Ein wildgewordener junger Mann greift auf offener Straße Frauen an. In Windeseile wachsen ihm Unmengen von Körperhaaren wie bei einem Werwolf. Buchstäblich von Sinnen bricht er konvulsivisch zuckend zusammen und stirbt quasi auf dem Höhepunkt seiner Extase. Er ist das erste Opfer einer neuen Krankheit: Dieser Virus befällt nur Männer und bricht ausschließlich bei sexueller Erregung aus. Besonders gefährdet sind solche, die über Macht verfügen oder testosterongesättigtes Mackertum an den Tag legen.
Info
Die geschützten Männer
Refie: Irene von Alberti,
104 Min., Deutschland 2024;
mit: Britta Hammelstein, Mavie Hörbiger, Yousef Sweid, Bibiana Beglau
Weitere Informationen zum Film
Virus als Wahlkampfhilfe
Doch die FEM wird von internen Richtungskämpfen geplagt. Auf dem Wahlparteitag diskutieren sehr divers aufgestellte Mitglieder endlos über politisch korrekte Begriffe. Das torpediert den Kurs der Parteivorsitzenden Anita Martinelli (Britta Hammelstein) und Sarah Bedford (Mavie Hörbiger), die einen Systemwechsel zu ökologisch nachhaltiger Geschlechter-Gleichberechtigung anstreben. Der neu auftretende Virus kommt dem FEM zuhilfe.
Offizieller Filmtrailer
Machtübernahme ohne Kuschelkurs
Kurz nach der Wahl werden der Kanzler und mit ihm alle von Männern dominierende Parteien dahingerafft. Als einzig funktionstüchtige, weil weiblich geführte, Partei bleibt die FEM übrig und übernimmt die Macht – aber nicht auf Kuschelkurs. In der freien Adaption durch Irene von Alberti des gleichnamigen Romans des französischen Autors Robert Merle (1908-2004) kämpfen auch Frauen mit harten Bandagen.
Merle schrieb seine groteske Dystopie 1974, als die zweite Welle des Feminismus in Frankreich auf ihren Höhepunkt zusteuerte, und malte sich aus, was bei einer Umkehrung der traditionellen Machtverhältnisse passieren könnte. Dazu siedelte er sein Gedankenspiel in den USA an. Mit dieser Vorlage geht Regisseurin Alberti sehr eigenwillig um; zudem verpasst sie manchen ihrer Zeit verhafteten Figuren eine Rundum-Modernisierung.
Gesundheitsministerin pro In-vitro-Fertilisation
Zudem hat sie – wohl auch aus budgetären Gründen – die Handlung in ein fiktives Deutschland in der nahen Zukunft verlegt; inklusive sparsamer bis unzulänglicher Ausstattung. So wirken viele Schauplätze sehr heutig und mitunter selbstgefertigt. Die Außenaufnahmen beschränken sich beispielsweise auf gesichtslose Treppen oder ein verlassenes Gehöft.
Mit einigem Wohlwollen kann man das als Bekenntnis zum kalkuliertem Trash auslegen, ebenso wie die teilweise sehr überzogene Darstellung der Charaktere. Da tritt die designierte Gesundheitsministerin Martha Novak als eingefleischte Männerhasserin auf, die mit Vorliebe über die Vorteile menschlicher Fortpflanzung mithilfe von Reagenzgläsern fabuliert. Ihre Parteifreundin Sarah Bedford, die sich zur Regierungschefin aufgeschwungen hat, berauscht sich sehr schnell an der neugewonnen Macht.
Kanzler-Ständer im Fernsehen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films Films "La belle saison – Eine Sommerliebe" - Drama über lesbische Liebe im Feminismus im Frankreich der 1970er Jahre von Catherine Corini mit Cécile de France
und hier eine Besprechung des Films "Contagion" – Katastrophen-Thriller über eine Seuchen-Epidemie von Steven Soderbergh mit Jude Law
und hier einen Bericht über den Film "Global Virus – Die Virus-Metapher" – facettenreicher Essay-Film von Madeleine Dewald + Oliver Lammert.
So unterscheidet sich die Verfilmung deutlich von der Romanvorlage: Während Merle durchaus ernsthaft darlegte, dass eine Umkehr der Geschlechterrollen keinesfalls zur besseren Alternative führen muss, inszeniert Regisseurin Alberti absichtlich ein quietschbuntes Panoptikum, das mit Klischees überladen ist und von Knallchargen bevölkert wird. Wobei sie mit irrwitzigen Übertreibungen belustigen will; etwa wenn der von der Seuche niedergestreckte Kanzler seine letzten Zuckungen mit erigiertem Glied macht und diese Bilder im Fernsehen ausgestrahlt werden.
Erwachsenes kommt zu kurz
Dagegen befindet sich das Hightech-Labor der geschützten Männer versteckt auf einem heruntergekommen Bauernhof im Nirgendwo. Dort doktern die Forscher seltsam passiv am Heilmittel herum – bis sie von Ralphs Frau Anita gerettet werden. Sie ist nicht nur die einzige Akteurin, die in diesem Tohuwabohu einen klaren Kopf behält, sondern auch die Einzige mit einer sozialen Bindung, die mehr als Hass oder Gier empfindet. Solche erwachsenen Empfindungen kommen ansonsten in diesem albern-komödiantischen Spektakel zu kurz.