Kate Winslet

Die Fotografin

David E. Sherman (Andy Samberg) und Lee Miller (Kate Winslet) dokumentieren die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Foto: © Sky UK Ltd / Kimberley French
(Kinostart: 19.9.) Ein klarer Fall von Überidentifikation: Star-Schauspielerin Kate Winslet ist vom Wagemut der Weltkriegs-Fotografin Lee Miller so begeistert, dass sie das in jeder Szene ausagiert. Bei ihrer One-Woman-Show bleibt das Beste außen vor – Millers surrealistisches Frühwerk der 1920/30er Jahre.

Die zwei Leben der Elizabeth „Lee“ Miller: 1926 rettete der Verleger Condé Nast in Manhattan die damals 19-Jährige vor einem Autounfall – und engagierte sie spontan als Mannequin für „Vogue“. Renommierte Fotografen wie Edward Steichen lichteten sie für die Modezeitschrift ab. 1929 zog sie nach Paris, schloss sich den Surrealisten an und arbeitete mit Man Ray zusammen; mit ihm war sie auch kurz liiert. Ihre eigenen Fotografien zeichneten sich durch kühne Lust am Experimentieren aus.

 

Info

 

Die Fotografin

 

Regie: Ellen Kuras,

116 Min., Großbritannien/ USA/ Norwegen 2023;

mit: Kate Winslet, Alexander Skarsgård, Andrea Riseborough, Marion Cotillard

 

Weitere Informationen zum Film

 

1932 nach New York zurückgekehrt, ehelichte Miller zwei Jahre später einen ägyptischen Geschäftsmann, mit dem sie nach Kairo übersiedelte. In Ägypten entstanden beeindruckende Landschaftsaufnahmen, bei denen sie surrealistische Kompositionsprinzipien auf die Wüste und Pyramiden anwandte. 1937 lernte sie den britischen Künstler Roland Penrose kennen, den sie zehn Jahre später heiraten sollte, und bereiste mit ihm halb Europa. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ließen sich beide in London nieder.

 

Als US-Reporterin mit „Life“-Kollegen

 

Damit begann das zweite Leben von Lee Miller. Sie wurde Bildreporterin der britischen „Vogue“; nach deutschen Luftangriffen ließ sie ihre Modelle mit Brandschutzmasken in Bombentrichtern posieren. An die Front durfte sie zunächst nicht – sondern erst, als sie von der US-Ausgabe der „Vogue“ als Kriegsberichterstatterin akkreditiert wurde. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie dokumentierte sie gemeinsam mit David E. Sherman vom „Life“-Magazin u.a. die Schlacht um Saint-Malo, die Befreiung von Paris sowie der KZ Buchenwald und Dachau.

Offizieller Filmtrailer


 

Schillerndes Dasein wirkt monochrom

 

Ihre wohl berühmtesten Bilder entstanden am 30. April 1945 in Hitlers Privatwohnung in München: Sherman knipste, wie Miller nackt in die Badewanne stieg – am selben Tag, an dem sich der Führer in seinem Berliner Bunker umbrachte. Allerdings hatten die gesehenen Schrecken und Gräuel sie wohl traumatisiert: Nach Kriegsende gab sie den Bildjournalismus auf, in den 1950er Jahren die Fotografie insgesamt. Von Depressionen und Alkoholkonsum gezeichnet, starb sie 1977 an Krebs.

 

Was für ein wagemutiges und wendungsreiches Leben! Doch dieses Biopic – das erste nach drei „Arte“-Dokumentationen – ist fast ausschließlich der zweiten Hälfte gewidmet; dadurch wirkt ihr schillerndes Dasein seltsam monochrom und eindimensional. Dazu bemüht das Drehbuch eine hölzerne Rahmenhandlung: Ein Journalist interviewt die gealterte Lee Miller (Kate Winslet) im ländlichen Cottage, wo sie mit ihrem Mann wohnt. Er lässt vieles aus und bohrt bei anderen Stationen nach – die dann in ausführlichen Rückblenden gezeigt werden.

