Irene von Alberti

Die geschützten Männer

Pharmakonzern-Chefin Hilda-Helsinki Pfeiffer (Bibiana Beglau) entspannt sich. Foto: © Filmgalerie 451
(Kinostart: 12.12.) Frauen an die Macht – weil alle Männer dahingerafft werden. Diese radikalfeministische Dystopie von Autor Robert Merle verfilmt Regisseurin Irene von Alberti 50 Jahre später: als albern komödiantisches Spektakel mit überzogenen Charakteren und Bekenntnis zur Low-Budget-Ausstattung.

Ein wildgewordener junger Mann greift auf offener Straße Frauen an. In Windeseile wachsen ihm Unmengen von Körperhaaren wie bei einem Werwolf. Buchstäblich von Sinnen bricht er konvulsivisch zuckend zusammen und stirbt quasi auf dem Höhepunkt seiner Extase. Er ist das erste Opfer einer neuen Krankheit: Dieser Virus befällt nur Männer und bricht ausschließlich bei sexueller Erregung aus. Besonders gefährdet sind solche, die über Macht verfügen oder testosterongesättigtes Mackertum an den Tag legen.

 

Info

 

Die geschützten Männer

 

Refie: Irene von Alberti,

104 Min., Deutschland 2024;

mit: Britta Hammelstein, Mavie Hörbiger, Yousef Sweid, Bibiana Beglau

 

Weitere Informationen zum Film

 

Da aber gerade Wahlkampf ist, kehrt die Regierung die neue Bedrohung zunächst unter den Teppich. Der konservative Kanzler Darius Becker (Godehart Giese) will schließlich wiedergewählt werden. Während er sich siegessicher gibt, rührt die Oppositionspartei FEM („Feministisches Ensemble von Minderheiten“) die Wahltrommel, um erneut über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen.

 

Virus als Wahlkampfhilfe

 

Doch die FEM wird von internen Richtungskämpfen geplagt. Auf dem Wahlparteitag diskutieren sehr divers aufgestellte Mitglieder endlos über politisch korrekte Begriffe. Das torpediert den Kurs der Parteivorsitzenden Anita Martinelli (Britta Hammelstein) und Sarah Bedford (Mavie Hörbiger), die einen Systemwechsel zu ökologisch nachhaltiger Geschlechter-Gleichberechtigung anstreben. Der neu auftretende Virus kommt dem FEM zuhilfe.

Offizieller Filmtrailer


 

Machtübernahme ohne Kuschelkurs

 

Kurz nach der Wahl werden der Kanzler und mit ihm alle von Männern dominierende Parteien dahingerafft. Als einzig funktionstüchtige, weil weiblich geführte, Partei bleibt die FEM übrig und übernimmt die Macht – aber nicht auf Kuschelkurs. In der freien Adaption durch Irene von Alberti des gleichnamigen Romans des französischen Autors Robert Merle (1908-2004) kämpfen auch Frauen mit harten Bandagen.

 

Merle schrieb seine groteske Dystopie 1974, als die zweite Welle des Feminismus in Frankreich auf ihren Höhepunkt zusteuerte, und malte sich aus, was bei einer Umkehrung der traditionellen Machtverhältnisse passieren könnte. Dazu siedelte er sein Gedankenspiel in den USA an. Mit dieser Vorlage geht Regisseurin Alberti sehr eigenwillig um; zudem verpasst sie manchen ihrer Zeit verhafteten Figuren eine Rundum-Modernisierung.

 

Gesundheitsministerin pro In-vitro-Fertilisation

 

Zudem hat sie – wohl auch aus budgetären Gründen – die Handlung in ein fiktives Deutschland in der nahen Zukunft verlegt; inklusive sparsamer bis unzulänglicher Ausstattung. So wirken viele Schauplätze sehr heutig und mitunter selbstgefertigt. Die Außenaufnahmen beschränken sich beispielsweise auf gesichtslose Treppen oder ein verlassenes Gehöft.

 

Mit einigem Wohlwollen kann man das als Bekenntnis zum kalkuliertem Trash auslegen, ebenso wie die teilweise sehr überzogene Darstellung der Charaktere. Da tritt die designierte Gesundheitsministerin Martha Novak als eingefleischte Männerhasserin auf, die mit Vorliebe über die Vorteile menschlicher Fortpflanzung mithilfe von Reagenzgläsern fabuliert. Ihre Parteifreundin Sarah Bedford, die sich zur Regierungschefin aufgeschwungen hat, berauscht sich sehr schnell an der neugewonnen Macht.

 

Kanzler-Ständer im Fernsehen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films Films "La belle saison – Eine Sommerliebe" - Drama über lesbische Liebe im Feminismus im Frankreich der 1970er Jahre von Catherine Corini mit Cécile de France

 

und hier eine Besprechung des Films "Contagion" – Katastrophen-Thriller über eine Seuchen-Epidemie von Steven Soderbergh mit Jude Law 

 

und hier einen Bericht über den Film "Global Virus – Die Virus-Metapher" – facettenreicher Essay-Film von Madeleine Dewald + Oliver Lammert.

 

Dagegen verfolgt die Ko-Vorsitzende Anita Martinelli ein realistischeres Projekt: Ihr Mann Ralph soll streng abgeschottet mit ein paar Kollegen ein Serum zur Bekämpfung der Seuche entwickeln. Die Arbeit dieser „geschützten Männer“ wird aber von der radikalen FEM-Basis mit Argwohn betrachtet. Dagegen kann die Pharmakonzern-Chefin Hilda-Helsinki Pfeiffer (Bibiana Beglau als fitnesssüchtige Alphafrau) es kaum erwarten, mit dem Serum ordentlich Reibach zu machen. Außerdem droht der Virus, ihre bevorzugten Lustobjekte dahinzuraffen.

 

So unterscheidet sich die Verfilmung deutlich von der Romanvorlage: Während Merle durchaus ernsthaft darlegte, dass eine Umkehr der Geschlechterrollen keinesfalls zur besseren Alternative führen muss, inszeniert Regisseurin Alberti absichtlich ein quietschbuntes Panoptikum, das mit Klischees überladen ist und von Knallchargen bevölkert wird. Wobei sie mit irrwitzigen Übertreibungen belustigen will; etwa wenn der von der Seuche niedergestreckte Kanzler seine letzten Zuckungen mit erigiertem Glied macht und diese Bilder im Fernsehen ausgestrahlt werden.

 

Erwachsenes kommt zu kurz

 

Dagegen befindet sich das Hightech-Labor der geschützten Männer versteckt auf einem heruntergekommen Bauernhof im Nirgendwo. Dort doktern die Forscher seltsam passiv am Heilmittel herum – bis sie von Ralphs Frau Anita gerettet werden. Sie ist nicht nur die einzige Akteurin, die in diesem Tohuwabohu einen klaren Kopf behält, sondern auch die Einzige mit einer sozialen Bindung, die mehr als Hass oder Gier empfindet. Solche erwachsenen Empfindungen kommen ansonsten in diesem albern-komödiantischen Spektakel zu kurz.