Malcolm McDowell + Helen Mirren

Caligula – The Ultimate Cut

Caligula (Malcolm McDowell) und seine Frau Caesonia (Helen Mirren) vergnügen sich. Foto: © 2024 Tiberius Film GmbH
(Kinostart: 7.11.) Cäsaren-Wahnsinn reloaded: Regisseur Tinto Brass drehte 1976 ein exzentrisch-opulentes Porträt des römischen Kaisers, das vom Produzenten zum Porno verstümmelt wurde. Nun rekonstruiert eine Neufassung, was Brass ursprünglich im Sinn hatte: Die Orgie findet im Kopf des Zuschauers statt.

Dieser Film ist so rücksichtslos zerstückelt worden wie einige seiner Protagonisten. Doch nun erlebt er eine Art Wiedergeburt – als ein völlig anderes Werk. Um das verstehen zu können, muss man auf seine extrem verwickelte Entstehungsgeschichte zurückblicken.

 

Info

 

Caligula – The Ultimate Cut

 

Regie: Tinto Brass,

178 Min., Italien/ USA 1979/2023;

mit: Malcolm McDowell, Helen Mirren, Peter O'Toole, John Gielgud

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mitte der 1970er Jahre wollte Bob Guccione, Gründer und Chef von „Penthouse“, einen Film finanzieren, der die erotische Freizügigkeit seines Herrenmagazins mit der Zugkraft eines so seriösen wie schockierenden Themas verband. Seine Wahl fiel auf den dritten römischen Kaiser Caligula. Dessen nur vierjährige Regierungszeit (37-41 n. Chr.) gilt als skandalumwittert – auch wenn längst klar ist, dass ihm mancher Irrsinn von antiken Feinden posthum angedichtet worden ist. Guccione schwebte ein ultimativ sinnlicher Sandalenfilm vor – quasi ein Porno-Blockbuster.

 

Gore Vidal + Tinto Brass angeheuert

 

Mit dem Drehbuch beauftragte er den US-Schriftsteller Gore Vidal. Der war als streitbarer linksliberaler Freigeist berühmt-berüchtigt, aber auch am Skript von „Ben Hur“ (1959) beteiligt gewesen. Zudem hatte er 1962 den Roman-Bestseller „Julian“ über den letzten heidnischen römischen Kaiser verfasst. Als Regisseur wurde Tinto Brass verpflichtet; dieser hatte sich zunächst einen Namen als experimentierfreudiger Avantgardist gemacht. 1975 drehte er „Salon Kitty“ mit Helmut Berger über ein Berliner Bordell in der NS-Zeit, was ihn aus Gucciones Sicht qualifizierte.

Offizieller Filmtrailer


 

Völlig chaotische Dreharbeiten

 

Wie im römischen Triumvirat funktionierte die Zusammenarbeit nicht lange. Alle drei Verantwortlichen hatten große Egos; jeder hatte einen anderen Film im Sinn. Leidtragende waren die Schauspieler, vor allem die engagierten Stars. Nach dem Welterfolg von Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ (1971) galt Malcolm McDowell als Inkarnation eines raffiniert grausamen Halbstarken – ideal, um Caligula zu verkörpern. An seiner Seite spielte die junge Helen Mirren seine durchtriebene Gattin Caesonia. Peter O’Toole mimte den alten Kaiser Tiberius, den Caligula ermordet und beerbt; John Gielgud seinen Vertrauten Nerva.

 

Die Dreharbeiten verliefen wegen Geldmangels, Unfällen und Herzinfarkten völlig chaotisch. Kaum hatte Brass sie Ende 1976 abgeschlossen, wurde er von Guccione gefeuert: Der drehte nun mit anderen Darstellern pornographische Szenen nach und ließ sie in den Film schneiden. Nachdem Vidal und Brass protestiert hatten, verschwanden sie als Skript-Autor und Regisseur aus dem Abspann. Der Film, der 1979 in die Kinos kam, enthielt etliche explizite Aufnahmen – aber in jedem Land andere, je nach Vorgaben der nationalen Aufsichtsbehörden. Auf VHS-Video und DVD kamen noch diverse andere Fassungen mit verschiedenen Längen hinzu.

