Es klingt wie der Beginn eines Branchenwitzes: Ein Brite macht einen Film über ein französisches Edelgetränk mit einer US-Amerikanerin in der Hauptrolle. Doch im globalisierten Filmmarkt scheint nichts unmöglich. Den britischen Regisseur Thomas Napper interessiert an der Biografie der Witwe Cliquot die Geschichte einer Frau, die sich in widrigen Zeiten als Unternehmerin durchzusetzen wusste.
Info
Die Witwe Clicquot
Regie: Thomas Napper,
90 Min., Frankreich/ USA 2023;
mit: Haley Bennett, Tom Sturridge, Sam Riley
Weitere Informationen zum Film
Napoleons Krieg gefährdet das Geschäft
Ihr Schwiegervater hat allerdings eigene Pläne; er verhandelt bereits mit dem Nachbarn und Konkurrenten Moët über den Verkauf der Weinberge. Die liefern gerade gute Erträge, doch wegen der Napoleonischen Kriege gibt es international Absatzschwierigkeiten für französische Erzeugnisse, auch den Schaumwein aus der Champagne. So vertrauen die Herren darauf, dass sich das Problem von selbst lösen wird, sobald Barbe-Nicole ihre Produkte nicht los wird. Aber sie haben nicht mit François’ Jugendfreund Louis Bohne (Sam Riley) gerechnet.
Offizieller Filmtrailer
Die Frau hinter dem Namen
Der findige Weinhändler hat ein gutes Verhältnis zu Barbe-Nicole; er schätzt ihre Willenskraft und vertraut ihrer Expertise als Winzerin und sommelière. Zudem verfügt der Lebemann über weitreichende Kontakte bis zum russischen Zaren, was letztlich über Umwege Barbes Weingut retten wird: Nach jahrelanger Tüftelei kommt ihre neue Kreation am Zarenhof so gut an, dass sich ihr Ruf in den besseren Kreisen ganz Europas verbreitet. Ihr „Veuve Clicqot“ wird zu einer der ersten international bekannten Marken.
Ein Werbestreifen für den edlen Tropfen ist der Film jedoch nicht. Basierend auf einem Bestseller der US-amerikanischen Kunsthistorikerin Tilar J. Mazzeo, geht es vor allem um die Frau mit dem berühmten Namen, ihren Kampf um Anerkennung und ihren Triumph in einer männerdominierten Zeit. Diese von Haylee Bennett sehr ernsthaft gespielte junge Frau stürzt sich verbissen in ein Geschäft, das sie bereits als treibende Kraft mitbestimmt hat, bevor ihr Mann zu Tode kam – möglicherweise durch eigene Hand.
Struktur durch Rückblenden
Seine große Vision, einen ganz besonderen Champagner zu kreieren, macht sie sich nun selbst zueigen. Dabei zeigen zahlreiche Rückblenden, dass ihre Ehe selten harmonisch verlief. François konnte liebevoll sein, konsumierte aber auch exzessiv Laudanum, eine Opium-Tinktur, was ihn launisch und unberechenbar machte. Dank des ausdrucksvollen Spiels von Tom Sturridge in diesen Erinnerungs-Szenen nimmt François trotz seiner Abwesenheit im Film viel Raum ein, was seine als zurückhaltend und beharrlich dargestellte Witwe recht blass aussehen lässt.
Ihre trauerschwarze Gewandung tut da ihr übriges. Die Rückblenden, in denen sie durchgehend weiß gekleidet ist, enthalten aber auch glückliche Momente, wenn etwa das Paar entspannt im Bett liegt und gemeinsam die Feinheiten des eigenen Weins analysiert. Solche wirklich lebendigen Szenen sind leider rar gesät in einem Plot, der weitgehend durch den Wechsel zwischen Rückblenden und fortlaufender Handlung strukturiert wird.
Historie im Arthouse-Look
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Geliebte Köchin" – sinnliche Feinschmecker-Liebesgeschichte im 19. Jahrhundert von Trân Anh Hùng
und hier eine Besprechung des französischen Historienfilms "À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen" über die Entstehung der Haute Cuisine von Eric Besnard
und hier einen Beitrag über den Film "Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel" – feuchtfröhliche Whisky-Komödie über das britische Prekariat von Ken Loach
und hier einen Bericht über den Film "Ein Leben" – subtile Verfilmung des Romans von Guy de Maupassant über eine Bürgersfrau im 19. Jahrhundert durch Stéphane Brizé.
Obwohl die Außenaufnahmen in Frankreich entstanden, wird die Opulenz französischer Historienfilme nie erreicht – wegen einer sparsam wirkenden Ausstattung und einer Kameraführung, die an spröde Arthouse-Filme erinnert. Regisseur Napper konzentriert sich auf das Porträt einer Geschäftsfrau; so wird Barbe-Nicole oft bei der Arbeit gezeigt. Dazu gehört auch die Tüftelei an der perfekten Cuvée für einen neuen Champagner. Die Szenen in ihrem fast alchemistisch anmutenden Weinlaboratorium verdeutlichen immerhin, dass vor dem Genuss harte Arbeit steht.
Keine perlende Sinnlichkeit
Wer etwas über Winzerei des frühen 19 Jahrhunderts erfahren möchte, kommt hier möglicherweise auf seine Kosten. Doch eine zum Thema passende, perlende Sinnlichkeit oder gar Lebensfreude lässt der Film weitgehend vermissen. Er laviert bis zuletzt zwischen Underdog-Erzählung, Biografie und Kostümfilm. Das ist mitunter interessant, aber leider nicht wirklich prickelnd. Vielleicht bedarf es dazu einer französischen Version des Stoffs.