Min Bahadur Bham

Shambhala

Pema (Thinley Lhamo) betet, dass ihr Ehemann Tashi von seiner Reise zurückkehren möge. Foto: MFA Filmdistibution
(Kinostart: 21.11.) Eheprobleme auf dem Dach der Welt: Pema hat drei Männer, doch ihr Liebster ist verschwunden. Ihre Suche nach dem Vermissten, die zur spirituellen Reise wird, inszeniert der nepalesische Regisseur Min Bahadur Bham als unaufgeregte Odyssee durch das grandiose Himalaya-Hochgebirge.

Vor Pema (Thinley Lhamo) liegt ein neuer Lebensabschnitt: Sie wird demnächst heiraten, aber nicht nur einen Ehemann. Wie es in Teilen des nepalesischen Himalaja-Berglands Brauch ist, geht die ethnische Tibeterin eine polyandrische Beziehung ein: Sie vermählt sich sowohl mit dem Bauern Tashi (Tenzin Dalha) als auch mit seinen beiden jüngeren Brüdern. Ihr Vater erinnert sie daran, dass sie allen dreien die gleiche Zuwendung schuldet. „Das ist das Prinzip“, wirft die Mutter energisch ein: „Aber es gibt immer einen, der dem Herzen am nächsten ist.“

 

Info

 

Shambhala

 

Regie: Min Bahadur Bham,

150 Min., Nepal/ Frankreich/ Norwegen 2024;

mit: Thinley Lhamo, Sonam Topden, Tenzin Dalha

 

Weitere Informationen zum Film

 

Pema liebt Tashi und hegt tiefe Gefühle für ihn. Umso schwerer fällt ihr der Abschied, als er schon bald nach der Trauung zu einer Handelsreise in die tibetische Hauptstadt Lhasa aufbricht. An seine Stelle im Familien-Gefüge tritt sein jüngerer Bruder Karma (Sonam Topden), der als Mönch im örtlichen buddhistischen Kloster lebt. Doch die temperamentvolle Pema sucht lieber Trost bei Ram Sir (Karma Shakya); der charmante Lehrer, aus der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu zugezogen, ist ein Außenseiter im Dorf.

 

Langsam sich vorantastender Film

 

Was dann in einer gemeinsam verbrachten Nacht zwischen Pema und ihrem sanftmütigen Verehrer geschieht, lässt der nepalesische Regisseur Min Bahadur Bham im Ungewissen. Seine Diskretion ist symptomatisch für die langsam sich vorantastende Dramaturgie dieses Films: In dieser Kultur bleibt vieles angedeutet oder wird zwischen den Zeilen ausgedrückt.

Offizieller Filmtrailer


 

Ort des Friedens oder der Stille

 

Allerdings hat Pema bald ein handfestes Problem: Als sie schwanger wird, kursieren in der kleinen Gemeinde Gerüchte darüber, wer der Vater ihres Kindes sein könnte. Zudem verschärft sich ihre Lage, weil sie erfährt, dass Tashi auf dem Rückweg in die Heimat irgendwo in der Bergwelt verschwunden ist. Mutig beschließt Pema, in der Wildnis nach ihm zu suchen – damit beginnt nach fast einer Stunde eine zweite Handlungs- und Sinn-Ebene des Films.

 

Auf sie bezieht sich der Titel „Shambhala“. Dieser Begriff bezeichnet einen spirituellen Ort des Friedens oder der Stille, ein mythisches Reich der Erleuchtung. Gelegentlich erscheint es im Film in sepiafarben getönten Träumen und Visionen der Figuren. Etwa denen von Karmas Mentor Rinpoche; der alte Abt scheint den Lauf der Ereignisse wie eine Art wohlwollender Schutzgeist zu überblicken. Diese geistige Dimension prägt auch die unaufgeregte Ausgeglichenheit der Inszenierung von Regisseur Bham.

