Frankfurt am Main

There is no there there

Serpil Yeter: Am Fenster, 1986, courtesy the artist, Foto: Axel Schneider. Fotoquelle: MMK
Terra incognita vor der Haustür: Die Kunst von Migranten in Westdeutschland wurde lange kaum beachtet. Das holt das MMK nach – doch eine willkürlich anmutende Werkauswahl und die erratische Ergänzung durch Kunst von Ausländern in der Ex-DDR machen die Schau zur halbherzigen Pioniertat.

Spurensuche West: Diese Schau über Kunst von Ausländern in Deutschland kehrt die Blickrichtung um. Hatten die ähnlich angelegten Ausstellungen „Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland“ 2023 in Leipzig sowie im ersten Halbjahr 2024 „Echos der Bruderländer“ in Berlin und „Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR“ in Dresden fast ausschließlich Migranten-Kunst aus Ostdeutschland gezeigt, so kümmert sich das MMK um solche aus Westdeutschland – wohl erstmals in diesem Umfang.

 

Info

 

There is no there there

 

13.04.2024 - 29.09.2024

 

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr,

mittwochs bis 20 Uhr

im MMK -  Museum für Moderne Kunst, Domstr. 10, Frankfurt am Main

 

Broschüre gratis

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Aber nur vorwiegend: Von 30 präsentierten Künstlern waren oder sind 18 in der alten Bundesrepublik tätig, zwölf in der ehemaligen DDR. Nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden, bleibt ebenso offen wie die Bedeutung des kryptischen Titels – was soll „Es gibt kein dort dort“ heißen? Klar ist nur: Man findet in der Ausstellung außer Künstlernamen und Werktiteln keinerlei Erläuterungen, weder thematisch noch konzeptionell, nur eine Gratis-Broschüre mit einseitigen Kurzbiographien samt Deutungen von jeweils einem oder zweien der Werke.

 

Para-kuratorisch arbeiten

 

Diese vornehme Zurückhaltung mag dadurch bedingt sein, dass Kurator Gürsoy Doğtaş nach eigenen Worten „para-kuratorisch an den Schnittpunkten von Institutionskritik, strukturellem Rassismus und Queer Studies arbeitet“. Doch sein Misstrauen gegenüber Standards musealer Informationsvermittlung ist bedauerlich, weil diese Ausstellung tatsächlich unbekanntes Terrain erschließt: das künstlerische Schaffen von Menschen, die ab den 1960er Jahren nach Westdeutschland einwanderten.

Impressionen der Ausstellung


 

Gastarbeiter-Kunst reflektiert Lebensumstände

 

Als so genannte Gastarbeiter, als politische Flüchtlinge oder aus anderen Gründen: So unterschiedlich wie ihre Beweggründe fielen ihre Werke aus, in Machart und Qualität – weswegen sie umso mehr der Erläuterung bedürfen. Am einen Ende des Spektrums findet sich eine Art Selbstverständigungs-Kunst von Amateuren, die ihre Lebensumstände reflektiert. Wie kläglich diese bis Ende der 1970er Jahre oft waren, dokumentiert der Kurzfilm „Hausordnung“ (1975) des Jugoslawen Želimir Žilnik: Darin klagen Werktätige über enge, schäbige Wohnungen und rigide Vorgaben.

 

Das spießte sein Landsmann Drago Trumbetaš in ätzenden, aber präzise gezeichneten Karikaturen auf. In poetisierender Form hielt die Türkin Serpil Yeter auf Ölgemälden das Unbehagen an einer fremden Umwelt und die Angst vor Ausweisung fest. Ihr Landsmann Hanefi Yeter malte diverse Aspekte des Gastarbeiter-Daseins: von ungenügender schulischer Betreuung der Kinder über heruntergekommene Behausungen in Kreuzberg, damals der ärmlichste Bezirk von Westberlin, bis zur Feierabend-Entspannung im Park oder Demonstrationen linker türkischer Gruppen.

 

Diktaturen in Griechenland + Spanien

 

Ohnehin ist die Werkauswahl spürbar von Politisierung geprägt; quasi als roter Faden der sich ansonsten so zugeknöpft gebenden Ausstellung. Womit sie auf den nahezu vergessenen Umstand aufmerksam macht, dass bis Mitte der 1970er Jahre auch Südeuropäer als Asylsuchende in die Bundesrepublik flohen, weil in Griechenland, Spanien und Portugal Militärdiktaturen herrschten. Jannis Psychopedis aus Athen stellt das sehr vielschichtig dar: in komplexen Zeichnungs-Montagen aus Dokumenten der Verfolgung, Porträts von Flüchtlingen und ironischen Momentaufnahmen der westdeutschen Konsumgesellschaft.

