Jürgen Ellinghaus

Togoland Projektionen

Ein Zuschauer verweist auf eine Filmszene. Foto: © 2023 Drop-Out Cinema eG
(Kinostart: 28.11.) Kinoabende mit den Vorfahren: Mehr als 100 Jahre alte Doku-Aufnahmen aus der früheren deutschen Kolonie führt Filmemacher Jürgen Ellinghaus heutigen Bewohnern von Togo vor. Die reagieren sehr unterschiedlich – ein eindrucksvoll differenzierter Rückblick auf die Vergangenheit.

Als das Deutsche Reich Kolonialmacht in Afrika war: 1913/4 reiste der Hamburger Forscher und Großwildjäger Hans Schomburgk in die westafrikanische Kolonie Togoland, um dort Dokumentar- und Abenteuerfilme zu drehen. Zu seiner Entourage gehörte auch seine spätere Ehefrau Meg Gehrts; sie war Hauptdarstellerin der Spielfilme, die dort entstanden – mit zeittypischen Titeln wie „Eine Weiße unter Kannibalen“.

 

Info

 

Togoland Projektionen

 

Regie: Jürgen Ellinghaus,

96 Min., Togo/ Deutschland 2023;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Außer diesen mittlerweile verschollenen Dschungel-Fantasien drehte Schomburgk aber auch Dokumentarfilme, die rare Einblicke in die deutsche Kolonialzeit im heutigen Togo erlauben. Hierzulande sind die Erinnerungen an drei Jahrzehnte Kolonialgeschichte unter dem Eindruck zweier Weltkriege seit langem verblasst. Doch dem Filmemacher Jürgen Ellinghaus geht es in seinem Dokumentarfilm „Togoland Projektionen“ nicht um die hiesige Erinnerungskultur – ihn interessieren die Spuren, die Deutsche im heutigen Togo hinterlassen haben.

 

Telefunken-Funkanalage bald gesprengt

 

Schomburgks seinerzeitiger Route folgend, reist er mit einem mobilen Kino durchs Land, um seine alten Filme an den Orten vorzuführen, an denen sie einst gedreht wurden. Die erste Station ist das Dorf Kamina, in dem die Firma Telefunken kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine große Funkanlage aufbauen ließ. Sie war nur wenige Wochen in Betrieb, bevor sie 1914 angesichts der anrückenden Franzosen und Briten wieder gesprengt wurde.

Offizieller Filmtrailer


 

Nacktheit schockiert + belustigt

 

Die Zwangsarbeit, die Togolesen auf der Baustelle leisten mussten, war also vergeblich, so das Fazit der Zuschauer nach der ersten Filmvorführung. Wie auf der gesamten Reise fallen die Meinungen im Publikum schon am ersten Abend verschieden, reflektiert und mitunter überraschend aus. Konsens ist hingegen eine Mischung aus Respekt und Mitleid für die Vorfahren; es fällt das Wort „Sklaverei“.

 

Dass die Männer und Frauen in Schomburgks grobkörnigen Filmbildern fast nackt auftreten, empfinden manche als schockierend, andere als lustig, aber alle als bemerkenswert. Überall, wo Schomburgk drehte, konfrontiert Ellinghaus die Nachfahren der Gefilmten mit dessen Bildern; sie werden oft einfach an grob verputzte Wände projiziert. Damit stößt er auf viel Interesse und löst rege Diskussionen aus.

 

Gehörlosen-Klasse soll Lippen lesen

 

Dank einer mühevollen Übersetzungsarbeit aus lokalen Sprachen liefert die Montage einen facettenreichen Eindruck davon, wie unterschiedlich die Kolonial-Ära von Kolonialherren und Kolonialisierten erinnert wird. Zur Illustration der weißen Perspektive dienen außer den historischen Filmbildern auch die Erinnerungen von Meg Gerth, die sie 1914 auf Englisch niederschrieb; eine deutsche Übersetzung erschien erst 1999 unter dem Titel „Weiße Göttin der Wangora“. Das zitierten Passagen stecken zwar voller Klischees, fallen aber an manchen Stellen auch erstaunlich nuanciert aus.

 

Die Perspektive der Beherrschten setzt sich dagegen aus vielen Einzelstimmen zusammen, die Ellinghaus bei Publikumsgesprächen und Interviews einsammelt. Um etwa herauszufinden, was die Kokomba-Krieger im Norden Togos sagen, die Schomburgk seinerzeit für seinen – natürlich stumm gedrehten – Film vor die Kamera geholt hatte, führt er ihn einer Schulklasse gehörloser Kinder vor. Sie sollen durch Lippenlesen rekonstruieren, was Schomburgk damals wohl aus Höflichkeit nicht übersetzt wurde. Leider bleiben sie erfolglos.

 

Aufteilung nach Erstem Weltkrieg

 

Sehr deutlich wird aber, dass die deutsche Kolonialzeit in Togo im öffentlichen Bewusstsein viel tiefer verankert ist als bei uns. In einer köstlichen Szene sagen Schulkinder artig die genauen Daten der Ankunft der Deutschen und des „Schutzvertrags“ auf, den Gustav Nachtigall 1884 mit Regionalfürsten schloss; er stellt gewissermaßen die Gründungsakte des heutigen Togo dar.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das leere Grab" – Dokumentation über Folgen des Maji-Maji-Kriegs in Ostafrika von Agnes Lisa Wegner + Cece Mlay

 

und hier eine Besprechung des Films "Der vermessene Mensch" – fesselndes Dokudrama über den Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika 1904 von Lars Kraume

 

und hier einen Beitrag über den Film "Concerning Violence − Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence" – Doku über antikolonialistische Guerillas im Afrika der 1960/70er Jahre von Göran Hugo Olsson

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afrika mit eigenen Augen" über Facetten der kolonialen Sicht auf Afrika im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden.

 

Zudem ist es in Togo offenbar selbstverständlich, am deutschen Volkstrauertag der im Land verstobenen deutschen Siedler und Soldaten zu gedenken. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Togoland zwischen den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Der britische Teil wurde 1956 dem heutigen Ghana angegliedert, der französische Teil 1960 zur unabhängigen Republik Togo.

 

Deutsches wird nostalgisch verklärt

 

Tatsächlich muss Ellinghaus feststellen, dass aufgrund dieser Wechselfälle die keineswegs unblutige Phase der deutschen Herrschaft nostalgisch verklärt wird – im Vergleich zu den Erfahrungen mit den beiden Entente-Kolonialmächten. Das Ewe-Wort für alles Deutsche, „djama“, ist heute weitgehend positiv konnotiert; ein Phänomen, dass sich ähnlich auch in den früheren deutschen Kolonien Kamerun und Tansania beobachten lässt.

 

Das wird auch diskutiert, als Ellinghaus den Film in der heutigen Hauptstadt Lomé jungen Intellektuellen zeigt. Ihre leidenschaftliche Debatte beurteilt das Material auf ganz andere, urbane Weise – auch in Togo ist das kulturelle Gefälle zwischen Hauptstadt und Provinz beträchtlich.

 

Für beide Seiten bereichernd

 

Dabei illustriert der Regisseur seine abwechslungsreiche Rundreise mit beredten und mitunter poetischen Bildern aus dem Alltag – von majestätischen Baobab-Bäumen bis zu knallbunter Neonreklame. Obwohl seine Off-Kommentare zuweilen etwas onkelhaft wirken, belehrt er nicht, sondern beschränkt sich auf notwendige Erläuterungen. Damit gelingt es ihm, eine im Rückblick schwer vorstellbare Epoche zu vergegenwärtigen – auf eine für beide Seiten bereichernde Weise.