Roland Klick

Supermarkt (WA)

Willi (Charly Wierzejewski) und Monika (Eva Mattes) schmieden Pläne. Foto: © Filmgalerie 451
(Kinostart: 3.10.) Willi rennt: Ständig ist er auf der Flucht vor der Polizei und seiner Perspektivlosigkeit. Mit seinem rasanten Kleinkriminellen-Porträt gelang Regisseur Roland Klick 1974 etwas hierzulande Seltenes: ein mitreißender Action-Film. Zum 50-jährigen Jubiläum kommt er restauriert wieder ins Kino.

Der 18-jährige Willi (Charly Wierzejewski) ist eine etwas blasse und verhuschte Erscheinung; er steht auf der Schwelle zwischen seinem Heranwachsen in Verwahrlosung und einem Dasein als perspektivloser Erwachsener. Als erstes sieht man, wie er sich in einer Bar-Toilette wäscht und dem Barmann sein Trinkgeld vom Teller klaut: ein paar Groschen. Wenig später flieht er vor einer Polizeistreife, wird festgenommen und landet auf der Wache. Dort herrscht Durcheinander; zwischen Beamten, Jugendamts-Mitarbeitern und Journalisten auf der Suche nach Stories gelingt ihm erneut die Flucht, diesmal mit einem zufälligen Schicksalsgenossen.

 

Info

 

Supermarkt (WA)

 

Regie: Roland Klick,

84 Min., Deutschland 1974;

mit: Eva Mattes, Charly Wierzejewski, Hans-Michael Rehberg

 

Weitere Informationen zum Film

 

Im gesamten Film wird Willi immer weiter durch Hamburg hetzen; durch Hinterhöfe, Kneipen und sein Leben – ohne Aussicht, länger als für ein paar Augenblicke zur Ruhe zu kommen. Seine einzige Hoffnung, diesem Getriebensein zu entkommen, besteht darin, einen fetten Coup zu landen, der ihn davon befreit. Wobei zugleich noch – so viel Klischee muss sein – die gerade gefundene Liebe mitbefreit werden soll.

 

Kamera jagt ständig hinterher

 

Bis dahin heißt es meist: rennen. Dabei gerät Willi ständig in andere Gruppen und löst sich wieder von ihnen. Die Kamera – von Jost Vacano, der später „Das Boot“ (1981) und diverse Filme mit Hollywood-Regisseur Paul Verhoeven drehen sollte – muss dem Protagonisten dauernd hinterherjagen, um ihn nicht aus dem Bild zu verlieren.

Offizieller Filmtrailer


 

Schaulust gegen Autorenfilm-Elfenbeinturm

 

Nach dem Endzeit-Western „Deadlock“ (1970) war „Supermarkt“ von 1974 der zweitpopulärste Film von Roland Klick. Anfangs galt der Regisseur nach drei Kurzfilmen und seinem ersten Spielfilm „Bübchen“ (1968) als cineastisches Wunderkind und große Hoffnung. Doch gerade durch seine Erfolge beim Publikum fiel er bei der elitären Filmkritik – und, schlimmer noch, der Filmförderung – bald in Ungnade. So blieb Klick trotz mehrerer Bundesfilmpreise und rentablen Kino-Produktionen im recht inzestuösen Neuen Deutschen Film ein Außenseiter.

 

Wobei die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte: Für Klicks Empfinden war der damalige Autorenfilm zu verkopft, belehrend und steril – aus und für den intellektuellen Elfenbeinturm gedacht und gemacht. Dem wollte er ein Kino entgegensetzen, das Action bot und Schaulust bediente; mit (Anti-)Helden, die eher authentisch als sympathisch waren und sich in realistisch gezeichneten Milieus bewegten. Weitschweifige Dialoge und moralisierende Botschaften fehlten in Klicks Filmen. Das wurde ihm als Mangel an Reflexion angekreidet.

