Orkhan Aghazadeh

Die Rückkehr des Filmvorführers

Samid (Samid Idrisov) war während Sowjet-Zeiten der Filmvorführer seines aserbaidschanischen Dorfes. Foto: déjà-vu film
(Kinostart: 31.10.) Warten auf die Wunderlampe: Der erste Spielfilm von Orkhan Aghazadeh erzählt vom Comeback eines Filmvorführers in den Bergen Aserbaidschans. Aus dokumentarisch anmutenden Szenen entwickelt sich eine kunstvolle Parabel auf das Leben an den Rändern der technologisierten Welt.

Ein Jahr der Trauer nach dem Unfalltod seines erwachsenen Sohnes fasst Samid (Samid Idrisov) einen Plan: Er will seinen alten Filmprojektor aus Sowjetzeiten wieder in Betrieb nehmen und im Gemeindesaal Filme zeigen. Denn vor mehr als 30 Jahren war er als Filmvorführer ein angesehener Mann in seinem Dorf im nordaserbaidschanischen Bergland. Heute repariert er billige Fernseher, die aber wegen des schlechten Empfangs in der abgelegenen Gegend kein befriedigendes Bild liefern.

 

Info

 

Die Rückkehr des Filmvorführers

 

Regie: Orkhan Aghazadeh,

87 Min., Aserbaidschan/ Frankreich/ Deutschland 2024,

mit Samid Idrisov, Ayaz Khaligov

 

Weitere Informationen zum Film

 

In den frühen 1990er Jahren war das Kino in der Provinz eine Institution. Gern erinnern sich auch die anderen Alten des Dorfs an Filme, die sie damals gesehen haben. Sogar ihre Lieblingsfilmsongs können sie nach kurzem Nachsinnen noch singen. Die Szene, in der sie gemeinsam in gebrochenem Englisch Lieder aus dem US-Tanzfilm „Flashdance“ (Adrian Lyne, 1983) anstimmen, gehört zu den Momenten, in dem die oft dokumentarische Anmutung des Films einnehmende Komik entfaltet.

 

Mit dem Segen des Dorfvorstehers

 

Zunächst hat selbst der Dorfvorsteher nichts gegen Samids Plan einzuwenden – vorausgesetzt, der zeigt keine anzüglichen, sondern nur erbauliche Filme. Auch die Dorffrauen sind gern bereit, ihren Teil beizutragen: Nach Samids Vorgaben nähen sie die neue Leinwand. Um an die großen alten Zeiten anzuschließen, benötigt Samid eigentlich nur noch eine Glühlampe für den Projektor.

Offizieller Filmtrailer


 

Jagd nach der Projektor-Lampe

 

Gemeinsam mit einem Freund, der einen Computer besitzt, versucht er, das Ersatzteil online zu bestellen. Ihre Jagd über die Bergkuppen nach einem Funksignal bei Kälte und Dunkelheit pendelt zwischen Lakonie und Slapstick und erfordert Samids ganze Überzeugungskraft. Danach beginnt das lange Warten auf die ersehnte Lieferung, das bald kafkaeske Züge annimmt.

 

In ruhigen Einstellungen verfolgt Regisseur Orkhan Aghazadeh in seinem ersten Spielfilm die Handlungen seiner liebenswert eigensinnigen Charaktere. Dabei fängt er in kunstvoll komponierten Bildern die verschiedenen Geschwindigkeiten ein, die das Leben in der Region prägen – vom Wechsel der Jahreszeiten in den Bergen bis zum Rhythmus des Umbaus einer postsowjetischen Metropole. Während Samid die meisten seiner Wege auf steilen Pfaden zu Fuß erledigt, erlauben das Internet und Social Media der jungen Generation, sich ein Bild der Welt außerhalb des begrenzten eigenen Umfelds zu machen.

 

Assistenz vom Enkel

 

Im Dorf ist das vor allem Samids Enkel Ayaz (Ayaz Khaligov), der ebenso filmbegeistert ist wie sein Großvater. Mit Hilfe aktueller Apps auf seinem Mobiltelefon ist der künstlerisch wie technisch begabte Junge in der Lage, eigene Filme zu animieren und zu schneiden. Mit ihnen will er sich für ein Filmstudium bewerben, aber er bekommt auch Gelegenheit, damit Samid zu unterstützen.

 

Der hat von einem ehemaligen Kollegen aus der Stadt einen indischen Spielfilm für den ersehnten ersten Kinoabend erhalten. Da bei dem Liebesmelodram allerdings der letzte Akt fehlt, beschließen Ayaz und Samid, diesen selbst nachzudrehen und machen sich gemeinsam ans Werk. Ihrer Zusammenarbeit gewinnt der Film eine ganze Reihe witziger und überraschender Momente ab – etwa, wenn sie die Werbekampagne für das bevorstehende Ereignis entwickeln und umsetzen.

 

Zu hoch gepokert?

 

Aber während sie weiterhin auf das Eintreffen der Projektorlampe warten, tun sich nach und nach weitere Schwierigkeiten auf: So gibt es bald Bedenken, dass der Liebesfilm vielleicht doch nicht ganz den Vorgaben der Sittenwächter entspricht. Zudem beginnt man im Dorf darüber zu spekulieren, ob Samid mit seinen Versprechungen nicht zu hoch gepokert hat. Ayaz soll wiederum mehr für die Schule tun, so dass der Filmvorführer mit dem Traum seines Comebacks bald wieder ziemlich allein dasteht.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Licht, aus dem die Träume sind" – nostalgischer Rückblick auf die Cineasten-Kindheit des indischen Regisseurs Pan Nalin

 

und hier eine Besprechung des Films "Original Copy – Verrückt nach Kino" – Dokumentation über Filmplakatmaler in Indien von Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen

 

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und hier einen Beitrag über den Film "Memories on Stone – Bîranînên li ser kevirî" – raffinierter Meta-Film über Filmemachen in Kurdistan von Shawkat Amin Korki.

 

Aus Samids Kampf gegen die widrigen Umstände entwickelt Aghazadehs Film eine leise, aber eindringliche Parabel auf die Situation der Menschen an den Rändern einer sich immer schneller wandelnden Welt. Sie kontrastiert den Bauboom in der Hauptstadt Baku, wo Samids Sohn auf einer der unzähligen Großbaustellen zu Tode kam, mit dem Leben in der Bergregion, das sich in Landschaft, Wetter und Tradition einbettet.

 

Entspannter Blick auf die Fährnisse der Welt

 

Sie findet aber auch Verbindungen zwischen den Technik-Innovationen unterschiedlicher Epochen und zeigt, wie jede Generation im Umgang mit den jeweiligen Medien die Fähigkeit entwickelt, die Phantasie Funken schlagen zu lassen. Vor allem aber zeigt sich ein entspannter Blick auf die Fährnisse der Welt. Gepaart mit der Gabe zur Improvisation lassen sich damit auch drohende Niederlagen abwenden.

 

Schließlich zeichnet sich ein gelungener Abend für alle nicht unbedingt dadurch aus, dass alles reibungslos gelingt, sondern dadurch, dass alle auf ihre Kosten kommen. So entwickelt sich das Kinoereignis am Ende ganz anders, als sich der Filmvorführer seine Rückkehr vorgestellt hat. Bei allem Naturalismus schließt dabei seine mit viel Humor erzählte Geschichte an die Schlitzohrigkeit der Erzähltradition von „Tausendundeine Nacht“ an. Am Ende kann sie sogar mit ihrer eigenen Wunderlampe aufwarten.