Marjane Satrapi

Paris Paradies

Rafael Turina (Eduardo Noriega) und Dolorès (Rossy de Palma) beim leidenschaftlichen Tanz. Foto: © Christophe Offret. Fotoquelle: Studiocanal
(Kinostart: 8.8.) Feelgood-Tragikkomödie über den Tod: Regisseurin Marjane Satrapi dreht einen leichtfüßigen Episodenfilm zu den letzten Dingen. Ihr bunter Reigen gefällt durch schöne Bilder und gut aufgelegte Darsteller, kennt aber gegen Sterblichkeit allein ein Allheilmittel: Nur die Liebe zählt.

Ein Film wie ein leichter Rosé-Wein: Er trinkt sich nebenbei weg – außer einem angenehmen Nebelschleier bleiben am Ende weder geschmackliche Höhepunkte noch Kopfschmerzen zurück. Derlei kurzweilig Episodenhaftes prägt das Werk der französisch-iranischen Filmemacherin, Comiczeichnerin und Autorin Marjane Satrapi.

 

Info

 

Paris Paradies

 

Regie: Marjane Satrapi,

109 Min., Frankreich 2024;

mit: Monica Bellucci, André Dussollier, Eduardo Noriega

 

Weitere Informationen zum Film

 

2007 wurde sie mit der Verfilmung ihrer eigenen Graphic Novel „Persepolis“ über ihre Jugend im Iran weltweit bekannt. Ihre späteren Filme – unter anderem „Huhn mit Pflaumen“ (2011) und zuletzt „Madame Curie“ (2019) – strotzen vor kuriosen Einfällen und Einschüben, mitunter auf Kosten einer stringenten Handlung.

 

Paris bleibt im Hintergrund

 

Nun hat Satrapie einen Episodenfilm gedreht, zu dem sie auch das Drehbuch mitverfasste. Darin bleibt die französische Hauptstadt angenehm im Hintergrund. Gleichwohl gibt es auch hier typische Paris-Motive: ein Bistrot an der Straßenecke, die Seine mit ihren Brücken, ein dezent ins Bild gerückter Eifelturm. Alle Aufnahmen sind sehr sorgfältig in Szene gesetzt.

Offizieller Filmtrailer


 

Lebende Leiche im Kühlhaus

 

Das Thema der verschiedenen Geschichten hingegen ist universell: die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende. Doch Satrapi liegt es nicht, daraus etwas Bleischweres in Grautönen zu machen; stattdessen setzt sie auf schwarzhumorige, mitunter auch schrille Töne.

 

Der im Original dreisprachig (auf Französisch, Spanisch und Englisch) gedrehte Film beginnt mit einer lebenden Leiche im Kühlhaus: Die gealterte Operndiva Giovanna (fabelhaft: Monica Bellucci) ist irrtümlich für tot erklärt worden, findet aber wieder zurück ins Leben. Ihr Dirigenten-Gatte Rafael (Eduardo Noriega) fällt beim Anblick der Auferstandenen prompt in Ohnmacht.

 

Wenn die Nachrufe ausbleiben

 

Durch Giovannas Rückkehr kommt aber nicht alles ins Lot: Zahl und Umfang der Nachrufe, die zuvor in den Medien erschienen sind, lassen zu wünschen übrig. Das verstärkt enorm die Sinnkrise von Giovanna, die seit 15 Jahren nicht mehr aufgetreten ist. Im Grunde ist diese Figur völlig klischeehaft, doch es ist Belluccis nuanciertem Spiel zu verdanken, das sie nicht zur Karikatur einer selbstbezogenen Diva gerät.

 

Ohnehin ist das hochkarätige Darsteller-Ensemble sehr gut aufgelegt; schade, dass manche Figuren zu wenig Raum zur Entfaltung bekommen. Etwa die spanische Rentnerin Dolores (Rossy de Palma, Lieblings-Schauspielerin von Pedro Almodóvar): Sie raucht unbeirrbar Kette und schließt lieber einen Handel mit Gott ab, anstatt ihr Laster aufzugeben. Mit ihrer schnoddrig überzogenen Art könnte de Palma leicht einen ganzen Film tragen; hier jedoch bleiben ihr nur wenige Szenen.

 

Sadist stimuliert suizidalen Teenie

 

Hingegen wird die Episode um eine suizidale Teenagerin Marie-Cerise, die von einem Sadisten entführt wird, breit ausgewalzt. Obwohl sie ihren Lebensmut längst verloren hatte, gewinnt sie in aussichtsloser Lage die Kraft für den Neubeginn und sorgt auch noch für die Verhaftung des Täters. In diesem inhaltlich schwächsten Teil des Filmes überzeichnet die Regisseurin ins Groteske, was nicht zur heiter-ernsten Tonlage der anderen Geschichten passt.

 

Wie derjenigen über den braven Stuntman Mike: Ein schwerer Unfall seines Teenagersohnes bringt ihn dazu, seinen riskanten Beruf zu überdenken. Zugleich verliebt sich der Make-up-Artist Badou in Mike – leider ohne Chance, dass seine Gefühle erwidert würden.

 

Mit Kreativität überfrachtet

 

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Marie Curie – Elemente des Lebens" – facettenreiches Biopic über die zweifache Nobelpreisträgerin von Marjane Satrapi

 

und hier eine Besprechung über den Film "Huhn mit Pflaumen" Melodram über die iranische Elite der 1950er Jahre von Marjane Satrapi

 

und hier einen Beitrag über den Film "Wo in Paris die Sonne aufgeht" – wunderbare Tragikomödie über eine Vierecksbeziehung von Jacques Audiard.

 

Wobei es natürlich – wie könnte es anders sein – am Ende die Liebe ist, die vor dem Untergang rettet und den Mut zum Weiterleben gibt; ihr Verlust kann lebensgefährlich werden. Wie der Grandseigneur des französischen Kinos André Dussollier in der Rahmenhandlung kommentiert: „Man stirbt stets allein; Hauptsache, man lebt in Gesellschaft.“

 

Nichtsdestoweniger wirkt dieser Episodenfilm durch Satrapis überbordende Kreativität überfrachtet. Die vielen Geschichten und Ideen, die alle ineinander verwoben werden und zwischen denen die Handlung oft hin- und herspringt, erschweren dem Zuschauer die Orientierung. Jede Figur hat ein liebevoll gezeichnetes Profil, doch ihre schiere Vielzahl verunmöglicht eine klare Linie, die zur Grundidee passen würde.

 

Alles halb so schlimm

 

Zwar entsteht allerlei Kurzweil, aber das bunte Treiben erschwert, den Protagonisten näher zu kommen oder sich mit dem Thema Sterblichkeit näher auseinanderzusetzen. Alles halb so schlimm, meint man nach diesem Film – zumindest so lange die Sommersonne so herrlich über den Dächern von Paris scheint.