Tilda Swinton + Julianne Moore

The Room next Door

Erinnerungen an ein wildes Leben: Martha (Tilda Swinton) und Ingrid (Julianne Moore) im Buchladen. Foto: © El Deseo/ Iglesias Más
(Kinostart: 24.10.) Wenn die Blätter fallen: Der neue Film von Regisseur Pedro Almodóvar handelt vom Ende eines erfüllten Bohème-Lebens. In einem Landhaus entspinnt sich zwischen zwei großartigen Darstellerinnen ein berührender Dialog über Leben und Tod – prämiert mit dem Goldenen Löwen.

Tiefes Rot, ozeanisches Blau, giftiges Grün und knalliges Gelb: In seinem ersten englischsprachigen Film bleibt der spanische Regisseur Pedro Almodóvar seiner extravaganten Farbpalette für Kostüme und Interieurs treu. Allerdings bettet er die vertraut leuchtenden Farben diesmal in ein herbstlich warmes New Yorker Ambiente ein. Häufig zeigt er sie in Spiegelungen oder gebrochen hinter Fensterglas.

 

Info

 

The Room next Door

 

Regie: Pedro Almodovár,

110 Min., Spanien/ USA 2024;

mit: Julianne Moore, Tilda Swinton, John Turturro

 

Weitere Informationen zum Film

 

Almodóvar drosselt auch die Geschwindigkeit und Sprunghaftigkeit seines früher von Zufällen und überraschenden Wendungen geprägten Erzählstils. So setzt sich in seinem Werk eine Entwicklung fort, die das Schrille und Überzeichnete der Frühphase immer weiter hinter sich lässt und sich zunehmend dem klassischen Melodram annähert. Zugunsten von mehr Wahrhaftigkeit hat der Regisseur für „The Room next Door“ allen überflüssigen Ballast über Bord geworfen; so erreicht er ein neues Stadium der Reduktion.  

 

Kurze Distanz zum Tod

 

Dadurch wirkt der Film in seiner geradlinigen Inszenierung fast behäbig. Das liegt auch an seinem  Thema, denn in der Geschichte der Freundinnen Ingrid (Julianne Moore) und Martha (Tilda Swinton), die hier erzählt wird, bleibt kaum mehr Zeit für Richtungsänderungen: Über kurze Distanz führt sie direkt in den Tod.

Offizieller Filmtrailer


 

Wiedersehen im Krankenhaus

 

Die Handlung von „The Room next Door“ ist übersichtlich: Seit ihrer Phase intensiven gemeinschaftlichen Ausprobierens im New York der 1980er Jahre haben sich Ingrid und Martha aus den Augen verloren. Während Martha als Kriegskorrespondentin durch die Welt vagabundierte, ist Ingrid zur bekannten Buchautorin aufgestiegen. Bei einer Signierstunde erfährt sie nun von einer gemeinsamen Bekannten, dass Martha mit Krebs im Endstadium im Krankenhaus liegt.

 

Als sie die Freundin besucht, leidet diese unter den Nebenwirkungen der Therapie schon ebenso sehr wie unter der Krankheit selbst, die sie nicht besiegen kann. Schon nach kurzer Zeit stellt sich im Gespräch über gemeinsame Erinnerungen, Schmerzen und Versäumnisse die alte Vertrautheit zwischen den Frauen her. Dann bittet Martha Ingrid, sie auf ihrer letzten Reise zu begleiten. Sie möchte die Umstände ihres Todes selbst bestimmen und hat sich dafür im Darknet eine Selbstmordpille besorgt.

 

Selbstbestimmtes Sterben im Landhaus

 

Also lädt Ingrid ihre moribunde Freundin in ein luxuriöses Haus außerhalb der Stadt ein. Hier bewohnen sie zwei getrennte Zimmer und verbringen Marthas letzte Tage gemeinsam mit Gesprächen, Spaziergängen und Filmabenden. Wenn es soweit ist, so die Abmachung, wird Ingrid Marthas Tür, die sonst immer offen steht, geschlossen vorfinden.

 

Mit ihrer in manchen Einstellungen fast durchscheinend wirkenden Blässe und Androgynität ist Tilda Swintons Gesicht das ideale Medium, um Marthas Leiden und ihre Entschlossenheit sichtbar zu mache. Ihr Blick spricht Bände vom Wissen um ihre Möglichkeiten und Grenzen. Überblendungen, in denen ihr Gesicht in Großaufnahme im Licht der Umgebung untergeht, oder eine Szene, in der sie sich allein durch das Auftragen von rotem Lippenstift tatsächlich verwandelt, nutzen dieses Potenzial virtuos.

 

Die Lehren des Lebens

 

Als Kriegsreporterin ist Martha mit den Schrecken der Welt ebenso vertraut wie mit den Mitteln, die es gibt, um sie wenigstens kurzfristig zu bannen: allen voran Liebe und Sex, wovon ihr mittlerweile nur Erinnerungen bleiben. Sie ist sich auch im Klaren darüber, woran sie im Leben gescheitert ist: vor allem in der Beziehung zu ihrer Tochter.

 

In der ersten Hälfte des Films gibt es zur Illustration dieser Aspekte noch Almodóvar-typische Rückblenden, von denen eine wie ein kleiner Film im Film wirkt. Nach dem Umzug ins Landhaus im dekonstruktivistischen Stil verengt sich die Handlung jedoch auf die Dialoge zwischen den Frauen, die ihre tiefen Gefühle füreinander, zum Leben und seiner Endlichkeit auf fesselnde Art spürbar werden lassen.

 

Reife im Angesicht des Todes

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Parallele Mütter" – Sozial-Drama von Pedro Almodóvar

 

und hier einen Bericht über den Film "Leid und Herrlichkeit" – berührende Rückschau auf das Leben eines alternden Künstlers von Pedro Almodóvar

 

und hier eine Besprechung des Films "Julieta" – ergreifendes Mutter-Tochter-Drama von Pedro Almodóvar

 

und hier einen Beitrag über den Film "Fliegende Liebende" – Sommer-Komödie über sexuelle Enttabuisierung von Pedro Almodóvar.

 

Wirkt Ingrid im Umgang mit ihrer kranken Freundin anfangs noch etwas ungelenk, macht sie in der Zeit, die sie miteinander verbringen, einen späten Reifeprozess durch. So lernt sie, Marthas Willen zu einem selbstbestimmten Lebensende zu respektieren. Das ermöglicht Ingrid wiederum, Marthas Begeisterung für ihre letzten schönen Momente zu teilen.

 

Neben den zwei Hauptdarstellerinnen ragt nur eine der wenigen Nebenrollen heraus: In ihren wilden New Yorker Zeiten war Damian (John Turturro) Liebhaber von beiden Frauen. Inzwischen arbeitet er als Vortragsreisender in Sachen Klimawandel und warnt vor dem bevorstehenden Untergang der Welt, wie wir sie kennen. So fungiert er als sauertöpfisches Gegenbild zu Marthas Entschlossenheit, das Leben bis zuletzt auszukosten – weswegen ihm Ingrid vorhält, er fokussiere sich verbiestert auf die Übel der Gegenwart.

 

Rechtliche Fragen des Freitods

 

Zudem versucht Damian, Ingrid rechtlich zu beraten, da er einige Schwierigkeiten auf sie zukommen sieht. Doch seine Warnungen fechten Ingrid nicht an; sie ist mit ihrer Rolle in Marthas Lebensende versöhnt. An der Willenskraft ihrer Freundin ist auch Ingrid spürbar gewachsen.