Keine Seerosen, nirgends. Stattdessen peitscht Regen herab. Heftiger Wind faucht durch die Szene und jagt Wolken über den Himmel. Wie das Wetter ist, spürt man beim Ansehen dieser Blätter unmittelbar, als fast körperliche Empfindung. Keineswegs herrscht immer eitel Sonnenschein in der Ausstellung „Der andere Impressionismus“. Auch unwirtliche Witterung hat ihren Reiz, im graphischen Medium ohnehin. Hier darf man schwelgen im Sumpfigen und Matschigen, im Stürmischen und Düsteren, aber auch in duftig-zarten Stimmungsmomenten.
Info
Der andere Impressionismus. Internationale Druckgraphik von Manet bis Whistler
25.09.2024 - 12.01.2025
mittwochs bis freitags 10 bis 17 Uhr,
samstags + sonntags 11 bis 18 Uhr
im Kupferstichkabinett, Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin
Katalog 29,95 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Monet und die impressionistische Stadt
27.09.2024 - 26.01.2025
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr
in der Alten Nationalgalerie,
Bodestr. 1-3, Berlin
Katalog 28 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Erst Graphiken, dann Gemälde
Seit 1902 befindet sich ein Abzug im Berliner Kupferstichkabinett, dessen Abteilung für zeitgenössische Graphik erst wenige Jahre zuvor gegründet worden war. Tatsächlich ebnete die Druckgraphik dem Impressionismus den Weg in die Museen: Noch bevor die ersten impressionistischen Gemälde angekauft wurden, schleusten mutige Kuratoren derartige Werke in die Graphik-Kabinette und machten sie so museumswürdig. Weil farbenfrohe Gemälde populärer sind, so Kuratorin Anna Marie Pfäfflin, wird impressionistische Graphik nur noch selten gezeigt – und ist daher etwas in Vergessenheit geraten. Hinzu kommt: Lichtempfindliche Werke auf Papier dürfen, anders als Ölgemälde, aus konservatorischen Gründen nicht dauerhaft ausgestellt werden.
Interview mit Kuratorin Anna Marie Pfäfflin + Impressionen der Ausstellung "Der andere Impressionismus" im Kupferstichkabinett
Fotografie löste Graphik-Boom aus
Doch damit wird ein wichtiger Teil dieser Kunstströmung unterschlagen. Nahezu alle Impressionisten haben sich auch im Medium der Druckgraphik betätigt. Manche, wie Edgar Degas, liefen dabei zu Höchstform auf; wobei er seine experimentierfreudigen Abzügen nicht zu Geld machte, sondern sie bis zu seinem Tod im Atelier aufbewahrte. Edouard Manet und andere nutzten dagegen Drucke, um Reproduktionen ihrer eigenen Gemälde in erschwinglichen Auflagen unter die Leute zu bringen. Dabei entstanden aber keine Kopien, sondern eigenständige Kunstwerke auf Papier.
Tatsächlich erlebten die Maler-Radierung und -Lithographie im 19. Jahrhundert einen Boom. Das lag auch an der Erfindung der Fotografie: Indem sie das bloße Abbilden der Dingwelt einfach machte, spornte sie Künstler zu freiem Ausdruck in der Druckgraphik an. Nur Claude Monet hatte offenbar keine Lust auf die kniffeligen druckgrafischen Techniken; er ließ sich davon jedoch inspirieren.
Ständig geschützte cliché-verre-Abzüge
Gleich am Beginn der Schau hängt eine Hafenansicht mit tiefstehender Sonne vom Niederländer Johan Berthold Jongkind – ihn bezeichnete Monet als seinen eigentlichen Lehrmeister. Das skizzenhafte Gekritzel erinnert verblüffend an die berühmte Initialzündung des Impressionismus: Monets Gemälde „Impression, soleil levant“ (1872), das einen Sonnenaufgang im Hafen von Le Havre zeigt.