 

Plakativer kommen die Agitprop-Fotocollagen der Spanierin Eulàlia Grau daher. Und niederschmetternd trist die Schwarzweiß-Bildnisse ihrer Landsfrau Núria Quevedo: Da wirken alle Porträtierten leichenblass. Allen Genannten gemeinsam ist aber ihre konventionelle Bildauffassung: figurative Malerei in mehr oder weniger naiver Manier. Durchweg interessanter sind Werke von Migranten, die darüber hinausgehen – weil sie in Deutschland eine künstlerische Ausbildung durchliefen oder bereits mitbrachten.

 

Iran-Protest = Hausbesetzer-Demo

 

Wie Akbar Behkalam: Der Iraner floh 1976 vor der Repression unter dem Shah und konnte nach der islamischen Revolution 1979 als Angehöriger der aserbaidschanischen Minderheit nicht zurückkehren. Im Aufbau ähneln seine großformatigen Gemälde Teppichen: mit durchgängig kleinteiligem Rand und ein oder zwei Motiv-Feldern mittig. Darin skizziert der Künstler oft Menschenmengen, die panisch flüchten, etwa vor den Häschern am Rand. Wobei er provokanterweise tödliche Gewalt gegen iranische Protestierer optisch mit dem Vorgehen der deutschen Polizei bei Hausbesetzer-Demos gleichsetzt – solch aggressives Pathos war um 1980 nicht unüblich.

 

Auch die türkische Bildhauerin Azade Köker verbindet engagierte Sujets mit avancierter Bildsprache. Ihre „Akkordarbeiterin“ (1987) aus Terrakotta ähnelt antiken Skulpturen aus Vorderasien, bestückt mit Versatzstücken heutiger Maschinen. Dass Gastarbeiterinnen der ersten Generation mit Fabrik- und Hausarbeit besonders belastet waren, bringt sie in weiteren Plastiken eindrucksvoll zum Ausdruck.

 

Bessere Migranten-Kunst in Ex-DDR

 

Nichtsdestoweniger macht der West-Ost-Vergleich rasch deutlich: Wesentlich interessanter sind die Werke von Migranten in der Ex-DDR, also am anderen Ende des Spektrums. Aus zwei Gründen: Erstens bleiben so genannte Vertragsarbeiter, das ostdeutsche Pendant der Gastarbeiter, mit Ausnahme des Mosambikaners Dito Tembe in der Ausstellung außen vor. Zweitens kamen die Ausländer durchweg aus politischen Gründen nach Ostdeutschland: weil sie wie der Äthiopier Getachew Yossef Hagoss oder die Angolanerin Manuela Sambo aus ’sozialistischen Bruderstaaten‘ stammten. Oder wie César Olhagaray aus Chile und Rimer Cardillo aus Uruguay vor Militärputschen in ihrer Heimat flüchteten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR" – gelungener umfassender Überblick im Albertinum, Dresden

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland" – Retrospektive der Migranten-Kunst in der DDR im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Als hätten wir die Sonne verscharrt im Meer der Geschichten" – facettenreiche Themenschau zu Kunst ethnischer Minderheiten in der Ex-Sowjetunion im Haus der Kulturen der Welt, Berlin.

 

Sie brachten also einen gehobenen sozialen Status mit, dazu ein Kunststudium im Gepäck oder holten dies in der Ex-DDR nach. Entsprechend experimentierfreudig war ihr Schaffen. Olhagaray kaprizierte sich auf Wandgemälde mit verschlungen-stilisiertem Dekor. Sambo fertigte expressive Pappmaché-Masken nach traditionellen Vorbildern in Angola an. Cardillo setzte seine Systemkritik in photorealistische, aber symbolisch verschlüsselte Siebdrucke von Zikaden und Nachtfaltern um. Hagoss schuf markante Polit-Plakate und düster-prachtvoll schimmernde Wimmelbilder.

 

Türöffner für mehr Systematik

 

All diese Arbeiten sind origineller und handwerklich versierter als das Meiste, was zur gleichen Zeit im Westen entstand; vielleicht abgesehen von den farbenfrohen all-over-Mustern, mit denen Hamid Zénati aus Algerien Stoffbahnen schmückte. Da stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, derart disparate Werke in einer Ausstellung zusammenzubringen – nur weil die Künstler irgendwo im heutigen Bundesgebiet wohnten, aber keinen deutschen Pass hatten.

 

Die ausgetüftelt deformierten Porträts des Syrers Marwan, der 20 Jahre als Professor an der Westberliner Hochschule der Künste lehrte, haben mit den bunt orientalisierenden Kurdinnen-Konterfeis von Rıza Topal ebenso wenig gemeinsam wie mit den banalen Kreuzberg-Schnappschüssen der Italienerin Grazia Eminente oder den Mini-Skizzen auf Schleifpapier von Ali Rıza Ceylan, Arbeiter in den Kölner Ford-Motorwerken.

 

Letztlich ist diese Zusammenstellung ein willkürlich anmutendes Potpourri – bei allen Qualitäten einzelner Arbeiten. Insofern sollte „There is no there there“ als Türöffner betrachtet werden: für eine systematischere Betrachtung der Kunst von Ausländern in Deutschland.