Was ist eigentlich aus Jeff Koons geworden? Den Gipfel seiner Popularität erlebte er wohl in den 2000/10er Jahren, als er genauso häufig in den Klatschspalten wie in den Kunstnachrichten auftauchte. Das ist vorbei; dass der französische Skandal-Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem Roman “Karte und Gebiet” von 2010 die Hauptfigur an einem Gemälde mit dem Titel “Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf” arbeiten ließ, wäre heute kaum noch denkbar.
Info
Jeff Koons: A Private Portrait
Regie: Pappi Corsicato,
80 Min., Italien 2023;
mit: Mary Boone, Jeffrey Deitch, Justine Wheeler
Weitere Informationen zum Film
Wirkt wie eine Auftragsarbeit
Wie konnte Koons zum weltweit geschätzten Lieferanten sündhaft kostspieliger Spaßkunst werden? Wer sich von diesem Film Aufschluss darüber erwartet, hofft vergebens: Der italienische Regisseur Pappi Corsicato nimmt den Titel “A Private Portrait” allzu wörtlich. Seine Doku klebt so sehr an Koons‘ Lippen, bleibt so distanzlos und liebedienerisch, dass sie über weite Strecken wie eine Auftragsarbeit wirkt. Vielleicht ist sie das auch – diesem Künstler wäre das zuzutrauen.
Offizieller Filmtrailer
Sechs Jahre ruinöser Sorgerechts-Streit
Als Genie der Selbstvermarktung weiß er natürlich, dass jeder US-Star – ob Politiker, Firmenboss oder Show-Größe – der Öffentlichkeit eine home story bieten muss. Genau das macht Koons: Er inszeniert sich als Familienmensch mit glücklicher Kindheit und großer Verwandtschaft, der nebenbei irgendwie zu einem der höchstbezahlten Gegenwartskünstler aufstieg. Wie, bleibt reichlich unklar. Breiten Raum nimmt dagegen sein Nachwuchs ein; angefangen mit der Schwangerschaft seiner Studentenliebe. Sie gab das Kind zur Adoption frei – diese Tochter fand viele Jahre später ihren biologischen Erzeuger wieder, worüber sie ausführlich in die Kamera schwärmt.
1991 heiratete Koons Ilona Staller, besser bekannt als Cicciolina; die Pornodarstellerin war damals Abgeordnete im italienischen Parlament. Seine Werkreihe “Made in Heaven” aus Porzellanbüsten und Fotos in expliziten Posen war sehr erfolgreich, die Ehe weniger. Sie wurde im Folgejahr geschieden; um den gemeinsamen Sohn Ludwig focht Koons einen Sorgerechts-Streit aus, den er 1998 verlor. In diesen sechs Jahren trat er in der Kunstwelt kaum in Erscheinung. Im Film darf Ludwig ausgiebig beteuern, wie blendend er sich mit seinem Vater versteht – welche Folgen der ruinöse Streit mit Cicciolina für seine Kunstproduktion hatte, bleibt ausgeblendet.
Unternehmer-Stolz auf Kunst-Werkstatt
Besser läuft es mit seiner Ex-Assistentin und zweiten Frau Justine Wheeler: Das Paar hat sechs Kinder. Alle sagen nacheinander brav ihr Sprüchlein auf, wie toll es mit Papa sei und welche Kunstwerke sie am besten fänden. Wahrscheinlich zurecht; viele seiner Arbeiten erscheinen auf den Wahrnehmungshorizont und Geschmack von Heranwachsenden zugeschnitten. Ob mit Absicht, erfährt man nicht: Ihr Schöpfer schweigt sich über seine Ideen und Motive beharrlich aus.
Lieber redet er über technische Aspekte. Wenn Koons den Regisseur in seinem weitläufigen New Yorker Atelier herumführt, gleicht er einem mittelständischen Unternehmer, der voller Stolz seine Präzisionsfräsen und Stanzautomaten vorführt – während im Hintergrund namenlose Assistenten schweigend auf Bildflächen herumtüpfeln. Zur “Equilibrum”-Serie von 1985 erklärt er wortreich, wie schwierig es sei, Basketbälle mithilfe von Flüssigkeiten in Aquarien schweben zu lassen. Oder er prahlt, wie perfektionistisch er Stahlskulpturen auf Hochglanz polieren lässt – manchmal jahrelang.
Lobhudeleien von Koons‘ Entourage
Kunst als Gewerbebetrieb für Luxusgüter: Anderes erfährt man auch nicht von den Wegbegleitern, die Pappi Corsicato interviewt. Für seine ähnlich konzipierte Doku “Julian Schnabel: A Private Portrait” war es ihm 2018 noch gelungen, die halbe US-Kunstwelt vor das Mikro zu holen. Sie wussten allerlei Interessantes und Skurriles über den Künstler zu berichten; er ist – auch als versierter Filmemacher – eben ein schillernder und reflektierter Akteur. In diesem Film treten fast nur Leute auf, die im weiteren Sinn zu Koons‘ Entourage zählen; sie überbieten sich mit Lobhudeleien.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Julian Schnabel – A Private Portrait" – Doku über den Star-Künstler der 1980er Jahre von Pappi Corsicato
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Sculpture on the Move 1946–2016" – Eröffnungs-Schau im Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel mit Werken von Jeff Koons
und hier einen Beitrag über den Film "Dalíland" – originelles Biopic über den geschäftstüchtigen surrealistischen Künstler Salvador Dalí von Mary Harron mit Ben Kingsley.
Possierlich-vertraut + zugleich superteuer
Dass er seine Auftritte genau kalkulierte, legt eine Bemerkung der renommierten Galeristin Mary Boone nahe. Jeder Supermarkt steigere seinen Absatz, indem er Neuheiten als solche bewerbe, habe Koons ihr gegenüber betont: Mit diesem “Neu!”-Etikett könne man auch Kunst vermarkten. Gut möglich, dass er als erster Absatzstrategien des Einzelhandels auf den Kunstbetrieb übertrug. Was erklären würde, warum er auch abseits davon weiter seine Abnehmer findet.
Neureiche Scheichs und Oligarchen in Russland und China sind an Konzepten und Theorien wenig interessiert; abendländische Kulturgeschichte gilt ihnen eher als abschreckendes Erbe der Kolonialzeit. Doch den Schauwert von Luxusprodukten und anderen Statussymbolen schätzen sie sehr; verknüpft mit den sentimentalen Qualitäten von Kinderspielzeug, Comicfiguren oder Nippes werden daraus unwiderstehliche must-haves. Es muss possierlich-vertraut aussehen und zugleich superteuer sein: Mit dieser unschlagbaren Kombination reüssiert Koons als Großmeister globalisierter Konsumkunst.