Robert De Niro

Ezra – Eine Familiengeschichte

Der autistische Junge Ezra (William A. Fitzgerald) ist schwärmerisch und fantasiebegabt. Foto: © TOBIS Film GmbH
(Kinostart: 12.9) Drei Generationen enttäuschter Erwartungen: Der Film beginnt viel versprechend als Studie über das Leben mit einem autistischen Kind, doch Regisseur Tony Goldwyn macht nichts Überzeugendes daraus. Stattdessen mutiert „Ezra“ zum Buddy-Road-Movie mit Konfektions-Happy-End.

Ezra (William A. Fitzgerald) ist ein schlagfertiger, freundlicher Elfjähriger mit drei Handicaps. Erstens macht es ihm seine Störung im Autismus-Spektrum unmöglich, sich umarmen zu lassen, Bananen zu essen oder Besteck aus Metall zu verwenden. Wobei zweitens sein Drang, stets wahrhaftig zu sein, immer wieder zu komplizierten Situationen führt, die ihn und seine Umwelt mitunter überfordern.

 

Info

 

Ezra – Eine Familiengeschichte

 

Regie: Tony Goldwyn,

101 Min., USA 2024;

mit: Bobby Cannavale, William A. Fitzgerald, Robert De Niro, Whoopi Goldberg

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ezras drittes Handicap ist sein Vater Max (Bobby Cannavale). Der kann es nicht ertragen, wenn Außenstehende die Einschränkungen seines geliebten Sohnes ansprechen oder gar Ratschläge parat haben. So reagiert er auf den Vorschlag, den Jungen auf eine Förderschule zu schicken, reflexartig mit Ablehnung – selbst wenn dieser von Pädagogen oder Ärzten kommt.

 

Streit um Ezra eskaliert

 

Dabei wird Max zuweilen handgreiflich. Mit seiner Unbeherrschtheit hat er nicht nur seine Ex-Frau Jenna (Rose Byrne) zur Scheidung veranlasst, auch für Ezra verschlimmert sich die Lage: Ihr Streit um den richtigen Umgang mit ihm eskaliert. Das Handicap des Films ist allerdings, dass er aus dieser eigentlich hochspannenden Situation nichts zu machen weiß. Obwohl die Charaktere beste Voraussetzungen für eine berührende Geschichte bieten – doch anstatt sie zu nutzen, verzettelt sich Regisseur Tony Goldwyn zusehends.

Offizieller Filmtrailer


 

 

Planlose Flucht nach L.A.

 

Dabei vergräbt er sein Anliegen, für das Thema Autismus zu sensibilieren, immer mehr unter zusätzlichen Handlungssträngen, die dem Kern seiner Geschichte ganz äußerlich sind und wie unnötig aufgepfropft wirken. So spiegelt sich die Beziehung von Ezra und Max in der von Max und seinem Vater Stan (Robert De Niro), einem exzentrischen früheren Koch. Bei ihm zieht Max nach seiner Trennung von Jenna wieder ein – was vom Thema des Films eher wegführt.

 

Nach einem weiteren Wutausbruch steht Max beruflich vor einem Scherbenhaufen und reagiert mit einer Kurzschlusshandlung. Er entführt seinen Sohn, der seiner Meinung nach falsch behandelt wird, und tritt mit ihm eine planlose Reise quer durch die USA an, die sie von New York schließlich nach Los Angeles führt. Hier hofft er auf einen Durchbruch als Stand-up-Comedian. Seine Agentin (Whoopi Goldberg) soll ihm dafür einen Auftritt in einer beliebten TV-Show vermitteln – und Ezra ihm dabei als Glücksbringer zur Seite stehen.

 

Road-Movie aus Klischee-Kiste

 

So verwandelt sich eine streckenweise feinsinnige Betrachtung darüber, was es bedeutet, mit einem behinderten Kind zu leben, plötzlich in ein Road-Movie, das sämtlichen Genre-Konventionen folgt. Natürlich werden sich Vater und Sohn auf ihrer gemeinsamen Reise über allerhand Dinge klar; selbstredend werden sie auch verfolgt. Nicht nur das vom Jugendamt informierte FBI ist hinter ihnen her, auch Jenna und Stan haben sich aus Sorge um ihre jeweiligen Söhne zu einem Paar aus der Klischee-Kiste zusammengetan.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Was ist schon normal?" – gelungene Inklusions-Komödie aus Frankfreich von und mit Artus

 

und hier eine Besprechung des Films "The Innocents" – norwegischer Alltags-Horror-Thriller mit autistischen Kindern von Eskil Vogt

 

und hier einen Beitrag über den Film "Rose – Eine unvergessliche Reise nach Paris" – sympathische Dramödie über eine Schizophrene auf Bus-Exkursion von Niels Arden Oplev.

 

An der Generationenfolge Stan-Max-Ezra dekliniert Regisseur Goldwyn nun durch, wie Versäumnisse weitergegeben, aber auch neue Ansätze gewagt werden. Stan wie Max dürfen einsehen, dass meist eher Väter als ihre Söhne die Problem verursachen. Dagegen erweist sich Jenna als das mütterliche Herz der Familie, deren Bedeutung alles andere überstrahlt.

 

Rührselige Familien-Feier

 

Wobei die Darsteller sich beeindruckend ins Zeug legen. Insbesondere der junge William Fitzgerald, selbst Autist, überzeugt und bezaubert bei seinem Leinwand-Debüt. Dazu gibt einige witzige Szenen und anrührende Momente, etwa Cannavales Auftritt als Comedian. Dennoch gelingt es Goldwyn nicht, authentische Einblicke in das Familienleben mit einem autistischen Kind zu geben.

 

Stattdessen wird der Film, je länger er läuft, immer mehr zu rührseligen US-Standard-Schmonzette, welche die alles heilende Kraft und Macht der Familie preist – wie im Mainstream-Kino üblich. Das ist meilenweit entfernt vom schonungslosen Realismus eines Films wie „Systemsprenger“ (2019). Dessen Regisseurin Nora Fingscheidt ließ das Publikum die Herausforderung durch ein Kind, dass alle Grenzen und Hilfsangebote der Normalität sprengt, tatsächlich hautnah als Zumutung erleben.