Pappi Corsicato

Jeff Koons: A Private Portrait

Ballon-Hunde. Foto: Little Dream Pictures
(Kinostart: 28.11.) Großmeister globalisierter Kitschkunst: Keiner erzielt damit höhere Erlöse als Jeff Koons. Doch das Doku-Porträt von Regisseur Pappi Corsicato ist eine kreuzbrave Home-Story voller Familienglück – die Methoden von Koons' Genie zur Selbstvermarktung kommen nur in Andeutungen vor.

Was ist eigentlich aus Jeff Koons geworden? Den Gipfel seiner Popularität erlebte er wohl in den 2000/10er Jahren, als er genauso häufig in den Klatschspalten wie in den Kunstnachrichten auftauchte. Das ist vorbei; dass der französische Skandal-Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem Roman “Karte und Gebiet” von 2010 die Hauptfigur an einem Gemälde mit dem Titel “Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf” arbeiten ließ, wäre heute kaum noch denkbar.

 

Info

 

Jeff Koons: A Private Portrait

 

Regie: Pappi Corsicato,

80 Min., Italien 2023;

mit: Mary Boone, Jeffrey Deitch, Justine Wheeler

 

Weitere Informationen zum Film

 

Seit 2019 wurde Koons keine große Werkschau mehr gewidmet – seine quietschbunten Kitsch-Objekte passen nicht mehr so recht in die heutige, krisengeschüttelte Weltlage. Aber von der Bildfläche verschwunden ist er auch nicht. Anstatt in den Metropolen bespaßt er seine Klientel nun dort, wo sie residiert: etwa 2022 mit einer Best-of-Show auf der Yacht eines Sammlers im Hafen einer griechischen Insel. Oder in den Golfstaaten und Fernost; also an Orten, die in der Kunstberichterstattung westlicher Medien eher selten vorkommen.

 

Wirkt wie eine Auftragsarbeit

 

Wie konnte Koons zum weltweit geschätzten Lieferanten sündhaft kostspieliger Spaßkunst werden? Wer sich von diesem Film Aufschluss darüber erwartet, hofft vergebens: Der italienische Regisseur Pappi Corsicato nimmt den Titel “A Private Portrait” allzu wörtlich. Seine Doku klebt so sehr an Koons‘ Lippen, bleibt so distanzlos und liebedienerisch, dass sie über weite Strecken wie eine Auftragsarbeit wirkt. Vielleicht ist sie das auch – diesem Künstler wäre das zuzutrauen.

Offizieller Filmtrailer


 

Sechs Jahre ruinöser Sorgerechts-Streit

 

Als Genie der Selbstvermarktung weiß er natürlich, dass jeder US-Star – ob Politiker, Firmenboss oder Show-Größe – der Öffentlichkeit eine home story bieten muss. Genau das macht Koons: Er inszeniert sich als Familienmensch mit glücklicher Kindheit und großer Verwandtschaft, der nebenbei irgendwie zu einem der höchstbezahlten Gegenwartskünstler aufstieg. Wie, bleibt reichlich unklar. Breiten Raum nimmt dagegen sein Nachwuchs ein; angefangen mit der Schwangerschaft seiner Studentenliebe. Sie gab das Kind zur Adoption frei – diese Tochter fand viele Jahre später ihren biologischen Erzeuger wieder, worüber sie ausführlich in die Kamera schwärmt.

 

1991 heiratete Koons Ilona Staller, besser bekannt als Cicciolina; die Pornodarstellerin war damals Abgeordnete im italienischen Parlament. Seine Werkreihe “Made in Heaven” aus Porzellanbüsten und Fotos in expliziten Posen war sehr erfolgreich, die Ehe weniger. Sie wurde im Folgejahr geschieden; um den gemeinsamen Sohn Ludwig focht Koons einen Sorgerechts-Streit aus, den er 1998 verlor. In diesen sechs Jahren trat er in der Kunstwelt kaum in Erscheinung. Im Film darf Ludwig ausgiebig beteuern, wie blendend er sich mit seinem Vater versteht – welche Folgen der ruinöse Streit mit Cicciolina für seine Kunstproduktion hatte, bleibt ausgeblendet.

