Marcus O. Rosenmüller

Münter & Kandinsky

Gabriele Münter (Vanessa Loibl) und Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) haben eine innige Beziehung. Foto: Camino Film
(Kinostart: 24.10.) Reifeprüfung in der Malschule: Dort traf Gabriele Münter auf den Russen Wassily Kandinsky; beide verband eine lange, stürmische Beziehung. Das Traumpaar des deutschen Expressionismus porträtiert Regisseur Marcus O. Rosenmüller realistisch drastisch – und schlägt sich auf Münters Seite.

Dass bei Künstlerpaaren oft ein Partner den anderen überstrahlt, darf als Binsenweisheit gelten; ebenso, dass es meistens die Partnerin ist, die von der Nachwelt weniger wahrgenommen wird. Daher gibt es nicht viele Filmbiografien über bildende Künstlerinnen in einer Paarbeziehung. Man denke an „Camille Claudel“ (1988) über die Lebensgefährtin von Auguste Rodin, „Frida“ (2002) über Frida Kahlo, die mit Diego Riviera verheiratet war, oder auch „Paula – Mein Leben soll ein Fest sein“ (2016) über Paula Modersohn-Becker, Gattin von Otto Modersohn.

 

Info

 

Münter & Kandinsky

 

Regie: Marcus O. Rosenmüller,

125 Min., Deutschland 2024;

mit: Vanessa Loibl, Vladimir Burlakov, Felix Klare

 

Weitere Informationen zum Film

 

In „Münter & Kandinsky“ von Regisseur Marcus O. Rosenmüller setzt dagegen schon der Titel einen anderen Akzent. Es geht gleichberechtigt um zwei der bekanntesten Vertreter des deutschen Expressionismus; Gabriele Münter und Wassily Kandinsky waren mehr als ein Jahrzehnt lang ein leidenschaftliches, sich gegenseitig inspirierendes Paar.

 

Keller-Versteck für Kandinskys Bilder

 

Zu Beginn des Films ist das aber bereits lange vorbei. Im Jahr 1942 klopft ein Vertreter der NS-Reichskunstkammer an die Tür von Gabriele Münters Haus im bayrischen Murnau am Staffelsee. Er sucht nach „entarteten“ Bildern ihres ehemaligen Partners Kandinsky, die sie sehr gut im Keller versteckt hat. An diesen Prolog schließt eine Rückblende zum Ende des 19.Jahrhunderts an.

Offizieller Filmtrailer


 

Zweijährige USA-Reise

 

Nach dem Tod ihrer Eltern bereist die damals 21-jährige Gabriele (Vanessa Loibl) mit ihrer Schwester 1898/9 zwei Jahre lang die USA, um Verwandte zu besuchen; dabei bewundert sie, welche Freiheiten Frauen in der Neuen Welt bereits genießen. Zurück in Deutschland will sie Kunst studieren, doch die staatlichen Akademien sind immer noch Männern vorbehalten.

 

In München besucht sie zunächst die „Damenakademie“ des 1882 gegründeten Künstlerinnen-Vereins, bevor sie an die Malschule der Künstlergruppe „Phalanx“ wechselt, die auch Frauen aufnimmt. Dort schreibt sie sich in der Bildhauerklasse ein, nimmt aber Unterricht im Aktzeichnen beim rund elf Jahre älteren Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov).

 

Blauer-Reiter-Gründung auf Veranda

 

Gleich bei der ersten Begegnung funkt es zwischen beiden. Ihre gegenseitige Anziehung mündet schnell in ein Liebesverhältnis, das Kandinsky aber zunächst geheim halten will: Er ist noch mit seiner Cousine verheiratet. Um dem zu entkommen, gehen beide jahrelang auf ausgedehnte Reisen. Erst als sie 1909 gemeinsam ein Haus in Murnau beziehen, können sie offen als Paar leben und gleichzeitig ihre künstlerischen Visionen verfolgen; zusammen mit Kandinskys Landsmann Alexej Jawlensky und seiner Frau Marianne von Werefkin, die häufig zu Gast sind.

 

Später kommen noch Franz Marc und August Macke hinzu. Nachdem sich die „Neue Künstlervereinigung München“ unter Kandinskys Vorsitz 1911 gespalten hat, planen Münter, Kandinsky und Marc eine Ausstellung als Künstler-Gruppe „Der Blaue Reiter“; unter diesem Namen bringen sie kurz darauf einen Almanach heraus. Das für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts bedeutende Ereignis wird als unbeschwertes brainstorming unter Freunden auf der Veranda inszeniert; da mag Regisseur Rosenmüller sich einige dramaturgische Freiheiten genommen haben.

