Francis Ford Coppola

Megalopolis

Wow Platinum (Aubrey Plaza) genießt die Freuden ihrer Heirat mit dem superreichen Patrizier Hamilton Crassus III. (Jon Voight). Foto: © 2024 Lionsgate
(Kinostart: 26.9.) Kino als antiker Mythos: Regie-Legende Francis Ford Coppola legt sein Vermächtnis vor. Darin kreuzt er ein futuristisches New York mit dem alten Rom – als Schauplatz für das Gedankenspiel, ob die westliche Demokratie überlebensfähig ist. Ein Geniestreich quer zu allen Genres.

Alterswerke von Großkünstlern sind eine zwiespältige Sache. Ob in der Literatur, der bildenden Kunst oder beim Film: Die einen fluten die Öffentlichkeit mit mehr oder weniger schwachen Abklatschen ihrer Hauptwerke – um sich zu beweisen, dass sie es noch können, was oft nicht mehr stimmt. Die anderen stürzen sich auf neueste Trends und Techniken, um zu demonstrieren, dass sie den Anschluss nicht verloren haben – was sie häufig besonders ältlich aussehen lässt.

 

Info

 

Megalopolis

 

Regie: Francis Ford Coppola,

138 Min., USA 2024;

mit: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Shia LaBeouf

 

Weitere Informationen zum Film

 

Francis Ford Coppola geht anders vor – ohnehin hat er sich in 60 Jahren Regietätigkeit selten um Branchen-Konventionen geschert. Als künstlerisches Vermächtnis legt er einen fast zweieinhalbstündigen Monumentalfilm vor, an dem er 40 Jahre lang gearbeitet hat. Die Produktionskosten von knapp 100 Millionen US-Dollar brachte er aus eigener Tasche auf, wofür er einen Teil seiner Weinfelder in Kalifornien verkaufen musste.

 

Bilder-Eigenleben wie im Symbolismus

 

Mit üblichen Genre-Kategorien lässt sich dieses Werk nicht fassen. Es ist Science-Fiction- und Historienfilm, Politthriller, Essayfilm, Gesellschaftsstudie, Sittenkomödie, Melodram, Romanze und Ausstattungsorgie – alles zugleich. Die Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen, läuft beinahe vorhersehbar ab und spielt keine große Rolle. Sie dient Coppola nur als Anlass, um seine Ansichten über alles Mögliche darzulegen und vor allem: zu veranschaulichen. Weswegen die Bilder weniger die Geschichte illustrieren als vielmehr ein Eigenleben führen: Wie im Symbolismus sollen sie nicht Dinge vor Augen führen, sondern Gedanken und Empfindungen.

Offizieller Filmtrailer


 

Facettenreiche Heroen handeln vieldeutig

 

Am ehesten wird man diesem einzigartigen Gebilde wohl gerecht, wenn man die Bezeichnung übernimmt, die der Regisseur selbst ihm gibt: eine Fabel. Allerdings verstanden im Sinne der antiken Mythen, in denen facettenreich schillernde Götter und Heroen nur vordergründig auf eindeutige Weise handeln – sieht man genauer hin, erscheint es abgründig vieldeutig. Dazu passt, dass Coppola ein futuristisches New York mit dem antiken Rom kreuzt. Genauer: mit der späten Republik, die unermässlich mächtig und reich war, aber zugleich durch Korruption, Überforderung der Institutionen und soziale Spaltung ausgehöhlt.

 

Die Ambivalenz der Protagonisten wird schon durch die Namenswahl deutlich. Adam Driver verkörpert Caesar Catilina: Der geniale Erfinder und Chef der „Design-Behörde“ plant, den maroden Stadt-Moloch in ein für alle Bewohner lebenswertes Utopia umzubauen. In Rom wollte der Senator Catilina 63 v. Chr. putschen, was vereitelt wurde; erst Gaius Julius Caesar schaffte 17 Jahre später die Republik ab und wurde Alleinherrscher.

