Robert Eggers

Nosferatu – Der Untote

Professor Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe) setzt das Basislager des Grafen in Wisborg in Brand. Foto: © 2024 Focus Features LLC
(Kinostart: 2.1.) Der Ahnherr aller Vampire kehrt zurück: Robert Eggers Adaption des Dracula-Mythos lehnt sich zwar eng an die klassische Verfilmung 1922 von F. W. Murnau an, aber auf Höhe der Gegenwart: mit opulenter Ausstattung und brillant schwebender Kamera für formvollendet inszenierte Schrecken.

„Er wird kommen!“, prophezeit Ellen Hutter (Lily-Rose Depp) und dass nichts ihn aufhalten könne. Denn „er“ verkörpert das Begehren in elementarer Rohform, und sie selbst zieht es seit Jugendtagen in Richtung Lust und Tod zugleich. Ellen und ihr Mann Thomas (Nicholas Hoult) leben in der norddeutschen Kleinstadt Wisborg. Dort möchte sich der transsilvanische Graf Orlok (Bill Skarsgård) ansiedeln, weshalb er aus der Ferne den ortsansässigen Makler Knock (Simon McBurney) beauftragt, für ihn eine geeignete Immobilie zu finden.

 

Info

 

Nosferatu – Der Untote

 

Regie: Robert Egger,

132 Min., Tschechien/ USA 2024;

mit: Willem Dafoe, Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Bill Skarsgård, Aaron Taylor-Johnson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Knock schickt ihm einen aufstrebenden jungen Mitarbeiter in die Karpaten: eben jenen Thomas Hutter, der sich von dem Abenteuer ein gutes Geschäft und damit einen Start in die gemeinsame bürgerliche Existenz mit Ellen erhofft. Je weiter ihn seine Reise aber an den Rand der abendländischen Welt führt, desto mehr trifft er auf Aberglaube und Angst ihrer Bewohner. Am Ziel seiner Reise angekommen, ahnt Hutter bald, dass er durch die Abwicklung des Geschäfts das Grauen nach Wisborg holen wird. Er ahnt jedoch nicht, dass seine Frau das eigentliche Objekt der Begierde des Vampirs ist.

 

Einer der beliebtesten Filmstoffe

 

Die Geschichte des vampirischen Grafen darf als bekannt vorausgesetzt werden: Bram Stokers 1897 erschienener Roman „Dracula“ zählt zu den am häufigsten verfilmten Stoffen der Filmgeschichte. Mit Robert Eggers „Nosferatu – Der Untote“ kommt nun ein Remake in die Kinos, das sich explizit auf eine der ersten Adaptionen stützt, die selbst einen fast mythischen Ruf genießt: Bereits 1922 setzte Friedrich Wilhelm Murnau mit „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ Maßstäbe fürs gerade entstehende Grusel- und Horror-Genre.

Offizieller Filmtrailer


 

Murnaus „Nosferatu“ – Klassiker des Schreckens

 

Da die damalige Produktionsfirma Prana-Film die Rechte am Buch nicht erwarb, wurden wesentliche Teile der Handlung von London ins fiktive Wisborg verlegt, und die Figuren erhielten neue Namen. So hieß der kahlköpfige Untote mit den langen Klauenfingern und spitzen Ohren, den Max Schreck darstellte, statt Dracula nun Graf Orlok; aus Jonathan Harker wurde Thomas Hutter und aus Mina Ellen.

 

Mit großer visueller Kraft brachte Murnau die Schauergeschichte auf die Leinwand; dabei nutzte er wie kaum ein anderer die Schatten im Bildraum als Hort des im Titel beschworenen Grauens. In viragierten, also nachträglich eingefärbten Schwarzweißbildern erzeugte er eine Atmosphäre, die alle Schrecken der Welt spürbar machte, die Menschen nachts den Schlaf rauben – und das weitgehend, ohne sie explizit zu zeigen.

 

Chronik eines angekündigten Remakes

 

Trotz der vielbeschworenen Unmöglichkeit, dieses Meisterwerk zu übertreffen, ist Regisseur Werner Herzog 1979 mit „Nosferatu – Phantom der Nacht“ eine so beachtliche wie eigenständige Variation des Themas gelungen. 1992 hat außerdem Francis Ford Coppola mit seiner Interpretation in „Bram Stokers Dracula“ eine weitere, opulente Version mit großem Staraufgebot und visueller Raffinesse geliefert.

