Worpswede

Bernhard Hoetger – Zwischen den Welten

Bernhard Hoetger: Lee Hoetger, 1917, Bronze, Privatbesitz. Foto: © Worpsweder Museumsverbund/Joerg Sarbach
Ein Bildhauer als Chamäleon: Bernhard Hoetger wechselte alle paar Jahre Stil und Überzeugung, suchte nach nordisch-germanischem Geist – und schuf dennoch beeindruckend avantgardistische Werke, welche die Nazis als „entartet“ brandmarkten. Das zeigen anschaulich drei Ausstellungen zum 150. Geburtstag.

„Zwischen den Welten“ klingt als Ausstellungstitel etwas trivial: Zahllose Künstler haben sich in verschiedenen geographischen und sozialen Sphären bewegt. Doch wenige – und das rechtfertigt wiederum den Titel – so radikal wie Bernhard Hoetger (1874-1949): Alle paar Jahre brach er Brücken hinter sich ab, wechselte den Wohnort, seine Gönner, seinen Stil und seine Überzeugungen. Nur seiner Gattin, der Pianistin Helene „Lee“ Natalie Haken, blieb er nach ihrer Heirat 1905 ein Leben lang treu.

 

Info

 

Bernhard Hoetger –
Zwischen den Welten

 

17.03.2024 - 03.11.2024

 

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

im Barkenhoff, der Großen Kunstschau + der Kunsthalle, Worpswede

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Hoetgers 150. Geburtstag ist für den Worpsweder Museumsverbund Anlass für eine Großoffensive: mit drei aufeinander abgestimmten Einzelausstellungen, wie schon für Hoetgers Freund und Konkurrenten Heinrich Vogeler zu dessen 150. Geburtstag vor zwei Jahren. Dass die Trilogie denselben Titel trägt wie ein Filmporträt über Hoetger, das Ende Juli in die Kinos kam, dürfte ein Fall von fein abgestimmter Crossmedia-Promotion sein.

 

Rivalität der Gutshöfe

 

Der Rundgang – sofern bei einer Ausstellungs-Trias davon die Rede sein kann – beginnt im Barkenhoff; diesen Gutshof hatte der erfolgreiche Jugendstil-Maler Vogeler ab 1895 zu einem repräsentativen Anwesen ausgebaut. Es wurde zum gesellschaftlichen Zentrum der Künstlerkolonie, die seit 1889 in Worpswede entstanden war. Damit wollte Hoetger rivalisieren, als er 1914 hierher zog und sich gleichfalls ein geräumiges Atelier- und Wohnhaus namens Brunnenhof zulegte, samt großem Skulpturengarten.

Interview mit Direktor Matthias Jäger + Impressionen der Ausstellungen im Barkenhoff, der Großen Kunstschau, der Kunsthalle + des Niedersachsensteins


 

Freund + Nachlassverwalter von Modersohn-Becker

 

Damals ähnelten sich ihre Formensprachen: Vogeler wurde geschätzt für flächige, linienbetonte Historien-Visionen, die diffuse Empfindungen und Sehnsüchte zum Ausdruck brachten. Hoetger hatte zuvor in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt etliche Plastiken von stilisierten, asiatisch anmutenden Gestalten geschaffen, die Seelenzustände und kosmische Harmonie symbolisieren sollten.

 

Wie etwa bei der hier gezeigten Bronzeskulptur „Leda mit dem Schwan“: Anstatt sich verführen zu lassen, strebt die Königstochter mit erhobenen Händen dem Himmel entgegen – ähnlich der Frauenfigur auf dem „Gerechtigkeitsbrunnen“, den Hoetger 1910 in Wuppertal-Elberfeld errichtet hatte. Er konnte aber auch ganz naturgetreue Büsten modellieren; etwa den Kopf von Paula Modersohn-Becker, die er 1906 in Paris kennengelernt hatte. Ihre Freundschaft war kurz, aber intensiv; nach ihrem frühen Tod 1907 schuf Hoetger ihr Grabmal, verwaltete ihren Nachlass und setzte sich für ihren Nachruhm ein.

