Das Ende steht von vornherein fest. Das Ehepaar Hilde und Hans Coppi wurde 1942 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“ vom NS-Regime zum Tode verurteilt und daraufhin in Berlin-Plötzensee hingerichtet: Er im November 1942, sie im August 1943. In der DDR wurden sie und andere Mitglieder der so genannten Roten Kapelle als Märtyrer idealisiert. Rote Kapelle war der Fahndungsname der Gestapo für ein Netzwerk von rund 400 meist linken Personen, die gegen die Diktatur Widerstand leisteten.
Info
In Liebe, Eure Hilde
Regie: Andreas Dresen,
125 Min., Deutschland 2024;
mit: Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer
Weitere Informationen zum Film
Angehörige von Kriegsgefangenen informieren
Ihr Widerstand bestand aus intensiver konspirativer Arbeit. So hörten sie heimlich „Radio Moskau“, notierten die Namen von Kriegsgefangenen und schrieben Briefe an deren Angehörige, um sie zu informieren, dass die Vermissten am Leben waren. Sie verbreiteten auch Flugblätter und hielten Kontakt zu Exilanten. Zudem ist es ihnen gelungen, Institutionen wie die Luftwaffe, das Auswärtige Amt und die Nachrichtenaufklärung zu infiltrieren. Als das Netzwerk aufflog, war die verhängten Strafen entsprechend drakonisch.
Offizieller Filmtrailer
Persönliche Stärke in auswegloser Situation
Regisseur Andreas Dresen rückt jedoch nicht die politischen Aktionen der Widerständler in den Fokus. Zwar werden sie immer wieder in Rückblenden aufgegriffen, aber im Zentrum der Handlung steht Hilde Coppis Zeit im Gefängnis. Gleich zu Beginn des Films wird sie bei der Erdbeerernte im Schrebergarten verhaftet. Da ist die 1909 geborene Hilde hochschwanger; ihren Sohn Hans wird sie hinter Gefängnismauern zur Welt bringen. Acht Monate lang darf sie ihn noch großziehen, bevor sie hingerichtet wird.
Im Grunde ist „In Liebe, Eure Hilde“ ein Film über die persönliche Stärke eines Menschen in einer ausweglosen Situation. Liv Lisa Fries spielt Hilde Coppi ganz zurückgenommen als eine eher stille Frau, die sich Anstand und Integrität auch unter schwierigen Haft-Bedingungen bewahrt. Nicht als Heldin oder Heilige, deren Entschlossenheit niemals wanken würde, sondern als innerlich gefestigten Menschen mit starkem moralischen Kompass.
Herunter vom Heldensockel
Die Kraft dafür zieht sie aus ihrem Kind: Hans ist für Hilde die einzige Verbindung zu einer Zukunft, die ihr selbst verwehrt bleibt. Regisseur Dresen zeigt schonungslos realistisch, was es bedeutet, unter solchen Umständen ein Kind zur Welt zu bringen, es zu ernähren und zu versorgen. Erholung von den düsteren Gefängnisszenen bieten allein Rückblenden, die erzählen, wie sich Hans und Hilde kennengelernt haben – sie schildern ihre Widerstandsaktionen, aber auch ihre Liebe.
Da sind junge Menschen beim Zelten, auf dem Motorrad, am See und im Café zu sehen. Diese Passagen sind voller Luft, Licht und Musik; manches mutet wie ein Abenteuerspiel an. Der Film zeigt bewusst den Alltag der Widerständler, um sie vom Heldensockel herunter zu holen, auf den sie zu DDR-Zeiten gestellt wurden. Sie erscheinen als Menschen wie du und ich.
Mittäter als Menschen
Regisseur Dresen, dessen Filme zumeist in der Gegenwart spielen, wagt sich mit diesem Film erstmals – abgesehen vom biopic des DDR-Liedermachers „Gundermann“ (2018) – an ein historischen Thema. Allerdings greift er nur so weit wie nötig auf historisierende Elemente zurück. Einordnende Texttafeln werden ebenso vermieden wie sattsam bekannte Versatzstücke von NS-Filmen: Es gibt weder wehende Fahnen noch marschierende Kolonnen oder brüllende Nazischergen in Uniform.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Gundermann" – facettenreiches Biopic über den DDR-Liedermacher von Andreas Dresen
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Voll das Leben! Andreas Dresen und Team" – umfassende Werkschau seiner Filmographie im Filmmuseum Potsdam
und hier einen Beitrag über den Film "Die Ermittlung" – Verfilmung des Theaterstücks von Peter Weiss über den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963/5 von RP Kahl
und hier einen Bericht über den Film "Ein verborgenes Leben" – brillantes Historien-Drama über christlichen Widerstand im Zweiten Weltkrieg von Terrence Malick.
Hoffnungsschimmer am Ende
Den Akteuren ist anzumerken, dass sie in einem System gefangen sind, das sie vielleicht nicht hundertprozentig gutheißen, aber trotzdem mit stützen. Dabei schonen der Regisseur und seine langjährige Drehbuchschreiberin Laila Stieler die Zuschauer nicht: Manche Szenen sind in ihrer Intensität emotional nur schwer auszuhalten, aber niemals rührselig oder schockierend.
Als Gegenengewicht dient die Figur des Pfarrers Harald Poelchau (phänomenal: Alexander Scheer); er spendet der nichtreligiösen Hilde vor ihrem letzten Gang etwas Trost und zeichnet ihre letzten Worte für ihre Familie auf. Tatsächlich begleitete dieser Gefängnispfarrer in der NS-Zeit etwa 1000 Menschen vor ihrer Hinrichtung. Am Ende sieht Hilde noch einmal kurz das Sonnenlicht und das Wichtigste: Ihr kleiner Sohn Hans überlebt – und mit ihm die Hoffnung in düsteren Zeiten.