 

Selbstverständlich weiß Eggers, der auch selbst das Drehbuch verfasst hat, um die Kraft und Bedeutung dieser Vorbilder. Lange hat der Regisseur sich für die bereits 2015 angekündigte Produktion von „Nosferatu – Der Untote“ Zeit gelassen. In der Zwischenzeit hat er seine handwerklichen Fähigkeiten mit einer Reihe bemerkenswerter Filme unter der Beweis gestellt: von „The Witch“ (2015) über „Der Leuchtturm“ (2019) bis zu „The Northman“ (2022).

 

Entfesselte Kamera im Albtraum-Modus

 

Von Filmbeginn an wird deutlich, dass es ihm bei seinem Remake um mehr geht als um die Aufbereitung einer altbekannten Geschichte für eine neue Generation. In fließend ineinandergleitenden Sequenzen von großer visueller Eleganz inszeniert er den Stoff wie Murnau im Modus des Albtraums. Bei Ausstattung und Kostüm ist er detailbesessen. Dennoch spielt sich vieles in nächtlichem Dunkel ab, in dem nur wenige Lichtkanten die Konturen der Personen und Gegenstände markieren.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Northman" – düster faszinierendes nordisches Heldenepos von Robert Eggers

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Phantome der Nacht – 100 Jahre Nosferatu" – schön schaurige Themenschau zum Uraufführungs-Jubiläum des ersten Vampirfilms in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, Berlin

 

und hier einen Bericht über den Film "Renfield" – amüsanter Genre-Mix aus Horror- und Gangsterfilm von Chris McKay mit Nicholas Hoult

 

und hier einen Beitrag über den Film "Von Caligari zu Hitler – Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen" – gelungener Essayfilm über die Stummfilm-Ära der Weimarer Republik von Rüdiger Suchsland

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Friedrich Wilhelm Murnau – Eine Hommage" für den Regisseur der Filmklassiker "Nosferatu" +"Tabu" im Lenbachhaus, München.

 

Entsättigte Blau- und Brauntöne überwiegen; Rot wird für gezielte blutige Akzente genutzt. Zum flirrenden Klangbild auf der Tonspur bleibt die Kamera unaufhörlich in gleitender Bewegung: Sie steigt auf, fährt auf schwarze Eingänge und Nischen zu, durchquert Erdreich, Häuserfronten und Rattengewusel, steht auch mal Kopf – aber alles, ohne dass sich dies effekthascherisch aufdrängt.

 

Monster bleibt im Schatten

 

Im Gegenteil erreicht die permanente Bewegung, dass man sich ganz dem Strom der Bilder überlässt. Das Monster kommt ohne die bekannten Merkmale des Originals aus. Stattdessen bleibt der Graf die meiste Zeit über im Dämmer und mit der Dunkelheit verbunden. Wenn er sichtbar wird, dann etwa als Silhouette auf einer wehenden Gardine.

 

Schon die Wahl des klassischen 35mm-Breitbilds, das gegenüber dem heute üblichem Cinemascope-Format fast eng wirkt, lässt „Nosferatu – Der Untote“ wie die Antithese zu Coppolas verschwenderisch ausgestatteter Verfilmung erscheinen. War bei Coppola noch romantische Liebe der Urgrund wie die Lösung des Dramas, dient bei Eggers die Angst des Patriarchats vor weiblicher Sexualität als Triebfeder allen Verhängnisses.

 

Keine Rettung durch Wissenschaft

 

Dafür steht auch der von Willem Dafoe gespielte Professor Albin Eberhart von Franz – die Wisborger Version von Stokers Doktor van Helsing als Stratege im Kampf gegen den Vampir. Von Alchemie und medizinischem Fortschritt gleichermaßen geprägt, führt der Professor deutlich vor Augen, dass die Aufklärung mit ihrer instrumentellen Vernunft die Welt zwar entzaubern, aber wohl kaum retten kann – das vermag nur Ellens Sinnlichkeit. So schlüssig hat schon lange kein Film mehr die Furcht vor Tod und Verlangen auf die Leinwand gebracht wie dieser Nosferatu.