Ken Wardrop

So this is Christmas

Weihnachts-Disco. Foto: mindjazz
(Kinostart: 21.11.) Fest der sozialen Kälte und der Einsamkeit: Fünf Menschen in der irischen Provinz erzählen, warum Weihnachten für sie kein Grund zur Besinnlichkeit ist. Ihr Optimismus und Humor machen die Doku von Regisseur Ken Wardrop zum womöglich wahrhaftigsten Weihnachtsfilm des Jahres.

Weihnachten gilt als schönste Zeit des Jahres. Dann bimmeln die Glöckchen, und durch harmonische Schneelandschaften laufen pausbäckige Kinder, die Schlitten hinter sich herziehen. Dieses Klischee-Bild bedient zum Auftakt auch der irische Dokumentarfilmer Ken Wardrop, doch schon bald wird daraus ein etwas anderer Weihnachtsfilm.

 

Info

 

So this is Christmas

 

Regie: Ken Wardrop,

87 Min., Irland 2023;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Er erzählt die wahren Geschichten von fünf Bewohnern eines abgeschiedenen Landstrichs in Irland. Sie alle können aus ganz persönlichen Gründen mit dem Fest der Liebe und der verordneten Besinnlichkeit nicht viel anfangen. Während Wardrop sie durch die Vorweihnachtszeit begleitet, lernt er ihre Lebensumstände und ihre Perspektive auf die Festivitäten kennen.

 

Alleinerziehend zu Weihnachten

 

Da ist die alleinerziehende Mutter Loretta, die gerne wieder arbeiten würde, was aber an mangelnden Betreuungsmöglichkeiten scheitert. Nun versucht sie mit ihrer Sozialhilfe irgendwie auszukommen, derweil ihre Kaufkraft durch die Inflation immer geringer wird. Alleinerziehend ist auch Witwer Jason, der sich nach dem Tod seiner Frau vorgenommen hat, seinen beiden Kindern die Mutter zu ersetzen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Analysen am Küchentisch

 

Die essgestörte Mary kommt hingegen mit dem massiven Nahrungsüberangebot zur Weihnachtszeit nicht zurecht und bezahlt das mit Einsamkeit. Die ist auch einem alten Junggesellen nicht fremd. Er hat immerhin einen Hund und trotzt dem Zwang zur festlichen Stimmung mit einem Kneipenbesuch. Das würde die Rentnerin Anette niemals tun. Sie hatte zwar ein schweres Leben, lässt sich aber nicht unterkriegen und will sich nicht damit abfinden, dass sie als alte Frau zunehmend ignoriert wird.

 

All diese Personen gewähren Wardrops Filmteam Zutritt zu ihren Wohnungen und setzten sich mit ihm an den Küchentisch. Dort sprechen sie offen über ihre Schwierigkeiten mit dem „Fest der Liebe“; mal emotional, mal abgebrüht bis sarkastisch. So analysiert Anette ihre Situation sehr klar und weigert sich, darob zu resignieren.

 

Einkaufen als Belastung

 

Das hat sie gemeinsam mit Mary, die teilweise direkt in die Kamera von ihren Problemen spricht. Das passiert auch Loretta, die in Tränen ausbricht, wenn sie davon berichtet, ihren Kindern weniger Geschenke kaufen zu können. Während die Protagonistinnen in diesen Küchengesprächen freimütig von Verlust und Enttäuschungen erzählen, kommen sie dem Zuschauer näher.

 

Die angenehm nah und unspektakulär geführte Kamera begleitet sie zudem durch den Alltag, bei der Arbeit und bei Besorgungen. Speziell für Mary ist das Einkaufen eine Belastung, da sie währenddessen ständig nach dem Stand ihrer Weihnachtsvorbereitungen gefragt wird und notgedrungen lügt.

 

Optimismus und irischer Humor

 

Dennoch kommt kaum Schwermut auf, da alle fünf Gesprächspartner trotz allem Optimisten bleiben. Sie haben eine gewisse Resilienz im Umgang mit den Umständen entwickelt, die gleichzeitig nachdenklich und hoffnungsvoll macht. Ihre kritische Selbstironie und ein gerütteltes Maß von irischem Humor helfen dabei. Darin zeigt sich die unverwüstliche Grundeinstellung von Menschen, denen es selten gut ging.    

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Holdovers" – schön schräge und schwarzhumorige Weihnachtsgeschichte von Alexander Payne

 

und hier eine Besprechung des Films "The Banshees of Inisherin" – brillante Konflikt-Parabel aus Irland von Martin McDonagh

 

und hier einen Beitrag über den Film "Am Sonntag bist Du tot – Calvary" – irische Sitten-Tragikomödie über Morddrohung gegen einen Priester von John Michael McDonagh.

 

Sozialkritik bleibt dabei unterschwellig. Regisseur Wardrop geht es nicht darum, zu Weihnachten die gute Stimmung zu vermiesen. Er erinnert durch die anrührenden Geschichten seiner Protagonisten daran, dass andere Dinge wichtiger sind als jede Menge Geschenke oder Völlerei: nämlich Gemeinsamkeit oder zumindest etwas Zuwendung, die vor allem Anette vermisst.

 

Aufgeben kommt nicht in Frage

 

Solche ehrlichen Selbstreflexionen werden eingerahmt von Alltagsbeobachtungen, in denen die allgegenwärtigen, kitschigen Dekorationen schon ins Skurrile kippen. Auch im ländlichen Irland scheint man sich bei der Festbeleuchtung durch schiere Masse überbieten zu wollen. Das nimmt aber den Hauptpersonen, die im Lauf des Films immer sympathischer werden, nichts von ihrer Präsenz.

 

Sie eint ein Gefühl von Verlust: Einige vermissen einen geliebten Menschen, andere schlicht ihre Bedeutung für ihre Mitmenschen. Doch Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. So wird aus einem grundsätzlich kritischen doch noch ein echter Weihnachtsfilm, dessen hoffnungsvolle Botschaft in dunklen Tagen wohl tut.