 

Plutokraten, Milliardäre + Populisten

 

Sein Gegenspieler ist Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito): Der amtierende Bürgermeister verteidigt den Status Quo und damit de facto die Plutokratie, welche die Stadt beherrscht. Anders als seine Namenspaten: Marcus Tullius Cicero spielte als Konsul eine entscheidende Rolle bei der Rettung der Republik vor der Catilina-Verschwörung – seine drei Ansprachen gegen ihn gelten als Gipfel antiker Redekunst. US-Gründervater Benjamin Franklin und Langzeit-Präsident Franklin D. Roosevelt sind der Nachwelt als uneigennützige und erfolgreiche Reformer in Erinnerung.

 

Etwas eindimensionaler werden die übrigen Mitspieler charakterisiert: Bei der Bank von Milliardär Hamilton Crassus III. (Jon Voight) stehen alle in der Kreide – sein schwerreicher römischer Ahne Marcus Licinius Crassus beglich einst Caesars Schulden. Hamilton heiratet die schrille TV-Reporterin Wow Platinum; wer so einen Namen trägt, hat keinen antiken Paten. Dagegen folgt Clodio Pulcher (Shia LaBeouf) getreulich seinem römischen Vorbild: Publius Clodius Pulcher trug seine Fehde mit Cicero aus, indem er marodierende Straßenbanden anführte.

 

Räsonnement statt Tech-Revolution

 

Dieses Verwirrspiel wie mit inhaltlich teils widersprüchlichen Personennamen betreibt Coppola auch auf allen anderen Ebenen. Auf den ersten Blick geht es um das Kräftemessen zwischen Revoluzzern und Establishment, Humanisten und Zynikern, verantwortungsbewussten Rationalisten und gewissenlosen Populisten. Aber das täuscht: Keine Gestalt ist rein positiv oder negativ gezeichnet.

 

Am deutlichsten wird das bei der Hauptfigur. Caesar Catilina trägt abwechselnd die Züge von Bill Gates, Steve Jobs und Elon Musk; wie sie wird er wahlweise als Lichtgestalt gerühmt oder als vermessener Tech-Tyrann geschmäht. Doch Adam Driver kann zwar die Zeit anhalten, hat das aber nicht unter Kontrolle. Ansonsten macht er nicht viel; die Arbeit seines Teams ähnelt Ausdruckstanz. Stattdessen räsonniert er lieber über wünschenswerte Entwicklungen und bemüht dafür Maximen und Epigramme der Weltliteratur: Seinen ersten Auftritt hat er mit dem „Sein oder Nichtsein“-Monolog von Shakespeares Hamlet. Denn letzlich geht es um die Überlebensfähigkeit der westlichen Zivilisation.

 

Bildergewitter wie auf barocken Gemälden

 

Auch die übrigen Akteure treten belesen auf. Coppola legt ihnen einen wilden Zitate-Mix aus zwei Jahrtausenden in den Mund, von Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ bis zu ketzerischen Thesen des Anarcho-Ökonomen David Graeber. Das wirkt nie bildungshuberisch, sondern überraschend: wie treffend diese historischen Stimmen das Geschehen kommentieren. Und wie zeitlos heutige Probleme und Konflikte im Grunde sind.

 

All das erscheint nachrangig angesichts des irrwitzigen Bildergewitters, das Coppola entfesselt. Man sieht ihm an, dass er daran jahrzehntelang gefeilt hat; es soll 300 Drehbuch-Fassungen geben. Mit schier unglaublicher visueller Fantasie nutzt er den Raum voll aus und füllt jede Einstellung bis zum Anschlag; oft weiß man gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll. Dennoch wirkt das kaum überfrachtet, sondern eher wie barocke Gemälde, bei denen jedes Detail das Thema variiert und bereichert.

