Baltasar Kormákur

Touch

Der junge Kristófer (Pálmi Kormákur) und die junge Miko (Kōki) verliebt in London. Foto: © 2024 Focus Features, LLC.
(Kinostart: 8.8.) Auf der Suche nach der verlorenen Liebe: Im Winter seines Lebens sucht ein Witwer Antworten auf verdrängte Fragen. Die Reise führt ihn von Island ins London der Vergangenheit und das Hiroshima der Gegenwart, sensibel inszeniert von Action-Spezialist Baltasar Kormákur.

Irgendwann fängt wohl jeder Mensch an, über verpasste Gelegenheiten nachzudenken. Manche warten damit, bis sie nach einem geschäftigen Arbeitsleben Muße dafür haben; so auch der isländische Restaurantbesitzer Kristófer (Egill Ólaffson). Seit kurzem verwitwet und schwerkrank, erinnert er sich immer öfter an seine erste große Liebe vor mehr als 50 Jahren in London. Der ältere Herr beschließt, auf Spurensuche zu gehen, solange er noch die Kraft dazu hat. Er will herausfinden, warum seine Geliebte damals ohne Abschied verschwunden ist.

 

Info

 

Touch 

 

Regie: Baltasar Kormákur,

121 Min., Island/ Großbritannien 2024;

mit: Egill Ólafsson, Kôki, Palmi Kormákur, Masahiro Motoki 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Naturgemäß ist wenig von der Stadt übrig, in der der junge Kristófer (Pálmi Kormákurs) Ende der 1960er Jahre studierte. Dessen Erinnerungen schildert der Film in Rückblenden: Aus einer Laune heraus stellt sich der junge Mann für einen Job als Tellerwäscher in einem japanischen Restaurant vor. Bei seinen Kommilitonen erntet er dafür reichlich Spott. Aber als Isländer gehört Kristófer auch nicht wirklich zur britischen Gesellschaft.

 

Ein Isländer in London

 

Doch weil er im Gegensatz zu ihr Interesse an anderen Kulturen zeigt, wird er vom Besitzer Takahashi-san (Masahiro Motoki) in die Grundzüge der japanischen Küche eingeweiht. Ausführlich und plastisch zeigt der Film, wie sich Kristófers Leben schnell von der Uni ins Restaurant verlagert. Neben der Kulinarik weckt auch Takahashis Tochter Miko (Kōki) sein Interesse. Das schicke Bohème-Leben der Swinging Sixties manifestiert sich vor allem in Gestalt der Gäste und natürlich durch die Musik, die ständig im Radio läuft.

Offizieller Filmtrailer


 

Heimliche Liebe und ein Geheimnis

 

Musik und eine Rauchpause im Hof des Restaurants bringen auch das erste Gespräch zwischen Miko und Kristófer in Gang. Beide fühlen sich als Außenseiter und haben eine Passion für Sprachen und Kunst. Miko bringt ihm ein paar Brocken Japanisch bei, damit er ihren strengen Vater beeindrucken kann. Er erzählt ihr von den wilden Landschaften und Sagen seiner Heimat. Bald erblüht zwischen ihnen eine heimliche Liebe.

 

Warum der Vater von der Beziehung nichts wissen darf, will Miko nicht erklären, obwohl Kristófer es ernst mit ihr meint und sie heiraten möchte. Eines Tages findet er das Restaurant geschlossen vor. Vater und Tochter sind spurlos verschwunden, wahrscheinlich nach Japan. Sie dort zu finden, erscheint ihm als einfachem Studenten unmöglich. Erst 50 Jahre später wird ihm klar werden, dass ihr Geheimnis mit dem Schicksal ihrer Heimatstadt Hiroshima zu tun hat, die 1945 von einer Atombombe vernichtet worden war.

 

Vom Action- zum Gefühlskino

 

Bislang ist der isländische Regisseur Baltasar Kormákur eher für Actionfilme wie „Everest“ (2015) oder zuletzt „Beast – Jäger ohne Gnade“ (2022) bekannt. Nach eigener Aussage hat ihn die Lektüre der Romanvorlage „Snerting“ dazu bewegt, das Genre zu wechseln – deren Autor Ólafur Jóhann Ólafsson schrieb mit am Drehbuch. In Kormákurs bisherigen Filmen ging es neben der Action auch immer um familiäre oder freundschaftliche Beziehungen. Diese stehen nun im Zentrum einer Geschichte um Trauer, Verlust, neue Hoffnung und den Trost schöner Erinnerungen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Everest (3D)" – aufwändig inszeniertes Bergsteiger-Drama im Himalaya von Baltasar Kormákur

 

und hier eine Besprechung des Films "Past Lives – In einem anderen Leben" – berührendes Porträt einer Jugendliebe von Exil-Koreanern von Celine Song

 

und hier einen Beitrag über den Film "Rückkehr nach Montauk" – raffiniert desillusionierendes Drama über eine verflossene Liebe von Volker Schlöndorff

 

und hier einen Bericht über "Naokos Lächeln" – Verfilmung des Bestsellers von Haruki Murakami über Jugendliebe in Japan um 1970 durch Tran Anh Hung.

 

In „Touch“ lässt der Regisseur das Publikum an Kristófers poetischer Reise teilhaben, die von Island nach London und schließlich nach Japan führt. Nun durchstreift der Ruheständler auf der Suche nach Miko die Stadt Hiroshima, die mitten in der ersten Corona-Welle steckt. Die behutsame, melancholische Inszenierung erinnert dabei an japanische Filme wie „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“ (2009), in dem Hauptdarstellerin Masahiro Motoki ebenfalls mitwirkte. Im Kontrast dazu wirken die Rückblenden schon wegen der warmen, satten Farben dynamischer, auch wenn sie sich meist in Innenräumen abspielen.

 

Seine letzte große Reise

 

In der Gegenwart dominiert dagegen winterliche Blässe, vielleicht passend zum unwirtlichen Zeitgeschehen. Augenzwinkernd erinnert der Film an die mittlerweile fast vergessene Hysterie der Corona-Anfangszeit samt leeren Straßen und Verkehrsmitteln. Kristófer wird zudem zwei Mal aus seinem Hotel ausquartiert und findet nur mit Mühe weitere Übernachtungsmöglichkeiten.

 

Der Zufall und die japanische Freundlichkeit gegenüber Fremden helfen ihm weiter. Das alles erzählt Kormákur, ohne betulich oder gar kitschig zu werden, und die gut harmonierenden Darsteller leisten mit nuanciertem Spiel ein Übriges. Gerne schaut man dem alten Herrn bei seiner vielleicht letzten großen Reise zu. Sich fern von zuhause Fremden gegenüber zu öffnen, scheint ihm Kraft zu geben – und das kleine Happy-End sei ihm gegönnt.