 

Kriegsheldin im altbackenen Sinne

 

Auf diese Weise fertigt der Film ihre Bohémien-Vorkriegsjahre in zehn Minuten ab; für ihren Gatten Penrose (Alexander Skarsgård) bleiben fünf Minuten. Die übrige Zeit rast sie in Jeeps oder bulldozert in Tarnkleidung umher, herrscht männliche Militärs an, die sie nicht durchlassen, und will stets unbedingt an die vorderste Schusslinie, wo Explosionen dröhnen und MG-Salven knattern. Zurück in der Etappe raucht Miller Kette und kippt Drinks, während sie ihr Material entwickelt – meist ihre bekanntesten Arbeiten: ein weiblicher Hemingway.

 

Ihr sidekick David E. Sherman (Andy Samberg) darf schweigsam schmunzelnd zuschauen, ebenso ihre Surrealisten-Freunde wie Paul und Nusch Éluard oder Solange D’Ayen (Marion Cotillard). Audrey Withers (Andrea Riseborough), Chefredakteurin der britischen „Vogue“, hält Miller derweil den Rücken frei und preist ihr künstlerisches Genie. Man sieht: Die Hauptfigur erscheint als Kriegsheldin im altbackenen Sinne, ohne jedwede Zweifel oder Krisen und damit allzeit über Not und Verderben triumphierend. Während ringsherum deutlich wird, wie öde konventionelle Kriegsfilme eigentlich sind, selbst wenn sie so sorgfältig ausgestattet werden wie hier: ein düsterer Reigen aus Feldgrau, staubigen Ruinen und Leichen voller Kunstblut.

 

Winslet wählte alle Mitwirkende aus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Lee Miller – Fotografien" – große Retrospektive ihrer Aufnahmen von 1929 bis 1945 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Margaret Bourke-White: Fotografien 1930 bis 1945" – umfassende Werkschau der Bildreporterin im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben" – brillantes Biopic über das Informatik-Genie Alan Turing im Zweiten Weltkrieg von Morten Tyldum mit Benedict Cumberbatch.

 

und hier einen Bericht über den Film "Niemandsland – The Aftermath" – Liebesdrama in den Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg von James Kent mit Alexander Skarsgård.

 

Es ist zugleich eine one-woman show von und für Kate Winslet. Sie hat den Film jahrelang vorbereitet, ihn produziert, zudem alle Darsteller und die Regisseurin Ellen Kuras ausgewählt, von der sie in jeder Szene in den Mittelpunkt gestellt wird.

 

„Ich bin einfach so angetan von ihr“, schwärmt Winslet von ihrem Vorbild: „Wie sie lebte. Wie sie sich nicht darum kümmerte, was die Leute von ihr dachten. Wie sie frei mit ihrer Zuneigung umging, die Wahrheit sagte und andere Menschen ermutigte, genau das zu tun! Das ist alles, wofür ich auch lebe, und Lee Miller hat das schon Jahre vor mir viel besser als alle anderen und sicherlich besser als ich getan. Jemanden zu spielen, den ich wirklich bewundere, verehre, zu dem ich aufschaue und der ich auch nur ein kleines bisschen sein möchte, ist ein großes Privileg.“ Ein klarer Fall von Überidentifikation.

 

Schlicht gestrickte Hagiographie

 

In diesem ego tripping bestärkt haben dürfte sie Antony Penrose: Der Sohn von Lee Miller und Roland Penrose verwaltet ihren Nachlass. Wie etlichen Künstler-Kindern liegt ihm offenbar daran, alle Eigenschaften und Taten seiner Eltern makellos strahlend erscheinen zu lassen.

 

Solch schlicht gestrickte Hagiographie ist im Falle Millers besonders unsinnig: Ihr Lebensweg fasziniert vor allem durch seine Brüche. Das Beste an ihrem fotografischen Vermächtnis ist gerade das, was der Film auslässt: Ihre experimentierfreudigen und originellen Aufnahmen, die sie in den 1920/30er Jahren als Surrealistin auf drei Kontinenten schuf.