Mit einer geschlechtsspezifischen Ausstellung die Gleichberechtigung im Kunstbetrieb befördern zu wollen, ist ein Widerspruch in sich. Schon 1953 bemerkte laut Katalog die Rezensentin Erika Müller in der Wochenzeitung DIE ZEIT: „Es finden zwar häufig Ausstellungen statt, die den schöpferischen Drang des Mannes beweisen, doch tragen sie unseres Wissens nie den Titel ‚Der Mann als Schöpfer‘. Aber immer wieder gibt es Ausstellungen, denen das Thema ‚Die Frau als Schöpferin‘ zugrundegelegt wird, als ob es entgegen anderer Behauptung bewiesen und verteidigt werden müsse.“
Info
InformELLE Künstlerinnen der 1950er/60er-Jahre
11.10.2024 - 26.01.2025
täglich außer montags 10 bis 17 Uhr,
am 4. Freitag im Monat bis 19 Uhr
in der Neuen Galerie,
Schöne Aussicht 1, Kassel
Katalog 45 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
21.02.2025 - 22.06.2025
täglich außer montags 10 bis 17 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
in der Kunsthalle, Rüfferstraße 4, Schweinfurt
Weitere Informationen zur Ausstellung
31.08.2025 - 04.01.2026
täglich außer montags 12 bis 18 Uhr
im Emil Schumacher Museum, Museumsplatz 1-2, Hagen
Alphatiere der Nachkriegsmoderne
Ebenso die, wie schwer es Frauen fiel, sich im männlich geprägten Kunstbetrieb der Nachkriegsmoderne durchzusetzen. Zwar wurde die als Ausdruck absoluter Freiheit gepriesene Abstraktion, die man in den USA „Abstrakter Expressionismus“, in Frankreich „Tachismus“ und in Westdeutschland „Informel“ nannte, dies- wie jenseits des Atlantiks von Alphatier-Künstlern wie Hans Hartung, Georges Mathieu und Jackson Pollock dominiert.
Doch die eigentliche Diskriminierung war ökonomischer Natur und epochenunabhängig. Die österreichische Malerin Soshana notierte in den 1950er Jahren in Paris: „Der Inhaber der Galerie de France sagte mir unmissverständlich, dass sie keine Künstlerinnen unter Vertrag nehmen wollten, da dies als zu riskant angesehen wurde. Eine Frau könnte heiraten, Kinder bekommen und ihre Karriere aufgeben. 20 Jahre Öffentlichkeitsarbeit und eine langfristige finanzielle Investition in eine Künstlerin wären über Nacht ruiniert.“ Da war Soshana bereits geschieden und hatte einen Sohn.
Impressionen der Ausstellung in Kassel
Nicht Künstlerinnen, sondern Stil unpopulär
Allerdings fällt beim Blick auf die Biographien der 16 Teilnehmerinnen auf, dass die meisten durchaus Erfolge auf dem Kunstmarkt verzeichneten. Sie wurden ausgestellt und ihre Arbeiten von Sammlern erworben; andernfalls wären sie kaum in dieser Schau vertreten. Eher fragt sich, warum der Zuspruch irgendwann abnahm oder ausblieb; zumal die Hälfte erst in den letzten Jahren starb und eine – Roswitha Lüder – noch lebt. Es dürfte an der schwindenden Popularität der Abstraktion ab den 1970er Jahren liegen. Daraufhin änderten die Künstlerinnen ihre Malweise, womit sie weniger reüssierten.
Zurecht konzentriert sich die Ausstellung auf die heroische Phase des Informel in den 1950/60er Jahren. Wobei paradoxerweise die heute berühmteste Künstlerin nicht mithalten kann: Maria Lassnig. Ihre tachistischen Fingerübungen aus dieser Zeit wirken mittlerweile fahrig, richtungs- und ziellos. Erst mit ihren „Body Awareness“-Bildern ab den 1960er Jahren fand sie zu ihrer persönlichen Handschrift.
Lassnig floppt, Vieira da Silva begeistert
Dagegen erhielt Maria Helena Vieira da Silva bereits früh große Anerkennung. Die Portugiesin, die mit 20 Jahren nach Paris umzog, war je drei Mal auf der Biennale in Venedig und der documenta in Kassel vertreten. Zeitgenossen begeisterte, wie sie Leinwände mit perspektivischem Liniengeflecht überzog und die abgegrenzten Kleinflächen abgestuft ausfüllte, was die Illusion von Räumlichkeit schuf. Sie wirke „ihre kostbaren Netze, um eine ganze Welt darin aufzufangen, und wir werden aufs Wunderbarste in sie hineingezogen“, schwärmte der einflussreiche Kunsthistoriker Werner Schmalenbach.
Auch die Spanierin Juana Francés war drei Mal bei der Biennale dabei. Ihre schrundig-dunklen Leinwände, oft mit Sand und Erde bemalt, ähneln Arbeiten ihres Landsmannes Antoni Tàpies, doch die von Frances sind abwechslungsreicher. Beispielsweise befestigte sie objets trouvés wie Schutt und Bruchstücke in ihren Kompositionen. Als der Zeitgeschmack sich in den 1980er Jahren wandelte, sank jedoch ihr Stern; 2023 wurde sie für eine Gruppenschau in der Londoner Whitechapel Gallery wiederentdeckt.