Noch wilder krakelnd ging Camille Corot zu Werke. Er gehörte zur Vorläufergeneration, die plein-air-Malerei, also das Arbeiten unter freiem Himmel, in Mode brachte. 1856 nahm er einen Stapel kleiner Glasplatten mit in den Wald von Fontainebleau. Im dichten Unterholz kratzte er mit der Nadel rasche Strichlagen in die geschwärzte Oberfläche und schuf so handgezeichnete Negative. Dann legte er sie auf beschichtetes Papier, so dass die Sonne selbst das Belichten übernahm. Solche cliché-verre-Abzüge sind derart empfindlich, dass sie permanent von Schutzpappen abgedeckt bleiben, die man nur kurz abnehmen darf.
Theater in Paris + Wolkenkratzer in New York
Anregende Wandtexte erklären die technischen Finessen solcher Verfahren, deren Bandbreite enorm ist. Gleichfalls das Spektrum der Motive; auf den Blättern hält die rasch fortschreitende Industrialisierung ebenso Einzug wie das Wachstum der Metropolen und ihres urbanen Lebens – von der Wolkenkratzer-Silhouette in Manhattan bis zu nächtlichen Theaterbesuchern in Paris.
Die impressionistische US-Malerin Mary Cassatt wird von Edgar Degas im Louvre portätiert; ihr Kollege Charles-Francois Daubigny zeigt sich auf seinem Atelierboot, ganz vertieft in seine Freiluft-Malerei. Der Künstler Anders Zorn aus Schweden inszeniert mit behänden Strichlagen, aber ohne Konturen das Auftreten moderner, selbstbewusster Frauen.
Drei Mal Ufer im Regenwetter
Um ein großes Publikum zu beeindrucken, setzt der Brite James Tissot auf elegant komponierte Riesenformate. Ist das noch Impressionismus? Kuratorin Anna Marie Pfäfflin spannt den Bogen weit und nimmt in diese Zusammenstellung sogar Radierungen von Rembrandt van Rijn mit auf. Dem Meister lockerer Strichführung und raffinierter Lichtsetzung eiferten im 19. Jahrhundert viele Künstler nach.
Schon wieder ziehen finstere Wolken auf. Es schüttet regelrecht, ob über Getreideschobern von Camille Pissarro oder am Meeresufer, das der Niederländer Careel Nicolaas Storm van s‘-Gravesande festhielt. In einer Dreier-Serie, die stets denselben Ausschnitt zeigt, spürte er durch kontinuierliche Bearbeitung der Druckplatte dem sich wandelnden Wetter nach, wobei sich die Ansicht mit jedem Abzug verdüsterte. Ein geradezu filmischer Effekt; Momentaufnahmen pur.
Lichter der verregneten Großstadt
Andere Künstler reizten in Nachtszenen die Stärken des schwarzweißen Mediums aus. Bei Franz Skarbina etwa werden nachts die Regenschirme aufgeklappt, eine regennasse Fahrbahn spiegelt die Lichter der Großstadt: Auch in Berlin regnet es, natürlich. Die deutschen Impressionisten waren mit Zeitverzögerung gestartet. Doch dann lassen, von Édouard Manet angeregt, Max Liebermann und Max Slevogt ebenfalls Pferde auf einer Rennbahn galoppieren: Im Rausch der Geschwindigkeit rasen sie auf fast leerem Papiergrund heran und am zur jubelnden Masse verschmelzenden Publikum vorbei.
Und die Farbe? Man vermisst sie nicht. Nur wenige Künstler wie Auguste Renoir wollten auch bei ihrer Graphik auf dieses Ausdrucksmittel nicht verzichten. Bis zu acht Lithographie-Steine verwendete er, um nuancenreiche Schattierungen übereinanderzudrucken: für den zart angedeuteten Hauch eines Grün – oder eine leuchtend rote Blume am sommerlichen Hut eines jungen Mädchens.