 

Bildgestaltung spiegelt Experimentierfreude

 

Während der Film das Auf und Ab in der stürmischen Beziehung der beiden Malergrößen ausführlich nachzeichnet, skizziert er zugleich einen Teil der europäischen Bohème vor dem Ersten Weltkrieg – genauer: diejenige Strömung, die später als Expressionismus bekannt wird. Und darüber hinaus: Verbürgt ist, dass auch Arnold Schönberg in Murnau zu Besuch war – der Film suggeriert, dass der synästhetisch begabte Kandinsky von einem Konzert Schönbergs zur Erfindung der Abstraktion und seinem ungegenständlichen Malstil inspiriert wurde.

 

Münters künstlerische Entwicklung von anfangs impressionistischer Landschaftsmalerei zur reduziert-expressionistischen wird in einer kurzen Montage abgehandelt; sie soll zugleich ihren unmittelbaren, leidenschaftlichen Zugang zur Malerei deutlich machen. Die Experimentierfreude der Protagonisten spiegelt sich auch in der Bildgestaltung wider, die ausgiebig Weitwinkel, extreme Nahaufnahmen und Überblendungen verwendet. Dass teilweise an Originalschauplätzen gedreht wurde, lässt die Atmosphäre sehr organisch und glaubhaft wirken.

 

Fünf Jahre Streit um Hinterlassenschaft

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hilma af Klint und Wassily Kandinsky – Träume von der Zukunft" – Vergleichs-Schau zweier Pioniere der abstrakten Malerei im K20, Düsseldorf

 

und hier eine Besprechung des Films "Alma & Oskar" – stürmisches Biopic über die Beziehung von Alma Mahler und Oskar Kokoschka von Dieter Berner

 

und hier einen Beitrag über den Film "Auguste Rodin" – ausgezeichnetes Biopic über die Beziehung des Bildhauers zu Camille Claudel von Jacques Doillon

 

und hier einen Bericht über den Film "Paula – Mein Leben soll ein Fest sein" – einfühlsames Biopic über die expressionistische Malerin von Christian Schwochow.

 

Daneben macht der Film aber auch die Komplexität einer Künstlerbeziehung deutlich, in der beide jahrelang um Anerkennung kämpfen – auch gegeneinander, wenn sie sich um Ausstellungs-Auftritte beneiden. Zeitweise gelingt es Münter, aus Kandinskys großem Schatten zu treten, aber letztlich zieht sie den Kürzeren. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss er als russischer Staatsangehöriger das Land verlassen. Danach wird Münter ihn nur noch einmal wiedersehen: Ende 1915 in Stockholm.

 

1921 kommt es zum endgültigen Bruch: Kandinsky hatte 1917 abermals geheiratet und ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt, wo er am Bauhaus lehrt. Er verlangt von Münter, sie solle ihm seine Habe übereignen, die er 1914 in Murnau zurücklassen musste. Sie hingegen fordert sein Werk und Eigentum als Entschädigung für sein gebrochenes Eheversprechen. Der Streit zieht sich fünf Jahre lang hin. Am Ende bekommt Kandinsky seine persönlichen Gegenstände zurück, während Münter seine künstlerischen Arbeiten behält – die größte Sammlung von Werken aus seiner expressionistischen Phase.

 

Echtes, ziemlich rauhes Leben

 

In diesem Rosenkrieg schlägt sich der Film auf Münters Seite. Ihr Liebeskummer und ihre Seelenqualen, von Vanessa Loibl drastisch ausgespielt, werden ausführlich ausgebreitet. Dagegen erscheint Kandinsky als kaltherziger Ex-Geliebter, der nur noch mit seinem Aufstieg zum künftigen Weltstar der Abstraktion beschäftigt ist – und zu feige für eine direkte Auseinandersetzung mit Münter, so dass er Emissäre vorschickt. Das mindert nicht die Leistung der Hauptdarsteller, die zwei schon fast legendären Figuren der Klassischen Moderne echtes, ziemlich raues Leben einhauchen. Von der Heldenverklärung, die viele Künstler-biopics prägt, ist das weit entfernt