Basel

Paula Rego – Machtspiele

Paula Rego: The Family (Detail), 1988, Acrylfarbe auf Papier auf Leinwand, © Paula Rego / Bridgeman Images. Fotoquelle: Kunstmuseum Base
Geschlechterkampf, Familienaufstellung oder Staatsgewalt: Darin enthaltene Machtverhältnisse bannte die portugiesisch-britische Malerin Paula Rego in bildgewaltige Erzählungen, die lange nachwirken. Ihre subtil verstörenden Werke zeigt das Kunstmuseum in der ersten Retrospektive seit ihrem Tod.

Zartbesaitete seien gewarnt: Die „Machtspiele“ von Paula Rego (1935-2022) sind keine Wohlfühl-Ausstellung. Diese Motive eignen sich weder für hübsche Seidenschals noch für dekorative Notizbücher. Zwar verstören die Werke der portugiesisch-britischen Künstlerin auf den ersten Blick, doch bei näherem Hinsehen erweisen sie sich als starke und eigenständige feministische Position in der figurativen Malerei. Ihr beschert das Kunstmuseum Basel zurecht einen großen Auftritt.

 

Info

 

Paula Rego – Machtspiele

 

28.09.2024 - 02.02.2025

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

mittwochs bis 20 Uhr

im Kunstmuseum | Neubau, St. Alban-Graben 20, Basel

 

Katalog 49 CHF/ 45 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Eine Frau im prachtvollen, bodenlangen Rock, wie ihn Velázquez hätte malen können, blickt den Betrachter herausfordernd an. Ihr Oberkörper ist in eine Torero-Jacke gehüllt; in der rechten Hand schwingt sie ein Schwert, in der linken einen Schwamm, ein Requisit der Pastellmalerei. Das soll ein Engel sein?

 

Mit den Waffen der Kunst kämpfen

 

Tatsächlich hat Paula Regos „Angel“ von 1988 rein gar nichts von einem süßen Engelchen an sich. Stattdessen zeigt das Pastellgemälde – offensichtlich ein Selbstbildnis – eine entschlossene Frau, die mit den Waffen der Kunst kämpft. Geballte Frauenpower, die sich aber im historischen Gewand von einem allzu plakativen, zeitgeistigen Feminismus distanziert.

Rundgang durch die Ausstellung mit Kuratorin Eva Reifert; © Artinside


 

Erste Werkschau im deutschsprachigen Raum

 

Dieses Engels-Porträt bringt das zentrale Thema der Ausstellung auf den Punkt: Es geht um Macht in all ihren Facetten. Persönliche und politische Macht, private Abhängigkeiten, Mechanismen staatlicher Repression, aber auch die Macht der Kunst werden mal in harschen Gewaltszenen, mal in berührenden Momenten des Sichkümmerns dargestellt. Oder in märchenhaften Schöpfungen, die mit der Symbolik der Archetypen-Lehre von C. G. Jung und einschlägigen Meisterwerken der Kunstgeschichte kokettieren.

 

120 Gemälde, Pastelle sowie Puppen der portugiesisch-britischen Künstlerin präsentiert das Kunstmuseum in den großzügigen Räumen seines Neubaus. Mit der ersten großen Werkschau im deutschsprachigen Raum, zugleich der ersten Retrospektive nach Regos Tod, würdigt das Haus eine Künstlerin, die in Portugal und ihrer Wahlheimat Großbritannien längst als Star der zeitgenössischen Kunst gilt.

 

Studium bei Lucian Freud

 

1935 kam Paula Rego in Lissabon zur Welt; damals herrschte in Portugal die Salazar-Militärdiktatur. Zunächst lebte sie bei ihren Großeltern, während die Eltern aus politischen Gründen nach London gingen. Bald inspirierte die künstlerische Tätigkeit der Mutter die junge Paula, ebenfalls zu zeichnen und zu malen. Ab 1952 studierte sie in London an der renommierten „Slade School of Fine Arts“ unter anderem bei Lucian Freud; dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann Victor Willing kennen, mit dem sie drei Kinder haben sollte.

 

Er selbst gab bald seine künstlerische Arbeit auf und wurde fortan zu ihrem wichtigsten Berater in Kunstfragen. Später erkrankte er schwer an Multipler Sklerose und wurde zum Pflegefall, was sich teilweise auch in Regos Werk widerspiegelt. Während die Malerin abwechselnd in England und Portugal lebte, hatte sie erste Erfolge in den 1960er Jahren. Danach folgten Einzelausstellungen, Preise sowie zahlreiche Ankäufe durch Museen. Noch kurz vor ihrem Tod 2022 wurde ihrem Werk ein eigener Raum im internationalen Pavillon der Biennale von Venedig gewidmet.