 

Unternehmer-Stolz auf Kunst-Werkstatt

 

Besser läuft es mit seiner Ex-Assistentin und zweiten Frau Justine Wheeler: Das Paar hat sechs Kinder. Alle sagen nacheinander brav ihr Sprüchlein auf, wie toll es mit Papa sei und welche Kunstwerke sie am besten fänden. Wahrscheinlich zurecht; viele seiner Arbeiten erscheinen auf den Wahrnehmungshorizont und Geschmack von Heranwachsenden zugeschnitten. Ob mit Absicht, erfährt man nicht: Ihr Schöpfer schweigt sich über seine Ideen und Motive beharrlich aus.

 

Lieber redet er über technische Aspekte. Wenn Koons den Regisseur in seinem weitläufigen New Yorker Atelier herumführt, gleicht er einem mittelständischen Unternehmer, der voller Stolz seine Präzisionsfräsen und Stanzautomaten vorführt – während im Hintergrund namenlose Assistenten schweigend auf Bildflächen herumtüpfeln. Zur “Equilibrum”-Serie von 1985 erklärt er wortreich, wie schwierig es sei, Basketbälle mithilfe von Flüssigkeiten in Aquarien schweben zu lassen. Oder er prahlt, wie perfektionistisch er Stahlskulpturen auf Hochglanz polieren lässt – manchmal jahrelang.

 

Lobhudeleien von Koons‘ Entourage

 

Kunst als Gewerbebetrieb für Luxusgüter: Anderes erfährt man auch nicht von den Wegbegleitern, die Pappi Corsicato interviewt. Für seine ähnlich konzipierte Doku “Julian Schnabel: A Private Portrait” war es ihm 2018 noch gelungen, die halbe US-Kunstwelt vor das Mikro zu holen. Sie wussten allerlei Interessantes und Skurriles über den Künstler zu berichten; er ist – auch als versierter Filmemacher – eben ein schillernder und reflektierter Akteur. In diesem Film treten fast nur Leute auf, die im weiteren Sinn zu Koons‘ Entourage zählen; sie überbieten sich mit Lobhudeleien.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Julian Schnabel – A Private Portrait" – Doku über den Star-Künstler der 1980er Jahre von Pappi Corsicato

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Sculpture on the Move 1946–2016" – Eröffnungs-Schau im Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel mit Werken von Jeff Koons

 

und hier einen Beitrag über den Film "Dalíland" – originelles Biopic über den geschäftstüchtigen surrealistischen Künstler Salvador Dalí von Mary Harron mit Ben Kingsley.

 

Da blitzt nur kurz Erhellendes über seine Erfolgsgeheimnisse auf. Der Kunsthändler Jeffrey Deitch erwähnt, wie der aufstrebende Koons sich in den 1980er Jahren von der Konkurrenz abhob: Während alle anderen Jungkünstler mit wilder Frisur in schwarzen Klamotten herumliefen, sei er “wie der Trainer eines College-Footballteams” dahergekommen. Adrett und gut gelaunt, optimistisch und service-orientiert: eine erfrischende Abwechslung für kauflustige Kunstfreunde, die sonst meist schräge Typen ertragen mussten.

 

Possierlich-vertraut + zugleich superteuer

 

Dass er seine Auftritte genau kalkulierte, legt eine Bemerkung der renommierten Galeristin Mary Boone nahe. Jeder Supermarkt steigere seinen Absatz, indem er Neuheiten als solche bewerbe, habe Koons ihr gegenüber betont: Mit diesem “Neu!”-Etikett könne man auch Kunst vermarkten. Gut möglich, dass er als erster Absatzstrategien des Einzelhandels auf den Kunstbetrieb übertrug. Was erklären würde, warum er auch abseits davon weiter seine Abnehmer findet.

 

Neureiche Scheichs und Oligarchen in Russland und China sind an Konzepten und Theorien wenig interessiert; abendländische Kulturgeschichte gilt ihnen eher als abschreckendes Erbe der Kolonialzeit. Doch den Schauwert von Luxusprodukten und anderen Statussymbolen schätzen sie sehr; verknüpft mit den sentimentalen Qualitäten von Kinderspielzeug, Comicfiguren oder Nippes werden daraus unwiderstehliche must-haves. Es muss possierlich-vertraut aussehen und zugleich superteuer sein: Mit dieser unschlagbaren Kombination reüssiert Koons als Großmeister globalisierter Konsumkunst.