Revolutionäre Ein-Werk-Ausstellung
Dagegen verhält es sich in der Ausstellung „Monet und die impressionistische Stadt“ in der Alten Nationalgalerie genau umgekehrt. Hier kommen alle Töne und Schattierungen der Ölmalerei verschwenderisch zum Einsatz – aber der Eindruck, der dadurch entsteht, ist eher der von Gleichförmigkeit. Und der einer matten Pflichtübung: als wollten die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) die Aufgabe, die Entstehung des Impressionismus vor 150 Jahren durch eine Gemälde-Schau zu würdigen, mit möglichst geringem Aufwand erledigen.
Impressionen der Ausstellung "Monet und die impressionistische Stadt" in der Alten Nationalgalerie
2017 hatten die SMB ein so revolutionäres wie kostengünstiges Format erfunden: die Ein-Werk-Ausstellung. Sie stellten eine Bronzestatuette von Auguste Rodin in den Mittelpunkt und garnierten sie mit ein paar Arbeiten anderer Künstler – fertig war die Gedenkschau zum 100. Todestag des Bildhauers. 2019 folgte eine Ein-Bild-Ausstellung mit dem monumentalen Gemälde „Straße in Paris, Regenwetter“ (1877) des Frühimpressionisten Gustave Caillebotte.
Familienzusammenführung des Bilder-Trios
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "»Paris ist meine Bibliothek«: Zeichnungen und Druckgraphik von Félicien Rops" – abgründig schillernde Fin-de-Siècle-Grafik über Sex, Satan und Sarkasmus in der Kunsthalle, Hamburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Monet. Orte" – opulente Impressionismus-Retrospektive im Museum Barberini, Potsdam
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Honoré Daumier – Die Sammlung Hellwig" – umfassende Retrospektive des bedeutendsten Grafik-Künstlers im Paris des 19. Jahrhunderts im Städel Museum, Frankfurt am Main
und hier eine Kritik der Ausstellung "Gustave Caillebotte – Maler und Mäzen der Impressionisten" – revolutionäre Ein-Gemälde-Schau in der Alten Nationalgalerie, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Monet und die Geburt des Impressionismus" mit Arbeiten von Édouard Manet im Städel Museum, Frankfurt/ Main.
Ansonsten verbindet sie nur, dass Monet sie protoimpressionistisch malte: in klaren Farben mit lockerer Pinselführung, aber noch ohne Auflösung der Formen in Lichteffekte. Da das wenig aufregend ist, gruppieren die SMB drumherum zehn weitere Paris-Ansichten, von Caillebotte über Renoir und Pissarro bis zum Spätimpressionisten Maximilien Luce und Henri Matisse. Im Kabinett dahinter sind noch drei kleinformatige Gemälde zu sehen, dazu ein paar Radierungen und zeitgenössische Fotografien zum Wandel der französischen Kapitale in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Stadtplan ist am interessantesten
Nun dürfte der Stadtumbau von Paris durch Baron Haussmann zu den am besten dokumentierten Episoden der neuzeitlichen Kulturgeschichte zählen; verständlicherweise hat diese Mini-Schau dazu nichts Neues beizutragen. Das interessanteste Exponat ist daher ein Stadtplan von 1867, auf dem alle umgestalteten Straßenzüge rot markiert sind – erwartbarerweise liegen sie meist im Regierungsviertel rund um den Louvre sowie in den Arrondissements der wohlhabenden Bougeoisie im Norden und Westen der Stadt.
Ansonsten taugt dieses kleine Potpourri historischer Paris-Motive vor allem für instagramtaugliche Souvenirfotos – zumal die Besucher nur in homöopathischen Dosen mit Erläuterungs-Texten belästigt werden. Am besten betrachtet man diese „konzentrierte Ausstellung“, wie die SMB sie nennt, als ein so gefälliges wie substanzarmes Zusatzangebot zur Graphik-Schau am Kulturforum: kann man gucken oder auch lassen.