Irgendwann fängt wohl jeder Mensch an, über verpasste Gelegenheiten nachzudenken. Manche warten damit, bis sie nach einem geschäftigen Arbeitsleben Muße dafür haben; so auch der isländische Restaurantbesitzer Kristófer (Egill Ólaffson). Seit kurzem verwitwet und schwerkrank, erinnert er sich immer öfter an seine erste große Liebe vor mehr als 50 Jahren in London. Der ältere Herr beschließt, auf Spurensuche zu gehen, solange er noch die Kraft dazu hat. Er will herausfinden, warum seine Geliebte damals ohne Abschied verschwunden ist.
Info
Touch
Regie: Baltasar Kormákur,
121 Min., Island/ Großbritannien 2024;
mit: Egill Ólafsson, Kôki, Palmi Kormákur, Masahiro Motoki
Weitere Informationen zum Film
Ein Isländer in London
Doch weil er im Gegensatz zu ihr Interesse an anderen Kulturen zeigt, wird er vom Besitzer Takahashi-san (Masahiro Motoki) in die Grundzüge der japanischen Küche eingeweiht. Ausführlich und plastisch zeigt der Film, wie sich Kristófers Leben schnell von der Uni ins Restaurant verlagert. Neben der Kulinarik weckt auch Takahashis Tochter Miko (Kōki) sein Interesse. Das schicke Bohème-Leben der Swinging Sixties manifestiert sich vor allem in Gestalt der Gäste und natürlich durch die Musik, die ständig im Radio läuft.
Offizieller Filmtrailer
Heimliche Liebe und ein Geheimnis
Musik und eine Rauchpause im Hof des Restaurants bringen auch das erste Gespräch zwischen Miko und Kristófer in Gang. Beide fühlen sich als Außenseiter und haben eine Passion für Sprachen und Kunst. Miko bringt ihm ein paar Brocken Japanisch bei, damit er ihren strengen Vater beeindrucken kann. Er erzählt ihr von den wilden Landschaften und Sagen seiner Heimat. Bald erblüht zwischen ihnen eine heimliche Liebe.
Warum der Vater von der Beziehung nichts wissen darf, will Miko nicht erklären, obwohl Kristófer es ernst mit ihr meint und sie heiraten möchte. Eines Tages findet er das Restaurant geschlossen vor. Vater und Tochter sind spurlos verschwunden, wahrscheinlich nach Japan. Sie dort zu finden, erscheint ihm als einfachem Studenten unmöglich. Erst 50 Jahre später wird ihm klar werden, dass ihr Geheimnis mit dem Schicksal ihrer Heimatstadt Hiroshima zu tun hat, die 1945 von einer Atombombe vernichtet worden war.
Vom Action- zum Gefühlskino
Bislang ist der isländische Regisseur Baltasar Kormákur eher für Actionfilme wie „Everest“ (2015) oder zuletzt „Beast – Jäger ohne Gnade“ (2022) bekannt. Nach eigener Aussage hat ihn die Lektüre der Romanvorlage „Snerting“ dazu bewegt, das Genre zu wechseln – deren Autor Ólafur Jóhann Ólafsson schrieb mit am Drehbuch. In Kormákurs bisherigen Filmen ging es neben der Action auch immer um familiäre oder freundschaftliche Beziehungen. Diese stehen nun im Zentrum einer Geschichte um Trauer, Verlust, neue Hoffnung und den Trost schöner Erinnerungen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Everest (3D)" – aufwändig inszeniertes Bergsteiger-Drama im Himalaya von Baltasar Kormákur
und hier eine Besprechung des Films "Past Lives – In einem anderen Leben" – berührendes Porträt einer Jugendliebe von Exil-Koreanern von Celine Song
und hier einen Beitrag über den Film "Rückkehr nach Montauk" – raffiniert desillusionierendes Drama über eine verflossene Liebe von Volker Schlöndorff
und hier einen Bericht über "Naokos Lächeln" – Verfilmung des Bestsellers von Haruki Murakami über Jugendliebe in Japan um 1970 durch Tran Anh Hung.
Seine letzte große Reise
In der Gegenwart dominiert dagegen winterliche Blässe, vielleicht passend zum unwirtlichen Zeitgeschehen. Augenzwinkernd erinnert der Film an die mittlerweile fast vergessene Hysterie der Corona-Anfangszeit samt leeren Straßen und Verkehrsmitteln. Kristófer wird zudem zwei Mal aus seinem Hotel ausquartiert und findet nur mit Mühe weitere Übernachtungsmöglichkeiten.
Der Zufall und die japanische Freundlichkeit gegenüber Fremden helfen ihm weiter. Das alles erzählt Kormákur, ohne betulich oder gar kitschig zu werden, und die gut harmonierenden Darsteller leisten mit nuanciertem Spiel ein Übriges. Gerne schaut man dem alten Herrn bei seiner vielleicht letzten großen Reise zu. Sich fern von zuhause Fremden gegenüber zu öffnen, scheint ihm Kraft zu geben – und das kleine Happy-End sei ihm gegönnt.