Brâncuși-Vertraute + Linsenkästen-Bastlerin
Anders verlief der Karriereweg der Exil-Rumänin Natalia Dumitresco. Sie stand nie im Scheinwerferlicht, doch als Gattin des Malers Alexandre Istrati und enge Vertraute des visionären Bildhauers Constantin Brâncuși – er setzte das Paar als seine Alleinerben ein – war sie stets in der „Nouvelle École de Paris“ präsent. Ihre kleinteilig schraffierten und betüpfelten Farbmosaiken erinnern an Landkarten oder Satellitenbilder; körnige Oberflächen-Textur sorgt für griffige Haptik.
Genauso kleinteilig, aber variantenreicher, fallen die Bilder von Mary Bauermeister aus. Sie nutzte drip painting, um Farbtropfen verlaufen zu lassen, oder trug diese mühevoll Punkt für Punkt mit dem Pinsel auf. So entstehen Bildflächen, die einerseits homogen wirken, andererseits zahllose Details bergen – mal erscheinen sie wie Wurzelwerk im Unterholz, mal wie Sternenhimmel oder Kiesbett in Nahansicht. Dass sie derlei zu dreidimensionalen „Linsenkästen“ ausbaute, kam gut an – bis sie sich esoterischen Lehren wie der Geomantik zuwandte.
Fango-Schwämme + Blob-Blasen
Den umgekehrten Weg ging die 1878 geborene Schweizerin Helen Dahm. Jahrzehntelang fand sie mit konventioneller Malerei ihr Auskommen – bis sie 1957 beim Start des ersten Satelliten ihren Sputnik-Schock erlebte. „Wie kann man Blumenbilder malen beim Anbruch einer neuen Zeit?“, soll sie gefragt haben. Und legte los: Die Spannbreite ihrer kühnen Experimente verblüfft noch heute. Mit Fango-Schwämmen druckte sie organische Muster, mit Blob-Blasen suggerierte sie seelische oder kosmische Explosionen. In der konservativen Schweiz fand sie damit aber wenig Anklang.
Ebenfalls im fortgeschrittenen Alter wandte sich Hedwig Thun der gestischen Malerei zu. Dass sie kurz am Bauhaus studiert hatte, sieht man ihren farbensprühenden Gemälden nicht an. Deren Aufbau wirkt allerdings etwas beliebig, analog zu Tapetenmustern. Was sich den Bildern der kaum jüngeren Marie-Louise von Rogister nicht vorhalten lässt: Indem sie mit Spachteln in noch feuchter Farbe Linien zügig nachzog, schuf sie halbfigurative Gebilde. Sie gemahnen etwa an verknäuelte Baumstämme, drahtartige Geflechte oder an Maschinenteile-Stapel – alle bestechen durch prägnanten Ausdruck.
Flucht von Tianjin nach Paris
Wie die dynamischen Bildblöcke, die Judit Reigl auf die Leinwand wuchtete; seien es gekreuzte Stäbe, Trapeze oder wirbelnde Kreisel. Manches erinnert an monumentale Schriftzeichen, anderes an moosige Sedimente – von der gebürtigen Ungarin passend „Guano“ (1961) genannt. Ihr kraftvolles Werk hat in jüngster Zeit eine Renaissance erfahren; so widmete ihr die Neue Nationalgalerie 2023 die erste Retrospektive in Deutschland.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Maria Lassnig: Der Ort der Bilder" – große Werkschau der österreichischen Künstlerin in den Deichtorhallen, Hamburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Farbe ist alles!" mit Werken von Judit Reigl zur Neueröffnung des Museums Reinhard Ernst für abstrakte Kunst, Wiesbaden
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Form der Freiheit – Internationale Abstraktion nach 1945" – eindrucksvolle Themenschau mit Werken von Natalia Dumitresco im Museum Barberini, Potsdam
und hier einen Bericht über die Ausstellung "K. O. Götz" – prächtige Retrospektive zum 100. Geburtstag des Informel-Malers in Berlin, Duisburg + Wiesbaden.
Hauptsache tonnenschwer + verchromt
Am meisten lohnt sich, eigene Erfolgsformeln unermüdlich zu wiederholen, wie das Beispiel von Brigitte Meier-Denninghoff zeigt. Die Berlinerin heiratete 1955 den Schauspieler Martin Matschinsky; ihre gemeinsamen Arbeiten signierten sie ab 1970 mit „Matschinsky-Denninghoff“. Wobei deren Aussehen ohnehin stets gleich blieb: Beide löteten dünne Messingrohre mit Zinn zu geometrischen Plastiken zusammen. Solche Lötspuren interpretiert diese Ausstellung arg weit hergeholt als taches (Flecken) im Sinne des Tachismus, um beide dem Informel zuzurechnen.
Das wäre dem Duo wohl egal gewesen: Ab Mitte der 1960er Jahre stieg es zu Quasi-Staatskünstlern auf, die halb Westdeutschland mit Großskulpturen im öffentlichen Raum zupflasterten. Ihre Markenzeichen waren kurvig gebogene Stahlröhren, die alles Mögliche bedeuten sollten: von Herkules über Genesis und Heros bis zur „Großen Gaia“.
Insbesondere die Hauptstadt ist geradezu verstopft von ihrer Hinterlassenschaft – jeder kennt ihre Mega-Klammer auf dem Tauentzien. Hauptsache tonnenschwer und verchromt glänzend: Damit wurde Brigitte Meier-Denninghoff im Maschinenbauland Bundesrepublik zur erfolgreichsten Informel-Künstlerin aller Zeiten.