Karim Aïnouz

Motel Destino

Elias (Fábio Assunção), Heraldo (Iago Xavier) und Dayana (Nataly Rocha) verstrickt in einer ménage à trois? Foto: © Santoro
(Kinostart: 14.11.) Neo-Noir in Neonbunt: Im brasilianischen Stundenhotel verstricken sich der Chef, seine Frau und ein Kleinganove in eine fatale Dreiecksbeziehung. Regisseur Karim Aïnouz gelingt mit kühner Farbdramaturgie und krassem Naturalismus ein radikal zeitgenössischer Genrefilm.

Ob im „Bates Motel“, dem „Hotel California“ oder dem „Blue Hotel“: abgelegene Absteigen am Rande einsamer Highways sind ein geläufiger Topos in Kino und Popkultur. Ihre Anonymität bietet Zuflucht, doch meist erweist sie sich schnell als trügerisch. Hat man sie einmal betreten, befindet man sich fortan in den Fängen eines verhängnisvollen Schicksals. „You can check out any time you like, but you can never leave”, wussten schon die “The Eagles” in ihrem Welthit über das “Hotel California”.

 

Info

 

Motel Destino

 

Regie: Karim Aïnouz,

115 Min., Brasilien/ Deutschland/ Frankreich 2024;

mit: Fábio Assunção, Nataly Rocha, Iago Xavier 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Selten ist diese Ambivalenz in knalligere Primärfarben gebannt worden als im Erotikthriller „Motel Destino“ von Karim Aïnouz. Der nimmt die Erotik im titelgebenden Schauplatz wichtiger als den Thrill, der sich aus den kriminellen Anteilen der Handlung ergeben könnte. Aber auch das gehört zum Wesen des Motels: Es ist ein Ort für schnellen Sex. Seine meist schäbigen Flure und Zimmer sind oft erfüllt von Gestöhne und Gehechel.

 

Hier macht Chefin die Betten selbst

 

Außer wenn es Zeit ist, die Bettlaken abzuziehen und alles zu desinfizieren. Das erledigt Dayana (Nataly Rocha) weitgehend allein, obwohl sie nicht nur die Frau von Motel-Chef Elias (Fábio Assunção) ist, sondern auch die Miteigentümerin des „Destino“. Bis sie mit dem Neuankömmling Heraldo (Iago Xavier), einem 21-jährigen Träumer aus der Gegend, unverhofft einen willfährigen Helfer und Gespielen erhält.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Diebische One-Night-Stand-Partnerin

 

Heraldo hat sein bisheriges Leben im gleißenden Licht brasilianischer Dünen und Strände verbracht. Dennoch möchte er die gewalttätigen und kriminellen Verhältnisse, in denen er mit seinem vier Jahre älterem Bruder aufgewachsen ist, hinter sich lassen. Dafür stellt ihm die Chefin ihres Clans eine altbekannte Bedingung: ein letzter Coup. Vorher steigt Heraldo noch für eine wilde Nacht mit einer Schönen, die er gerade kennengelernt hat, im billigsten Zimmer des „Motel Destino“ ab.

 

Dort erweist sich die Frau zwar als willige Sex-Partnerin, doch ansonsten seiner Zuneigung nicht wert. Stattdessen erleichtert sie ihn um sein Bargeld; dann lässt sie ihn betäubt und eingeschlossen im Zimmer zurück. Mit der fatalen Folge, dass Heraldo den geplanten Überfall auf den Boss einer rivalisierenden Bande im Wortsinne verschläft. Was dazu führt, dass sein Bruder erschossen auf der Straße liegt, bevor er zur Stelle ist. Fortan sind (bisherige) Freunde wie Feinde hinter ihm her.

 

Wie wenn der Postmann zweimal klingelt

 

Offenbar weil er geistig zu träge ist, um groß an die Zukunft zu denken, kriecht Heraldo im „Motel Destino“ bei Dayana unter. Sie findet Gefallen an dem leicht verirrt wirkenden, aber körperbetonten jungen Mann – beide beginnen eine Affäre in den Nischen und Schattenzonen der in Neonfarben getauchten Zimmer.

 

Auch Elias entwickelt bald Gefühle für Heraldo, die über die Freude am Nutzen seiner kleinen Hilfsdienste hinausgehen. Doch Heraldo ist eindeutig nur an Dayana interessiert. Die wiederum sieht die Chance, mit seiner Hilfe ihren Mann loszuwerden, indem beide ihn gemeinsam umbringen. Eine Dreiecksbeziehung wie im klassischen Krimi-Melodram „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (1981) von Bob Rafelson, aber auch anderen Films Noirs und Neo-Noirs.

 

Schwüle + schillernde Rahmen-Tableaus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmao" – exquisites Melodram über weibliche Selbstbestimmung im Brasilien der 1950er Jahre von Karim Aïnouz

 

und hier eine Besprechung des Films "Love Lies Bleeding" – raffinierter Neo-Noir-Thriller über lesbische Bodybuilderin von Rose Glass mit Kristen Stewart

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Strange Colour of Your Body’s Tears" – labyrinthischer Erotik-Thriller in italienischer Giallo-Tradition von Hélène Cattet + Bruno Forzani

 

und hier einen Bericht über den Film "Guilty of Romance" – brillant-origineller Erotik-Psycho-Thriller aus Japan von Sion Sono.

 

So erinnert der Einsatz von Farben und Kontrasten an italienische Giallo-Thriller aus den 1970er Jahren. Solche Genrefilme mit vulgärpsychologisch grundiertem Horror waren neben Gewaltdarstellungen insbesondere auf erotischen Schauwert aus. Allerdings wurden sie wegen dieser voyeuristischen Aspekte oft in die Schmuddelecke von Softpornos verbannt – ungeachtet ihrer hochklassigen Besetzung und Musik.

 

An diese Tradition schließt „Motel Destino“ mit präzisen und flirrend bunten Bilder an, wobei die grandiosen Tableaus der Inszenierung einen so schwülen wie schillernden Rahmen bieten. Zudem wird die etwas simple Handlung durch Spiel und Präsenz der drei Hauptdarsteller beglaubigt. Ihre schweißtreibende, bisweilen rohe Körperlichkeit erscheint vor allem beim ungestümen Sex wenig idealisiert, manchmal sogar schmerzlich. Etwa wenn Heraldo so gierig Dayanas Brüste knetet, als wäre es für ihn das erste Mal.

 

Momentaufnahme der zerrissenen Gesellschaft

 

Dieser krasse Naturalismus verleiht den Protagonisten bemerkenswerte Glaubwürdigkeit. Trotz aller Klischees von Setting und Figurenkonstellation sind sie keine Abziehbilder, sondern Individuen mit je eigenem Begehren und Defiziten – trotz ihrer Einfalt leidet man mit ihnen.

 

Zwischen strahlendem Licht, blauem Meer und Nachtschatten gelingt Regisseur Aïnouz eine grelle und radikal zeitgenössische Genrefilm-Interpretation. Damit wird „Motel Destino“ zur Momentaufnahme einer zerrissenen Gesellschaft zwischen Kriminalität und Aufbruchsphantasien, Lethargie und Lebensfreude.