 

Aus Spektakel wird Autokraten-Porträt

 

Diesen Wirrwarr soll „Caligula – The Ultimate Cut” nun beenden: als diejenige Version, die Regisseur Tinto Brass wohl ursprünglich beabsichtigt hatte. Dazu wurden 90 Stunden Original-Negative restauriert und gemäß dem Original-Drehbuch neu geschnitten. Nach Aussage von Projektleiter Thomas Negovan hat das Ergebnis mit dem Film von 1979 kaum etwas gemeinsam: “Kein einziges Bild wurde jemals gezeigt. Manchmal nutzen wir ähnliche Kamerawinkel oder denselben Winkel aus einem anderen Take. Zum Großteil ist es jedoch ein komplett neuer Film.”

 

Das merkt man ihm deutlich an: Aus dem sensationslüsternen Sex-und-Gewalt-Spektakel ist ein einfühlsames, streckenweise anrührendes Porträt eines Alleinherrschers geworden. Der junge Caligula erstickt Tiberius weniger aus Machtgier denn aus Angst, selbst ermordet zu werden – wie es zuvor seinen Brüdern widerfahren war. Rückhalt findet er bei seiner geliebten Schwester Julia Drusilla (Teresa Ann Savoy). Als sie stirbt, steigert sich sein Verfolgungswahn ins Monströse, wovor ihn auch seine Gattin Caesonia nicht bewahren kann.

 

Anschaulich ausgemalter Machtkampf

 

Fortan beschäftigt sich Caligula vor allem damit, die Senatoren und im weiteren Sinn die römische Oberschicht zu brüskieren – all das bestätigt die historische Forschung. Dass er dazu sein Lieblingspferd zum Konsul ernennen oder die Senatoren-Frauen als Prostitutierte für Bordelle rekrutieren wollte, gehört wohl ins Reich der Legenden; ebenso, dass er seine Soldaten gegen Schilfrohre kämpfen ließ, weil ihm der Weg zu realen Kriegsschauplätzen zu beschwerlich war.

 

Hintergrund

 

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Nichtsdestoweniger malt der Regisseur solche Provokationen genüsslich aus: weil in ihnen der permanente Machtkampf zwischen Kaiser und Senat schön anschaulich wird, bis zur Groteske. Dazu trägt auch die Inszenierung bei: Was vor 48 Jahren opulent und dekadent gewirkt haben mag, erscheint mittlerweile verspielt bis abseitig. Die Kamera nimmt meist frontal Pappmaché-Theaterkulissen mit überladenem Fantasy-Antik-Dekor auf. In diesen Retrocharme-Tableaus tummeln sich Scharen von leichtbekleideten Statisten, bei denen oft unklar bleibt, was sie tun – außer, möglichst verrucht und ausschweifend auszusehen.

 

Ausstattungsorgien als Platzhalter

 

Sex kommt vor, doch nicht häufiger als in Trash-TV-Reportagen über Lotterleben im Ferienclub. Auch Gewalt kommt vor, aber kaum drastisch ausgemalt, sondern eher als allgegenwärtige Bedrohung, als Strukturmerkmal dieses Imperiums: fressen oder gefressen werden. Am meisten setzt Regisseur Brass jedoch auf Ausstattungsorgien als Platzhalter für reale Orgien. Aufreizende Kostüme, anzügliche Bemerkungen und laszive Gesten suggerieren einen Zustand ständiger Dauererregung, deren Ausagieren sich in der Vorstellung des Zuschauers abspielen soll.

 

Finanzier Guccione war das nicht genug: Er stopfte die Rohschnitt-Version von Brass mit hardcore action voll und ruinierte sie damit – das wird beim Vergleich mit diesem “Ultimate Cut” überdeutlich. Davon abgesehen war die Caligula-Erfahrung für fast alle Beteiligten traumatisch. Guccione finanzierte nie wieder einen Film. Gore Vidal lieferte erst zehn Jahre später wieder ein Filmskript ab. Tinto Brass begnügte sich fortan damit, flache Erotik-Konfektionsware zu drehen. Malcolm McDowell blieb zwar vielbeschäftigter Schauspieler, aber häufig in zweitklassigen B-movies. Nur für eine Mitwirkende wurde “Caligula” zum Sprungbrett für ihre Weltkarriere: Helen Mirren.