 

Übernahme des Platzhirsch-Postens

 

Nach Kriegsausbruch wurde Vogeler freiwillig Frontsoldat, Hoetger dagegen ausgemustert. Als Vogeler aus dem Krieg zurückkam, war er völlig verändert, begeisterte sich für sozialrevolutionäre Ideen und wandelte den Barkenhoff in eine Kommune mit Kollektiv-Werkstatt um. In der ließ auch Hoetger Kunstgewerbliches herstellen, trotz ideologischer Differenzen: Er neigte mittlerweile völkischem Nationalismus zu und wollte Werke in nordisch-germanischem Geist schaffen.

 

Während Vogeler in den 1920er Jahren erst nach Berlin und dann in die Sowjetunion übersiedelte, wo er Opfer stalinistischer Repression wurde, übernahm Hoetger quasi den vakanten Posten des Platzhirschs von Worpswede. Den Ortskern gestaltete er mit mehreren Bauten in gewagtem Backstein-Expressionismus um; im bedeutendsten, der 1927 eröffneten „Großen Kunstschau“, werden jetzt seine bildhauerische Arbeiten im chronologischen Überblick präsentiert.

 

Schlüpfrige + skurrile Kleinplastiken

 

Unter dem Titel „Licht und Schatten“: abermals Allerwelts-Begriffe, aber mit Bezug auf sein Werk. So nannte Hoetger ein in Darmstadt entstandenes Ensemble von 15 Majolika-Allegorien menschlicher Tugenden und Laster, das fernöstlich inspiriert scheint; von einigen stellte er in Worpswede vergrößerte Steinguss-Kopien in seinem Skulpturen-Garten auf. Die Ausstellung bietet nur drei Originale auf, wovon offenbar mit Reproduktionen bedruckte Spiegel-Kacheln ringsum ablenken sollen.

 

Dieses zentrale Kabinett wird gesäumt von einem Parcours durch alle Werkphasen. Angefangen mit den Kleinplastiken, mit denen sich Hoetger ab 1900 in Paris einen Namen machte: schwungvoll bis wild bewegt, offensichtlich von Rodin beeinflusst, gerne schlüpfrig oder skurril. Dann ein stilistischer Bruch: Seine Torsi, Büsten und Ganzkörperfiguren der 1910er Jahre kommen glatt und verhalten daher, mit gesammelten und gemessenen Zügen.

 

Seelenvoll gelängte Frauenhälse

 

Zugleich bedient sich Hoetger eklektisch bei allen möglichen Epochen und Kulturen, vom antiken Ägypten und Griechenland über Mexiko bis China. Frauenköpfe auf gelängten Hälsen schließen meist die Augen und recken das Kinn nach vorn: eine Pose seelenvoll-gefasster Erwartung. Manchmal passt das, etwa bei Porträts seiner Bekannten Elsa von Carlberg, die sich Sent M’Ahesa nannte und als Reinkarnation einer altägyptischen Tänzerin inszenierte. Manchmal wirkt das überzogen und maniriert.

 

Doch Hoetger konnte auch ganz anders. Weltanschaulich flexibel, fertigte er für sozialdemokratische und linke Auftraggeber auch Motive aus Arbeitswelt und Klassenkampf an. Wie sein „Zyklus des Lebens unter dem Stigma der Arbeit“ von 1927 für das Volkshaus in Bremen: acht Wandplastiken von Männern, deren Leiber durch Mühsal und Leid verbraucht sind. Zwei kleine Modelle sind in der Schau zu sehen, nebst weiteren Arbeiter-Bronzen; sie übertreffen Vorbilder von Constantin Meunier weit an Drastik.

 

Von Hitler persönlich verdammt

 

Die Volkshaus-Figuren wurden 1933 von den Nazis entfernt und eingeschmolzen; ähnlich erging es Teilen seines opus magnum. Finanziert von seinem letzten und wichtigsten Mäzen, dem deutschnational gesinnten „Kaffee-HAG“-Fabrikanten Ludwig Roselius, gestaltete Hoetger große Teile der Bremer Böttcherstraße: von den Plänen für mehrere Häuser bis zur Einrichtung und Fassadengestaltung. Leider fehlen Exponate dazu in der Ausstellung.

