Ob im „Bates Motel“, dem „Hotel California“ oder dem „Blue Hotel“: abgelegene Absteigen am Rande einsamer Highways sind ein geläufiger Topos in Kino und Popkultur. Ihre Anonymität bietet Zuflucht, doch meist erweist sie sich schnell als trügerisch. Hat man sie einmal betreten, befindet man sich fortan in den Fängen eines verhängnisvollen Schicksals. „You can check out any time you like, but you can never leave”, wussten schon die “The Eagles” in ihrem Welthit über das “Hotel California”.
Info
Motel Destino
Regie: Karim Aïnouz,
115 Min., Brasilien/ Deutschland/ Frankreich 2024;
mit: Fábio Assunção, Nataly Rocha, Iago Xavier
Weitere Informationen zum Film
Hier macht Chefin die Betten selbst
Außer wenn es Zeit ist, die Bettlaken abzuziehen und alles zu desinfizieren. Das erledigt Dayana (Nataly Rocha) weitgehend allein, obwohl sie nicht nur die Frau von Motel-Chef Elias (Fábio Assunção) ist, sondern auch die Miteigentümerin des „Destino“. Bis sie mit dem Neuankömmling Heraldo (Iago Xavier), einem 21-jährigen Träumer aus der Gegend, unverhofft einen willfährigen Helfer und Gespielen erhält.
Offizieller Filmtrailer OmU
Diebische One-Night-Stand-Partnerin
Heraldo hat sein bisheriges Leben im gleißenden Licht brasilianischer Dünen und Strände verbracht. Dennoch möchte er die gewalttätigen und kriminellen Verhältnisse, in denen er mit seinem vier Jahre älterem Bruder aufgewachsen ist, hinter sich lassen. Dafür stellt ihm die Chefin ihres Clans eine altbekannte Bedingung: ein letzter Coup. Vorher steigt Heraldo noch für eine wilde Nacht mit einer Schönen, die er gerade kennengelernt hat, im billigsten Zimmer des „Motel Destino“ ab.
Dort erweist sich die Frau zwar als willige Sex-Partnerin, doch ansonsten seiner Zuneigung nicht wert. Stattdessen erleichtert sie ihn um sein Bargeld; dann lässt sie ihn betäubt und eingeschlossen im Zimmer zurück. Mit der fatalen Folge, dass Heraldo den geplanten Überfall auf den Boss einer rivalisierenden Bande im Wortsinne verschläft. Was dazu führt, dass sein Bruder erschossen auf der Straße liegt, bevor er zur Stelle ist. Fortan sind (bisherige) Freunde wie Feinde hinter ihm her.
Wie wenn der Postmann zweimal klingelt
Offenbar weil er geistig zu träge ist, um groß an die Zukunft zu denken, kriecht Heraldo im „Motel Destino“ bei Dayana unter. Sie findet Gefallen an dem leicht verirrt wirkenden, aber körperbetonten jungen Mann – beide beginnen eine Affäre in den Nischen und Schattenzonen der in Neonfarben getauchten Zimmer.
Auch Elias entwickelt bald Gefühle für Heraldo, die über die Freude am Nutzen seiner kleinen Hilfsdienste hinausgehen. Doch Heraldo ist eindeutig nur an Dayana interessiert. Die wiederum sieht die Chance, mit seiner Hilfe ihren Mann loszuwerden, indem beide ihn gemeinsam umbringen. Eine Dreiecksbeziehung wie im klassischen Krimi-Melodram „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (1981) von Bob Rafelson, aber auch anderen Films Noirs und Neo-Noirs.
Schwüle + schillernde Rahmen-Tableaus
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmao" – exquisites Melodram über weibliche Selbstbestimmung im Brasilien der 1950er Jahre von Karim Aïnouz
und hier eine Besprechung des Films "Love Lies Bleeding" – raffinierter Neo-Noir-Thriller über lesbische Bodybuilderin von Rose Glass mit Kristen Stewart
und hier einen Beitrag über den Film "The Strange Colour of Your Body’s Tears" – labyrinthischer Erotik-Thriller in italienischer Giallo-Tradition von Hélène Cattet + Bruno Forzani
und hier einen Bericht über den Film "Guilty of Romance" – brillant-origineller Erotik-Psycho-Thriller aus Japan von Sion Sono.
An diese Tradition schließt „Motel Destino“ mit präzisen und flirrend bunten Bilder an, wobei die grandiosen Tableaus der Inszenierung einen so schwülen wie schillernden Rahmen bieten. Zudem wird die etwas simple Handlung durch Spiel und Präsenz der drei Hauptdarsteller beglaubigt. Ihre schweißtreibende, bisweilen rohe Körperlichkeit erscheint vor allem beim ungestümen Sex wenig idealisiert, manchmal sogar schmerzlich. Etwa wenn Heraldo so gierig Dayanas Brüste knetet, als wäre es für ihn das erste Mal.
Momentaufnahme der zerrissenen Gesellschaft
Dieser krasse Naturalismus verleiht den Protagonisten bemerkenswerte Glaubwürdigkeit. Trotz aller Klischees von Setting und Figurenkonstellation sind sie keine Abziehbilder, sondern Individuen mit je eigenem Begehren und Defiziten – trotz ihrer Einfalt leidet man mit ihnen.
Zwischen strahlendem Licht, blauem Meer und Nachtschatten gelingt Regisseur Aïnouz eine grelle und radikal zeitgenössische Genrefilm-Interpretation. Damit wird „Motel Destino“ zur Momentaufnahme einer zerrissenen Gesellschaft zwischen Kriminalität und Aufbruchsphantasien, Lethargie und Lebensfreude.