
Wahrheit oder Lüge? Für Leni Riefenstahl (1902-2003) stellt sich die Frage nicht. Nur von „Arbeit und Frieden“ sei in ihrem Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ (1935) die Rede gewesen, erklärt die Regisseurin in einem früheren Interview: Anspielungen auf Antisemitismus oder die nationalsozialistische Rassenlehre fänden sich darin nicht. Dokumentarfilmer Andres Veiel hält unaufgeregt und sachlich dagegen, indem er in „Riefenstahl“ einen kurzen Ausschnitt aus dem Original zeigt, um ihre Aussage zu widerlegen – die Bilder sprechen für sich.
Info
Riefenstahl
Regie: Andres Veiel,
115 Min., Deutschland 2024;
mit: Ulrich Noethen, Leni Riefenstahl
Weitere Informationen zum Film
Zwischen Tribunal + Begreifen
Bereits der 1993 erschienene Dokumentarfilm „Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl“ von Ray Müller lieferte hinreichend Beweise dafür, wie vehement sich Riefenstahl gegen jede Art der persönlichen Vergangenheitsbewältigung gesträubt hat. Jetzt stellt Veiel erneut die Frage, was ein Film über Hitlers Lieblingsregisseurin bewirken kann: „Wie finde ich eine Balance zwischen dem Tribunal, das man sicher veranstalten muss, und einem tieferen Begreifen, wofür die Lüge steht?”
Offizieller Filmtrailer
Löste Regieanweisung Tod von Juden aus?
Für seinen Ansatz hat der Regisseur akribisch ihren systematisch geordneten Nachlass durchforstet; der umfasst sage und schreibe 700 Kisten. Seine Aufbereitung betont Riefenstahls höchst ambivalenten Charakter. Dabei greift Veiel viele Aspekte auf, die schon Müller behandelt hatte. Aber sein Augenmerk liegt auf bislang unveröffentlichtem Material: Wenn sie etwa offen über ihr privates Verhältnis zu Joseph Goebbels spricht – bis sie merkt, dass die Kamera mitläuft. Sofort schreit sie das Filmteam an: „Ich lasse mich nicht vergewaltigen!“, und bricht empört die Aufnahme ab.
Veiel fördert weitere zuvor unbekannte Details aus ihrem Leben und Werk zutage. So argumentiert er, dass sie nicht nur indirekt oder durch Hörensagen von NS-Gräueltaten wusste, sondern Zeugin eines der ersten Massaker an polnischen Juden in Końskie gewesen sein musste, als sie im September 1939 dort kurzzeitig als Kriegsreporterin arbeitete. Ein Brief aus ihrem Archiv suggeriert, dass eine Regieanweisung Riefenstahls (“Schafft die Juden weg!”) zum Auslöser für den Tod der Menschen wurde: Sie versuchten zu fliehen, “und es fielen Schüsse.”
Erfindung einer totalitären Ästhetik
Wie schon in seinen früheren Dokumentarfilmen, etwa “Beuys” (2017) über den Aktionskünstler oder “Black Box BRD” (2001) über die RAF, konzentriert sich Veiel auf solche Detektivarbeit. Im Fall von „Riefenstahl“ bleiben dabei allerdings andere interessante Fragen außen vor, vor allem ihre erstaunliche berufliche Laufbahn. Nachdem sie in der Weimarer Republik als Hauptdarstellerin in Bergsteigerfilmen von Arnold Fanck berühmt geworden war, gelang ihr nach 1933 scheinbar mühelos der Wechsel ins Regiefach.
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Auftragsarbeit für Maischberger
Über all das bietet Müllers in seiner zweiteiligen, insgesamt dreistündigen Doku mehr Aufschluss. Veiel psychologisiert dagegen über Riefenstahls Kindheit: Eine strenge preußische Erziehung habe sie für den Nationalsozialismus empfänglich gemacht. Zudem thematisiert er ihr zwiespältiges Verhältnis zu Männern und deren übergriffiges Verhalten ihr gegenüber. Auch ihre Foto-Expeditionen zum Volk der Nuba im Sudan der 1960/70er Jahre kommen vor.
Man spürt jedoch, dass „Riefenstahl“ für Veiel kein Wunschprojekt war: Als Produzentin steht die ARD-Moderatorin Sandra Maischberger hinter dem Projekt. Erst ihre Anfrage weckte sein Interesse, die Doku zu machen. Das mag erklären, warum sie zwar informativ und sehenswert ausfällt, am Ende jedoch analytisch zu kurz greift – genauer: sich Riefenstahls Selbststilisierung kaum entziehen kann. “Ich habe immer gekämpft, bis ich meinen Willen bekam”, sagt Riefenstahl: “als stünde mein Leben auf dem Spiel.” Diese unheimliche Kraftanstrengung stand ihr im hohen Alter ins Gesicht geschrieben. Ihre wahren Gedanken und Gefühle blieben dahinter verborgen.