante Ausstellungsprojekt des Kolbe Museums durch den derzeitigen Krieg im Gaza-Streifen Schaden genommen: Wie sich positionieren? Nun hängt im Entree der Wandteppich „Palestinian Vase in a Window“ von 1999. Als Fensterrechteck hat Eshkol eine komplette Kufiya eingenäht, also ein Palästinensertuch samt Fransenrand. Davor schleudern rotgemusterte Stofffetzen Farbsplitter in alle Richtungen, wie bei einer Explosion. Auch andere ausgestellte Arbeiten nehmen Bezug auf aktuelle Konflikte, wie „Village in the Ukraine“ von 1998.

 

Eshkols Bildteppiche erzählen globale Geschichten, gefügt aus textilem Wegwerfmaterial. Ergänzt werden sie durch Beiträge von vier Gegenwarts-Künstlern, etwa einem Videofilm der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Sie ließ 2018 bewaffnete Protagonistinnen durch Philadelphia marschieren – zu einem Militärfriedhof, auf dem sie ihre Gewehre mit zugeklebten Läufen in ein frisch ausgehobenes Grab warfen. „Begrabt unsere Waffen, nicht unsere Körper“ lautete der Slogan der etwas plakativ geratenen Performance „The Undertaker“.

 

Renaissance der Fadenmeisterwerke

 

Die gesamte Bandbreite zeitgenössischer Textilkunst will dagegen die Ausstellung „Soft Power“ vorführen – im 2022 eröffneten Potsdamer Kunsthaus DAS MINSK. Dieses frühere DDR-Terrassenrestaurant ist von Mäzen Hasso Plattner aufwändig renoviert worden. Aus seiner Sammlung stammen allerdings nur zwei Exponate, darunter eines von William Kentridge, bekannt für seine multimediale Großinszenierungen. In seiner südafrikanischen Heimat engagierte er vier Profi-Weberinnen, die eine historische Deutschland-Karte akribisch in eine Tapisserie verwandelten. Darüber hinweg schreitet auf Messzirkelbeinen eine schwarze Frauensilhouette. Bunter und schlicht fällt die Arbeit von Małgorzata Mirga-Tas aus; auf figurativen Wandteppichen schildert die polnische Romni meist Alltags-Episoden ihrer Gemeinschaft.

 

Solche großformatigen Stücke repräsentieren die hohe Kunst des erzählenden Bildteppichs. Sie genoss vom Mittelalter bis zum Barock höchste Wertschätzung: als kostspieliger Schmuck für Fürstenwände. Später rutschten derlei Fadenmeisterwerke in der Hierarchie der Kunstgattungen ab; Sticken, Knüpfen oder Häkeln galten als bloßes Handwerk oder Hobby. Doch mittlerweile zeichnet sich ein Wiederaufstieg ab. Auf der diesjährigen Biennale von Venedig beispielsweise steht Textiles, vor allem aus dem globalen Süden, hoch im Kurs.

 

Schau verhebt sich an Anspruch

 

Dazu will DAS MINSK einen großen, weiten Bogen schlagen: Alle derzeitigen intellektuellen Modethemen sollen verhandelt werden. Es gehe um globale Produktions- und Handelsnetze, um Kartografien und Kosmologien, alltägliche oder feierliche Rituale und manches mehr: „Die Arbeiten in der Ausstellung spiegeln die Komplexität unserer Zeit wider und sind – in einer Welt der spaltenden politischen Rhetorik – einem selbstbestimmten und lebensbejahenden Ethos der Verbundenheit verpflichtet.“ Uff. Natürlich darf auch ein queerer Schwerpunkt nicht fehlen.

 

Doch die Schau ächzt unter ihrem Anspruch und verhebt sich. Zwar sind starke Werke präsent, aber sie wurden lieblos gehängt und können ihre Wirkung nicht recht entfalten. Ihre „Soft Power“ ernst zu nehmen, hieße, ihnen genügend Raum zu geben – hier aber scheint es, als habe man sie nur als Stellvertreter für die gewünschten Aussagen herbeizitiert. Nur der Audioguide mit O-Tönen der Künstler bietet weiterführende Informationen; der Katalog ist zwei Monate nach Eröffnung immer noch nicht erschienen.

 

Heraus aus Handarbeitskränzchen-Ecke

 

Da bleibt also nur die reine Anschauung. Wie immer schillernd schön und zugleich bitter ist der Beitrag von El Anatsui. Der Künstler aus Ghana wurde weltberühmt für seine prächtigen, monumentalen Wandteppiche. Sie werden aus Verschlüssen von Schnapsflaschen, Dosendeckeln und Draht geknüpft, also dem, was sonst im Müll landet. Nicht weit davon hängt ein klassisch europäischer Quilt – eine gefütterte Decke aus farbigen Stoffstreifen, wie sie etwa in den USA seit langem Tradition sind. Die nur scheinbar schlichten Kompositionen gleichen geometrisch-abstrakter Kunst. Mehrere dieser Arbeiten von verschiedenen Künstlern sind über die Räume verteilt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Fäden der Moderne: Matisse, Picasso, Miró ... und die französischen Gobelins" in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "BATTLE: RELOADED – Margret Eicher: Medientapisserien" im Kunstmuseum Moritzburg, Halle

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "El Anatsui – Triumphant Scale" – faszinierend schillernde Wandteppiche aus Recycling-Material im Haus der Kunst, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Yael Bartana – Redemption Now" – erste große Werkschau der israelischen Videokünstlerin im Jüdischen Museum Berlin.

 

Eine Pionierin moderner Textilkunst war die 2017 verstorbene Polin Magdalena Abakanowicz. Ihr wuchtiges 3D-Objekt von 1967 beherrscht als struppiges Etwas aus Sisalseilen, Hanf und Pferdehaar den Raum. Ein Film erläutert ihren einflussreichen Vorstoß in plastische, raumgreifende Dimensionen, um materialgerecht eine ganz neue Formensprache zu gewinnen. Das war damals auch eine feministische Geste, um das belächelte Textilgestalten endlich aus der Handarbeitskränzchen-Ecke zu holen.

 

Protest-Saga aus Belarus

 

Was alles an Möglichkeiten im Umgang mit Fäden steckt, führt die Ausstellung jedenfalls nachdrücklich vor Augen. Da werden Gespinste um Säulen geschlungen und aufgespannt, gewaltiges Knotenwerk hängt von der Decke, durchscheinende Tüchlein geben sich als Bildgrund für Siebdruckcollagen her. Wobei in vielen Kulturen textile Arbeiten dazu dienen, Überlieferungen und Symbolik zu vermitteln, ohne Schrift zu verwenden.

 

Das macht sich eine Künstlerin aus Weißrussland auf hintersinnige Weise zunutze. Rufina Bazlova rollt ein sieben Meter langes Sticktuch aus. Klassischer Kreuzstich in Rot auf Weiß wirkt auf den ersten Blick recht folkloristisch. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese „Saga of Protests“ als subversive Regimekritik. Im pixelig wirkenden Rhythmus ordentlicher Kreuzstickerei marschieren Demonstranten, fahren Panzer auf und schreiten behelmte Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken voran. Sogar Machthaber Lukaschenko ist als propagandistisches Bild im Bild zugegen; erkennbar an seinem Schnurrbart. Textilkunst ist tatsächlich für einige Überraschungen gut.