 

Hoetger hoffte, damit zum Vorzeige-Künstler des NS-Regimes aufzusteigen. Er irrte: Hitler persönlich verdammte 1936 die „Böttcherstraßen-Kultur“ – danach galt sein Werk als „entartet“. Viele seiner Arbeiten wurden beschlagnahmt und Hoetger selbst aus der NSDAP ausgeschlossen, in die er 1934 eingetreten war. Dass er künstlerisch in eine Sackgasse geraten war, demonstrieren vier Bronzeköpfe von Bauern, die er bereits 1924 angefertigt hatte. Sie sollten unverbildete Typen zeigen, die im wahren germanischen Volksgeist wurzeln – doch die Häupter sehen so deformiert und degeneriert aus, dass damit kein nationalsozialistischer Staat zu machen war.

 

Malerei ohne persönliche Handschrift

 

In seinen letzten Lebensjahren verlegte sich Hoetger – mangels Mäzenen und Aufträgen – auf die Malerei. Mit wechselhaftem Ergebnis, wie der dritte Ausstellungs-Teil in der Worpsweder Kunsthalle vorführt. Mal glückten ihm einprägsame Landschaften, mal fielen seine Stillleben oder Porträts beliebig und belanglos aus – jedenfalls fehlte ihm als Maler die persönliche Handschrift, die ihn als Bildhauer trotz aller stilistischen Variationen auszeichnete. Damit stand er nicht allein: Etliche Werke neoexpressionistischer Künstler im Worpswede der 1920er Jahre, die hier versammelt sind, waren allenfalls zweitklassig.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bernhard Hoetger – Zwischen den Welten" – informatives Dokudrama über den Künstler von Gabriele Rose

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dem Licht entgegen – Die Künstlerkolonie-Ausstellung 1914" – große Jugendstil-Schau mit Werken von Bernhard Hoetger im Institut Mathildenhöhe Darmstadt

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Paula Modersohn-Becker" – umfassende Werkschau der Worpswede-Künstlerin in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main

 

und hier einen Beitrag über den Film "Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers" – originelles Biopic über den Worpswede-Maler + Hoetger-Freund von Marie Noëlle.

 

Die meisten werden zurecht ignoriert, Hoetger hingegen zu Unrecht. Nicht nur, weil er stilistisch so vielseitig und versiert agierte, dass er fast jedem Geschmack etwas zu bieten hat. Sondern vor allem, weil er eine im Kunstbetrieb sehr seltene Erscheinung darstellt: ein avantgardistischer Künstler, der spätestens ab 1920 entschieden rechtslastig gesinnt war. Damit widerlegt seine Person den Mythos der Moderne, ästhetisch fortschrittliche Künstler seien stets auch politisch progressiv.

 

Einzigartiger Niedersachsenstein

 

Das beste Gegenbeispiel ist Hoetgers mächtigste Skulptur, die sich einen Kilometer vom Ortskern entfernt bestaunen lässt: Der so genannte Niedersachsenstein auf dem Weyerberg – eher ein bewaldeter Hügel – ist die einzige expressionistische Monumentalplastik in Deutschland. Aus Ziegelsteinen 18 Meter hoch errichtet, erinnern ihre Umrisse von fern an die Schwingen eines Vogels. Von nahem ist mittig ein Konglomerat zu erkennen, das sich mit viel Fantasie als Mutter mit Kind unterm Sonnenkranz deuten lässt.

 

So verwirrend wie die Gestaltung ist die Entstehungsgeschichte: 1914 als Siegesdenkmal geplant, wurde es wegen des Kriegsverlaufs zur Gedenkstätte für die Opfer umgewidmet. Hoetgers Entwürfe waren heftig umstritten, er selbst erklärte sie bis zur Einweihung 1922 kaum. Sein „nordisches Zeichen für die gefallenen Krieger“ wäre nach 1933 beinahe abgerissen worden.

 

Reaktion sprengt Sehgewohnheiten

 

Gottlob blieb das Ungetüm erhalten – als eines der exzentrischsten Denkmäler, die je errichtet wurden. Mit einer bizarren Außengestaltung, die bis heute Rätsel aufgibt: Auch mit vermeintlich reaktionären Absichten lassen sich Sehgewohnheiten fulminant sprengen.