 

Fellini, Tarkowskij + Greenaway

 

Etwa beim „Hochzeitsempfang“, den Hamilton Crassus und Wow Platinum in einer Art Super-Bowl-Arena am Broadway geben. Da ist von römischen Wagenrennen über Akrobaten à la chinesischer Staatszirkus bis zu Wrestling-Duellen alles dabei, was die Massen aufputscht und begeistert – abgerundet vom sehr amerikanischen Ritual einer charity-Auktion unter Superreichen. Diese ätzende Parodie auf Eliten-Selbstdarstellung, Schaulust und Dekadenz kommt ohne ein wertendes Wort aus; die Aufnahmen sprechen für sich.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Apocalypse Now – Final Cut (WA)" zur Wiederaufführung des besten Kriegsfilms aller Zeiten von Francis Ford Coppola

 

und hier eine Besprechung des Films "Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten" - brillant komplexes Auto-Biopic als Bilderrausch von Alejandro González Iñárritu

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Der Untergang des Römischen Reiches" – hervorragende Ausstellungs-Trias in drei Museen in Trier

 

und hier einen Bericht über den Film "La Grande Bellezza"  – herrliche üppige Rom-Hommage + Dekadenz-Kritik von Paolo Sorrentino, prämiert mit dem Auslands-Oscar 2014.

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Federico Fellini – Von der Zeichnung zum Film" – anschaulicher Einblick in die Arbeitsweise des Regisseurs im Museum Folkwang, Essen.

 

Filmgeschichtlich ist das nicht ohne Vorläufer. So prunkvoll hat auch Federico Fellini in seiner mittleren Phase inszeniert, etwa „Casanova“ (1976) oder „Satyricon“ (1969) – diese Adaption eines lateinischen Romans vermengt Antikes mit der Gegenwart wie „Megalopolis“. Coppolas Ambitionen finden sich auch beim sowjetisch-russischen Genre des „metaphysischen Films“ etwa von Andrej Tarkowskij, der abstrakte Thesen in Kinobilder überträgt. Der Brite Peter Greenaway hat in den 1990er Jahren, bevor er sich Multimedia-Spielereien zuwandte, sein Kino als Resonanzraum für den überbordenden Fundus der Kunstgeschichte gestaltet. In dieser bildmächtigen Tradition stehen auch der Mexikaner Alejandro González Iñárritu und Paolo Sorrentino aus Italien.

 

Zeigen, was Kino alles sein kann

 

Doch keiner von ihnen ging – allein schon mangels technischer Möglichkeiten – so radikal vor. Blockbuster-Produktionen mit dreistelligen Millionen-Budgets mögen brillantere CGI-Simulationen aufweisen, aber Coppola demonstriert, wie sehr es auf originelle Bildkompositionen ankommt. Wobei manche Motive auf Vorgänger in seinem eigenen Œuvre verweisen: Dass die Machtkämpfe von Wenigen über das Wohl Aller entscheiden, prägt sowohl die „Der Pate“-Trilogie als auch „Apocalypse Now“. Und unverfroren zwischen Epochen und Einfällen sprang der Regisseur schon 2007 in „Jugend ohne Jugend“ hin und her; dieser Film gilt zu Unrecht als dubioses Nebenwerk.

 

Aber in „Megalopolis“ bündelt er seinen ästhetischen Wagemut, seine Lust auf Grenzüberschreitungen und ein paar schräge Einfälle zum opus magnum. Dass er am Ende unverwüstlichen liberalen Fortschrittsoptimismus beschwört, ist nebensächlich: Nichts wäre verfehlter, als sein Über-Leinwandepos auf eine einfache Botschaft reduzieren zu wollen. Mit 85 Jahren erschließt Coppola eine mögliche Zukunft der Filmkunst – jenseits von infantilen Superhelden-Spektakeln und politisch korrekten Autorenfilm-Ritualen. Sein cineastisches Vermächtnis wird nicht jedem gefallen, aber es zeigt als verschwenderisches Ideen-Feuerwerk, was Kino alles sein kann.