 

Ausbrüche + Abstürze von Herumtreibern

 

Auch bei „Supermarkt“, wohl sein zugänglichstes und überzeugendstes Werk, fällt eine Identifikation mit den Figuren schwer – sie sind eben Herumtreiber und Kleinkriminelle. Dafür lässt Klick sie in ihrem Eigensinn vor sich hinwurschteln, wie es zu ihnen passt. Er beobachtet ihr Treiben, ihre Ausbrüche und Abstürze, ohne das zu bewerten; womit er sie trotz allem dem Zuschauer nahe bringt.

 

Kritiker von „Supermarkt“ haben ihm lange die Action-Szenen im US-Stil vorgehalten. Wobei sie übersahen, dass Action hier weniger Effekthascherei bedeutet als vielmehr permanente Bewegung. Denn bewegte Bilder und dazugehörende Klänge sind das Wesen des Mediums Film, nicht Sprache.

 

Sozialer Aufstieg nur bei Selbstaufgabe

 

Viele der Handlungen von Willi und seinesgleichen – etwa dem Zuhälter-Ganoven Theo (Walter Kohut) oder der Prostituierten Monika (Eva Mattes), die Willi liebt – sind impulsiv und unberechenbar. Anstatt ihr Verhalten psychologisch zu erklären, beschränkt sich „Supermarkt“ allein auf seine Resultate. Die fallen in der damaligen Bundesrepublik, ihren tristen Verkehrswegen und Industriebrachen öfter unbeholfen und gewalttätig aus.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Abschied von gestern (WA)" – origineller Klassiker des Neuen Deutschen Films über eine junge Kleinkriminelle von Alexander Kluge

 

und hier eine Besprechung des Films "Von jetzt an kein Zurück" – packendes Sozialdrama über den Ausbruch eines Jugendheim-Zöglings 1968 von Christian Frosch

 

und hier einen Beitrag über den Film "Baal" – Adaption des Dramas von Bertolt Brecht als früher Geniestreich des Neuen Deutschen Films von Volker Schlöndorff mit Rainer Werner Fassbinder

 

und hier einen Bericht über den Film "Als wir träumten" – mitreißendes Drama von Andreas Dresen über eine Leipziger Jugendclique in der Wendezeit nach einem Roman von Clemens Meyer.

 

Wie in Romanen einiger Autoren der Epoche, etwa Hubert Fichte oder Jörg Fauser, kommt das Personal dieses Films von ganz unten. Dort scheinen sozialer Aufstieg und Zugang zum Komfort der Mehrheitsgesellschaft von vornherein ausgeschlossen. Zu den Restaurants und Häusern der Schönen und Reichen führt nur ein Weg: als Stricher oder Schützling. In beiden Fällen muss der eigene Wille draußen bleiben. Kein Wunder, dass sich dabei Zorn auf die Bessergestellten aufstaut und irgendwann entlädt.

 

Durch Müller-Westernhagen synchronisiert

 

Einen Ausweg zeigen nur kurze Momente des Films: wenn Willi mit Monika am Elbstrand entlangläuft, oder die Kamera die Ansicht der idyllischen Alster-Landschaft vor der Gartenpforte eines kunstsinnigen Freiers einfängt. Doch derlei verblasst schnell. Für Willi ist das kaum mehr als eine trügerische Kulisse, vor der er weiter kopflos in Richtung Finale flieht.

 

Da Hauptdarsteller Charly Wierzejewski, der eine ähnliche Vergangenheit aufwies wie seine Figur, keine Sprechausbildung hatte, wurde der Film nachträglich synchronisiert. Dafür lieh ihm der seinerzeit noch unbekannte Marius Müller-Westernhagen seine Stimme, der später zum Deutschrock-Star werden sollte. Wobei Wierzejewski als Willi ohnehin nicht viele Worte macht – wie andere rebellierende Outlaw-Helden à la James Dean.

 

4-K-Restaurierung für die Leinwand

 

In jedem Fall ist „Supermarkt“ nicht nur ein beeindruckendes Zeitdokument, sondern auch ein Meilenstein des deutschen Autorenfilms der 1970er Jahre. Zum 50. Jahrestag der Erstaufführung ist er nun digital im 4K-Look restauriert worden und kommt erneut ins Kino. Damit er wieder da zu sehen ist, wo er hingehört: auf der großen Leinwand.