Sebastian Stan

A Different Man

Wer ist am besten geeignet für die Rolle? Edward (Sebastian Stan), Ingrid (Renate Reinsve) und Oswald (Adam Pearson). Foto: © Faces Off LLC
(Kinostart: 5.12.) Konkurrenz der Identitäten: Ein entstellter Schauspieler spielt nach seiner Heilung die Rolle eines Entstellten – bis ihm ein durch Krankheit Entstellter die Rolle wegschnappt. Das doppelbödige Authentizitäts-Verwirrspiel von Regisseur Aaron Schimberg beeindruckt durch virtuose Perspektivwechsel.

Edward Lemuel (Sebastian Stan) lebt in New York und versucht sich als Schauspieler. Allerdings leidet er an der seltenen Krankheit Neurofibromatose; sein Gesicht ist durch Wucherungen entstellt. So wurde er bisher nur einmal für eine Rolle in einem Schulungsfilm engagiert. Der dient Firmen dazu, ihre Mitarbeiter für den Umgang mit Kollegen zu sensibilisieren, die – wie er selbst – mit unansehnlichem Äußeren geschlagen sind.

 

Info

 

A Different Man

 

Regie: Aaron Schimberg,

108 Min., USA 2024;

mit: Sebastian Stan, Renate Reinsve, Adam Pearson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Edward hat längst akzeptiert, dass sein Anblick auf andere Menschen bizarr wirkt und er ein Einzelgänger bleibt. Nur seine neue Nachbarin Ingrid (Renate Reinsve), eine aufstrebende Dramatikerin, scheint sich für ihn zu interessieren; doch er ist sich nicht sicher, wie er ihr Interesse deuten soll.

 

Wunderheilung wirkt

 

Eines Tages verweist ihn sein Arzt an ein unseriös wirkendes Wissenschaftler-Team, das verspricht, seine Krankheit behandeln zu können. Nach einigem Zögern stimmt Edward zu, und tatsächlich: Allmählich fallen in einem schmerzhaften Prozess seine Wucherungen von ihm ab. Dahinter tritt ein glattes, gewöhnliches Gesicht hervor. Sofort lässt er sein bisheriges Leben hinter sich, ohne sich zu verabschieden.

Offizieller Filmtrailer


 

Zweikampf um die Hauptrolle

 

Wenige Jahre später ist Edward zu einem aalglatten Immobilienmakler geworden, der sich Guy Moretz nennt. Doch seine Vergangenheit holt ihn ein, als er feststellen muss, dass Ingrid in der Zwischenzeit seine Geschichte zu einem Off-Broadway-Stück verarbeitet hat und einen Schauspieler für die Hauptrolle sucht. Er bewirbt sich, ohne seine eigene Vergangenheit zu enthüllen, und erhält nach einigem Hin und Her die Titelrolle des „Edward“. Um ihn verkörpern zu können, muss er nun freilich Make-up verwenden.

 

Zudem werden er und Ingrid während der Proben ein Paar. Dann taucht der Brite Oswald (Adam Pearson) auf der Bildfläche auf. Auch er hat Neurofibromatose, doch sein auffälliges Äußeres scheint ihn nicht zu stören. Mit Charme und Beredsamkeit wickelt er die ganze Theatertruppe um den Finger und ergattert so die Hauptrolle. Edward sieht sich an den Rand gedrängt und steigert sich in einen Eifersuchtswahn, der bald keine Grenzen mehr kennt.

 

Nutznießer von Identitätspolitik

 

Zu diesem Zeitpunkt hat der Film von Regisseur Aaron Schimberg selbst ein paar Wandlungen durchlaufen. Das New York des ersten Teils wirkt noch wie aus den 1970er Jahre: heruntergekommen und voller seltsamer Typen mit undurchsichtigem Hintergrund. Im Lauf der Handlung, die einige Jahre umfasst, verändern sich Straßenbild und Inneneinrichtungen: von mysteriöser Schäbigkeit zu banaler Eleganz.

 

Ebenso ändert der Film im zweiten Teil seinen Tonfall. Was wie eine Mischung aus Psychothriller und auf den Kopf gestelltem Bodyhorror beginnt, wird zur schwarzen Komödie, die zentrale Aspekte von Identität und Authentizität verhandelt. Nach seiner Heilung beginnt Edward ein neues Leben und lässt seine frühere Identität hinter sich; Oswald hingegen wird widerstrebend zum Nutznießer zeitgenössischer Identitätspolitik. Ihm überantwortet Ingrid die Hauptrolle des „Edward“, weil er ihr durch sein entstelltes Äußeres wahrhaftiger erscheint.

 

Stimmung wie bei David Lynch

 

Was ist authentisch, was nicht? Und was bleibt übrig von der künstlerischen Freiheit? Zum Symbol für solche Fragen wird eine rote Schreibmaschine, die im Lauf des Films mehrfach den Besitzer wechselt – und mit ihr quasi die Urheberrechte an Edwards Geschichte, um die Guy am Ende verzweifelt kämpft. Dieses Objekt ist nur eines der zahlreichen Symbole des Films, der trotz seines vordergründigen Realismus immer zugleich einer Traumlogik verpflichtet scheint.

 

Ähnlich wie die Werke von Regisseur David Lynch, an deren seltsam entrückte Stimmung „A Different Man“ öfter erinnert, kreist der Film um verschiedene Ängste. Zu Beginn erschrecken die Leute vor Edward, der sich seinerseits vor ihrem Urteil und der Einsamkeit fürchtet – das ist der Stoff, aus dem Ingrid ihr Theaterstück gemacht hat. Doch nachdem sie Oswald kennengelernt hat, zweifelt sie plötzlich an ihrem Talent und ihren guten Absichten. Guy Moretz wird als „ein anderer Mann“ von neuen Ängsten geplagt. Und er gerät in Panik, als Oswald ihn aus Ingrids Gunst und aus dem Rampenlicht verdrängt.

 

Authentizitäts-Kult satirisch kommentiert

 

Hintergrund

 

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Regisseur Aaron Schimberg jongliert mit diversen Metaphern und Anspielungen, ohne die Karten jemals auf den Tisch zu legen. Ihm gelingt ein Meta-Psychothriller mit doppeltem Boden, der mehrmals dazu einlädt, die Perspektive zu wechseln. Auf der Ebene der vordergründigen Handlung geht es jedoch vor allem um die zwiespältige Faszination, die visuell als erschreckend wahrgenommene Menschen ausüben.

 

Dieses Thema zieht sich durch die Filmgeschichte: angefangen von den Wurzeln des Kinos als Kuriositätenkabinett über Filme wie „Freaks“ (1932) von Tod Browning, „Auch Zwerge haben klein angefangen“ (1970) von Werner Herzog und „Der Elefantenmensch“ (1980) von David Lynch bis eben zu „A Different Man“, der es aus aktueller Perspektive behandelt. Die heutige Hochschätzung von Authentizität kommentiert der Film eher satirisch als belehrend.

 

Sequel zu Neurofibromatose-Film

 

Zwar ist Sebastian Stan als Edward/Guy ein passabler, obgleich wenig sympathischer Jedermann; dafür erhielt er auf der Berlinale einen Silbernen Bären für die „beste Hauptrolle“. An die Wand gespielt wird er jedoch von Adam Pearson, der in der Tat an Neurofibromatose erkrankt ist, in der Rolle des Oswald. Regisseur Schimberg setzte ihn bereits in „Chained For Life“ (2019) ein, darin ging es ebenfalls um einen Schauspieler mit Neurofibromatose. So lässt sich „A Different Man“ auch als ironisch-fantastische Fortsetzung interpretieren.