Die zwei Leben der Elizabeth „Lee“ Miller: 1926 rettete der Verleger Condé Nast in Manhattan die damals 19-Jährige vor einem Autounfall – und engagierte sie spontan als Mannequin für „Vogue“. Renommierte Fotografen wie Edward Steichen lichteten sie für die Modezeitschrift ab. 1929 zog sie nach Paris, schloss sich den Surrealisten an und arbeitete mit Man Ray zusammen; mit ihm war sie auch kurz liiert. Ihre eigenen Fotografien zeichneten sich durch kühne Lust am Experimentieren aus.
Info
Die Fotografin
Regie: Ellen Kuras,
116 Min., Großbritannien/ USA/ Norwegen 2023;
mit: Kate Winslet, Alexander Skarsgård, Andrea Riseborough, Marion Cotillard
Weitere Informationen zum Film
Als US-Reporterin mit „Life“-Kollegen
Damit begann das zweite Leben von Lee Miller. Sie wurde Bildreporterin der britischen „Vogue“; nach deutschen Luftangriffen ließ sie ihre Modelle mit Brandschutzmasken in Bombentrichtern posieren. An die Front durfte sie zunächst nicht – sondern erst, als sie von der US-Ausgabe der „Vogue“ als Kriegsberichterstatterin akkreditiert wurde. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie dokumentierte sie gemeinsam mit David E. Sherman vom „Life“-Magazin u.a. die Schlacht um Saint-Malo, die Befreiung von Paris sowie der KZ Buchenwald und Dachau.
Offizieller Filmtrailer
Schillerndes Dasein wirkt monochrom
Ihre wohl berühmtesten Bilder entstanden am 30. April 1945 in Hitlers Privatwohnung in München: Sherman knipste, wie Miller nackt in die Badewanne stieg – am selben Tag, an dem sich der Führer in seinem Berliner Bunker umbrachte. Allerdings hatten die gesehenen Schrecken und Gräuel sie wohl traumatisiert: Nach Kriegsende gab sie den Bildjournalismus auf, in den 1950er Jahren die Fotografie insgesamt. Von Depressionen und Alkoholkonsum gezeichnet, starb sie 1977 an Krebs.
Was für ein wagemutiges und wendungsreiches Leben! Doch dieses Biopic – das erste nach drei „Arte“-Dokumentationen – ist fast ausschließlich der zweiten Hälfte gewidmet; dadurch wirkt ihr schillerndes Dasein seltsam monochrom und eindimensional. Dazu bemüht das Drehbuch eine hölzerne Rahmenhandlung: Ein Journalist interviewt die gealterte Lee Miller (Kate Winslet) im ländlichen Cottage, wo sie mit ihrem Mann wohnt. Er lässt vieles aus und bohrt bei anderen Stationen nach – die dann in ausführlichen Rückblenden gezeigt werden.
Kriegsheldin im altbackenen Sinne
Auf diese Weise fertigt der Film ihre Bohémien-Vorkriegsjahre in zehn Minuten ab; für ihren Gatten Penrose (Alexander Skarsgård) bleiben fünf Minuten. Die übrige Zeit rast sie in Jeeps oder bulldozert in Tarnkleidung umher, herrscht männliche Militärs an, die sie nicht durchlassen, und will stets unbedingt an die vorderste Schusslinie, wo Explosionen dröhnen und MG-Salven knattern. Zurück in der Etappe raucht Miller Kette und kippt Drinks, während sie ihr Material entwickelt – meist ihre bekanntesten Arbeiten: ein weiblicher Hemingway.
Ihr sidekick David E. Sherman (Andy Samberg) darf schweigsam schmunzelnd zuschauen, ebenso ihre Surrealisten-Freunde wie Paul und Nusch Éluard oder Solange D’Ayen (Marion Cotillard). Audrey Withers (Andrea Riseborough), Chefredakteurin der britischen „Vogue“, hält Miller derweil den Rücken frei und preist ihr künstlerisches Genie. Man sieht: Die Hauptfigur erscheint als Kriegsheldin im altbackenen Sinne, ohne jedwede Zweifel oder Krisen und damit allzeit über Not und Verderben triumphierend. Während ringsherum deutlich wird, wie öde konventionelle Kriegsfilme eigentlich sind, selbst wenn sie so sorgfältig ausgestattet werden wie hier: ein düsterer Reigen aus Feldgrau, staubigen Ruinen und Leichen voller Kunstblut.
Winslet wählte alle Mitwirkende aus
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Lee Miller – Fotografien" – große Retrospektive ihrer Aufnahmen von 1929 bis 1945 im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Margaret Bourke-White: Fotografien 1930 bis 1945" – umfassende Werkschau der Bildreporterin im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Beitrag über den Film "The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben" – brillantes Biopic über das Informatik-Genie Alan Turing im Zweiten Weltkrieg von Morten Tyldum mit Benedict Cumberbatch.
und hier einen Bericht über den Film "Niemandsland – The Aftermath" – Liebesdrama in den Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg von James Kent mit Alexander Skarsgård.
„Ich bin einfach so angetan von ihr“, schwärmt Winslet von ihrem Vorbild: „Wie sie lebte. Wie sie sich nicht darum kümmerte, was die Leute von ihr dachten. Wie sie frei mit ihrer Zuneigung umging, die Wahrheit sagte und andere Menschen ermutigte, genau das zu tun! Das ist alles, wofür ich auch lebe, und Lee Miller hat das schon Jahre vor mir viel besser als alle anderen und sicherlich besser als ich getan. Jemanden zu spielen, den ich wirklich bewundere, verehre, zu dem ich aufschaue und der ich auch nur ein kleines bisschen sein möchte, ist ein großes Privileg.“ Ein klarer Fall von Überidentifikation.
Schlicht gestrickte Hagiographie
In diesem ego tripping bestärkt haben dürfte sie Antony Penrose: Der Sohn von Lee Miller und Roland Penrose verwaltet ihren Nachlass. Wie etlichen Künstler-Kindern liegt ihm offenbar daran, alle Eigenschaften und Taten seiner Eltern makellos strahlend erscheinen zu lassen.
Solch schlicht gestrickte Hagiographie ist im Falle Millers besonders unsinnig: Ihr Lebensweg fasziniert vor allem durch seine Brüche. Das Beste an ihrem fotografischen Vermächtnis ist gerade das, was der Film auslässt: Ihre experimentierfreudigen und originellen Aufnahmen, die sie in den 1920/30er Jahren als Surrealistin auf drei Kontinenten schuf.