Andres Veiel

Riefenstahl

Adolf Hitler begrüßt Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937). Foto: © Majestic Filmverleih
(Kino-Start: 31.10.) Umstrittener Weltstar: Leni Riefenstahl hat mit NS-Propagandafilmen Kinogeschichte geschrieben – und später ihre Kenntnis von oder Mitverantwortung für Gräueltaten stets abgestritten. Dokumentarfilmer Andreas Veiel fördert verräterische Details zutage, lässt aber ihre Ästhetik außen vor.

Wahrheit oder Lüge? Für Leni Riefenstahl (1902-2003) stellt sich die Frage nicht. Nur von „Arbeit und Frieden“ sei in ihrem Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ (1935) die Rede gewesen, erklärt die Regisseurin in einem früheren Interview: Anspielungen auf Antisemitismus oder die nationalsozialistische Rassenlehre fänden sich darin nicht. Dokumentarfilmer Andres Veiel hält unaufgeregt und sachlich dagegen, indem er in „Riefenstahl“ einen kurzen Ausschnitt aus dem Original zeigt, um ihre Aussage zu widerlegen – die Bilder sprechen für sich.

 

Info

 

Riefenstahl

 

Regie: Andres Veiel,

115 Min., Deutschland 2024;

mit: Ulrich Noethen, Leni Riefenstahl

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dass sich in Riefenstahls Biografie – 1902 in Berlin geboren, wurde sie zunächst als Schauspielerin und Tänzerin bekannt, bevor sie Filmemacherin wurde – ein offenbar unüberwindbarer Gegensatz zwischen historischer Realität und Selbstbetrug auftut, ist bekannt. Die Regisseurin von NS-Propagandafilmen leugnete bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 rigoros jede Mitttäterschaft. Öffentlich und privat stritt sie stets jede Verantwortung dafür ab. „Sie wusste sehr gut, wie sie Menschen für sich gewinnen konnte,“ so Veiel: „Dafür hatte sie ein unglaubliches Talent.“ In seiner Doku zeigen Ausschnitte aus einer WDR-Talkshow „Je später der Abend“ von 1976 eindrucksvoll, wie sie die Stimmung zu ihren Gunsten um 180 Grad dreht.

 

Zwischen Tribunal + Begreifen

 

Bereits der 1993 erschienene Dokumentarfilm „Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl“ von Ray Müller lieferte hinreichend Beweise dafür, wie vehement sich Riefenstahl gegen jede Art der persönlichen Vergangenheitsbewältigung gesträubt hat. Jetzt stellt Veiel erneut die Frage, was ein Film über Hitlers Lieblingsregisseurin bewirken kann: „Wie finde ich eine Balance zwischen dem Tribunal, das man sicher veranstalten muss, und einem tieferen Begreifen, wofür die Lüge steht?”

Offizieller Filmtrailer


 

Löste Regieanweisung Tod von Juden aus?

 

Für seinen Ansatz hat der Regisseur akribisch ihren systematisch geordneten Nachlass durchforstet; der umfasst sage und schreibe 700 Kisten. Seine Aufbereitung betont Riefenstahls höchst ambivalenten Charakter. Dabei greift Veiel viele Aspekte auf, die schon Müller behandelt hatte. Aber sein Augenmerk liegt auf bislang unveröffentlichtem Material: Wenn sie etwa offen über ihr privates Verhältnis zu Joseph Goebbels spricht – bis sie merkt, dass die Kamera mitläuft. Sofort schreit sie das Filmteam an: „Ich lasse mich nicht vergewaltigen!“, und bricht empört die Aufnahme ab.

 

Veiel fördert weitere zuvor unbekannte Details aus ihrem Leben und Werk zutage. So argumentiert er, dass sie nicht nur indirekt oder durch Hörensagen von NS-Gräueltaten wusste, sondern Zeugin eines der ersten Massaker an polnischen Juden in Końskie gewesen sein musste, als sie im September 1939 dort kurzzeitig als Kriegsreporterin arbeitete. Ein Brief aus ihrem Archiv suggeriert, dass eine Regieanweisung Riefenstahls (“Schafft die Juden weg!”) zum Auslöser für den Tod der Menschen wurde: Sie versuchten zu fliehen, “und es fielen Schüsse.”

 

Erfindung einer totalitären Ästhetik

 

Wie schon in seinen früheren Dokumentarfilmen, etwa “Beuys” (2017) über den Aktionskünstler oder “Black Box BRD” (2001) über die RAF, konzentriert sich Veiel auf solche Detektivarbeit. Im Fall von „Riefenstahl“ bleiben dabei allerdings andere interessante Fragen außen vor, vor allem ihre erstaunliche berufliche Laufbahn. Nachdem sie in der Weimarer Republik als Hauptdarstellerin in Bergsteigerfilmen von Arnold Fanck berühmt geworden war, gelang ihr nach 1933 scheinbar mühelos der Wechsel ins Regiefach.

 

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Beuys" – Doku-Porträt des Aktionskünstlers Joseph Beuys von Andreas Veiel

 

und hier eine Besprechung des Films "Zeit für Legenden – Race" – gelungener Sport-Historienfilm über Jesse Owen + die Olympiade 1936 in Berlin von Stephen Hopkins

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Ermittlung" – Verfilmung des Theaterstücks von Peter Weiss  über den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963/5 von RP Kahl

 

und hier einen Bericht über den Film "Fritz Lang" – Doku-Drama-Biopic über das Filmregisseur-Genie von Gordian Maugg.

 

Mehr noch: Mit Filmen wie „Der Sieg des Glaubens“ (1933) und „Triumph des Willens“ über NS-Parteitage und dem zweiteiligen Film „Fest der Völker/ Fest der Schönheit“ (1938) über die Olympischen Spiele 1936 erfand sie quasi aus dem Stegreif eine totalitäre Ästhetik; sie sollte die Selbstdarstellung des Regimes prägen und unzählige Nachahmer inspirieren. Ob man es will oder nicht: Durch ihre revolutionäre Bildsprache zählt Leni Riefenstahl zu den einflussreichsten Regisseuren des 20. Jahrhunderts.

 

Auftragsarbeit für Maischberger

 

Über all das bietet Müllers in seiner zweiteiligen, insgesamt dreistündigen Doku mehr Aufschluss. Veiel psychologisiert dagegen über Riefenstahls Kindheit: Eine strenge preußische Erziehung habe sie für den Nationalsozialismus empfänglich gemacht. Zudem thematisiert er ihr zwiespältiges Verhältnis zu Männern und deren übergriffiges Verhalten ihr gegenüber. Auch ihre Foto-Expeditionen zum Volk der Nuba im Sudan der 1960/70er Jahre kommen vor.

 

Man spürt jedoch, dass „Riefenstahl“ für Veiel kein Wunschprojekt war: Als Produzentin steht die ARD-Moderatorin Sandra Maischberger hinter dem Projekt. Erst ihre Anfrage weckte sein Interesse, die Doku zu machen. Das mag erklären, warum sie zwar informativ und sehenswert ausfällt, am Ende jedoch analytisch zu kurz greift – genauer: sich Riefenstahls Selbststilisierung kaum entziehen kann. “Ich habe immer gekämpft, bis ich meinen Willen bekam”, sagt Riefenstahl: “als stünde mein Leben auf dem Spiel.” Diese unheimliche Kraftanstrengung stand ihr im hohen Alter ins Gesicht geschrieben. Ihre wahren Gedanken und Gefühle blieben dahinter verborgen.