 

Panorama-Kulisse für Melodramatik

 

Wie auch die atemberaubenden Naturaufnahmen: Malerische Landschaften, eingebettet in majestätische Bergketten und gefilmt im Breitbildformat, bilden ein Ehrfurcht einflößendes Panorama. Zugleich bietet es den passenden Hintergrund für eine Handlung, die sich zunehmend ins Melodramatische steigert.

 

Immerhin muss Pema ihre mühselige Reise durch felsige Täler entlang von schneebedeckten Hängen nicht allein auf sich nehmen: Karma begleitet sie, auch wenn er sein behütetes Klosterleben zunächst nur widerwillig aufgibt. Zwar macht Regisseur Bham aus ihrem Trip wohlweislich keinen Abenteuer-Reigen, aber in dieser unwirtlichen Hochgebirgsregion tauchen öfter Gefahren auf. Sei es eine Begegnung mit einem streitsüchtigen Pferdedieb oder ein Pferderennen mit Bogenschützen, das mit einem Begräbnisritual endet.

 

Phantom ist Anlass für Charakter-Entwicklung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Was will der Lama mit dem Gewehr?" – atmosphärisch stimmige Dramödie aus Bhutan über die ersten freien Wahlen von Pawo Choyning Dorji

 

und hier eine Besprechung des Films "Chaddr – Unter uns der Fluss" – facettenreiches Porträt einer Familie in der indischen Himalaya-Region Ladakh von Minsu Park

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Indiens Tibet – Tibets Indien" – hervorragende Einführung in Kulturen + Gesellschaften im Westhimalaya im Linden-Museum, Stuttgart

 

und hier ein Bericht über den Film "Sing me a Song" – kontrastreiche Doku-Fiktion, wie Internet den Alltag in Bhutan verändert, von Thomas Balmès.

 

Trotzdem lässt sich Pema nicht aufhalten; Thinley Lhamo spielt sie mit einer Entschlossenheit und Würde, der man nur Sympathie entgegenbringen kann. Sie verleiht ihrer Figur das nötige Durchsetzungsvermögen; gleichzeitig bringt sie aber auch ihr inneres Leid zum Ausdruck. Denn Pema weiß: Auch Karma wird ihr Kind nicht akzeptieren – obwohl er ihr verspricht, an ihrer Seite zu bleiben, falls sie ohne Tashi in ihr Dorf zurückkehren sollte.

 

So rückt die sich behutsam festigende Beziehung zwischen Pema und Karma ins Zentrum der Geschichte. Tashi wird allmählich zu einem verblassenden Phantom. Doch er liefert den Anlass für die weitere emotionale Entwicklung der Charaktere: Einerseits hadert Pema mit ihren Gefühlen für den vermissten Ehemann. Andererseits muss Karma sich entscheiden, ob er tatsächlich bereit ist, sein mönchisches Zölibat aufzugeben.

 

Am Ende bleiben intime Momente

 

Dass die Akteure sich mit widerstreitenden Gefühlen herumschlagen müssen, fügt der Regisseur bemerkenswert selbstbewusst in ein außergewöhnliches visuelles Konzept ein. Sein ausdauernder, fast zärtlicher Blick auf die Lebensumstände und Traditionen der Bewohner des Himalaja-Hochlands mag auf Dauer etwas folkloristisch erscheinen. Zumal der Film mit zweieinhalb Stunden Laufzeit dem Publikum einige Geduld abverlangt.

 

Doch entscheidend ist: Wer sich darauf einlässt, der wird nicht enttäuscht. Die Landschafts-Eindrücke sind berauschend und gewaltig, dagegen die Gefühle und das Handeln der Protagonisten verhalten und ambivalent. Am Ende bleiben vor allem jene intimen zwischenmenschlichen Momente in Erinnerung, die sich nach Einbruch der Dunkelheit im warmen Schein flackernder Öllampen entfalten.