 

Tanz durch verschiedene Lebensphasen

 

Die Baseler Ausstellung versammelt Schlüsselwerke aus mehreren Jahrzehnten. Kuratorin Eva Reifert hat sie nach Themen wie Selbstbilder, Familienaufstellung, Staatsgewalt, Geschlechterkampf, Rollenbilder und Auflehnung angeordnet. Zum Auftakt zeigt das Acrylgemälde „The Artist in Her Studio“ von 1993 die Künstlerin in kraftvoller und zugleich nachdenklicher Pose im Atelier; de facto handelt es sich um ein Porträt ihrer Assistentin Lila Nunes. Die Person ist umgeben von lauter Objekten, Tieren und Frauenfiguren – als Hinweis auf ihr detailverliebtes Vorgehen, mit dem sie sich aus einem riesigen Fundus an Requisiten, Vorbildern der Kunstgeschichte und ihrer Fantasiewelt bedient.

 

Auch die Werke im Abschnitt Familienaufstellung handeln vornehmlich von Rego selbst. Bei „The Dance“ (1988) denkt man zunächst an eine volkstümliche Freiluft-Tanzveranstaltung. Ungelenk tanzende Figuren erinnern ob des düster-dramatischen Malstils an den spanischen Künstler Ignacio Zuloaga (1870–1945); der Hintergrund mit Meeresufer und Berg wird vom Mond nur spärlich beleuchtet. Tatsächlich ist es Rego selbst, die in der fantastischen Szenerie durch verschiedene Lebensphasen tanzt: als kleines Kind an der Hand von Kindermädchen, als junge Frau mit ihrem späteren Ehemann, schließlich am linken Rand allein als ältere, gestandene Frau.

 

Hilfloser Familienvater auf Bettkante

 

Mit diesem Bild von 1988 soll die Künstlerin den Tod ihres Mannes im selben Jahr verarbeitet haben. Dass sie sich keineswegs nur als Opfer betrachtet und Frauen auf passive Wesen reduziert, zeigt dagegen das verstörende Bild „The Family“. Im Schlafzimmer sitzt ein Mann hilflos auf der Bettkante, während seine Gattin, ihren schelmisch lächelnden Blick auf den Betrachter gerichtet, den Ärmel seines Sakkos hochzieht. Zwischen seine gespreizten Beine drängt sich eine mädchenhafte Tochter und versucht, ihm die Hose herunterzuziehen – quasi in der Pose eines Vergewaltigers. Eine denkwürdige Familienszene!

 

Auf andere Weise drastisch sind Bilder mit Bezug auf die Salazar-Diktatur. In der Mitte von „The Interrogator’s Garden“ (2000) sitzt ein uniformierter Mann mit blutroten Handschuhen; unter ihm breiten sich Leichensäcke aus. Seine nackten, weit geöffneten Schenkel deuten darauf hin, dass er die Frau, die im Hintergrund in einen Leichensack schlüpft, missbraucht hat. Während Rego hier auf die Vergangenheit zurückblickte, entstand das Pastellgemälde „War“ 2003 unmittelbar unter dem Eindruck des Irak-Kriegs, an dem ihre Wahlheimat Großbritannien beteiligt war.

 

Zyklus zum Abtreibungs-Referendum

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dix und die Gegenwart" mit Werken von Paula Rego in den Deichtorhallen, Hamburg

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "59. Biennale Venedig: The Milk of Dreams" mit Werken von Paula Rego in Venedig

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Lucian Freud: Closer - Radierungen aus der UBS Art Collection" - große Grafik-Werkschau des Lehrers von Paula Rego im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Mythos Spanien – Ignacio Zuloaga (1870–1945)" - umfassende Retrospektive des Meisters düsterer Spanien-Klischees in München + Hamburg.

 

Zeitungsfotos von fliehenden Menschen verarbeitete sie zu einer grotesken Allegorie mit hasenköpfigen Gestalten. Überhaupt ziehen sich Tier-Darstellungen wie ein Leitmotiv durch ihr Werk. Etwa in der Serie „Girl and Dog“ oder in Pastellen mit sprechenden Titeln wie „Red Monkey Beats his Wife“ oder „Wife Cuts Red Monkey’s Tail“; sie verleihen dem Geschlechterkampf bildgewaltigen Ausdruck, der über die Tagesaktualität hinausgeht.

 

So auch bei ihrem Bilder-Zyklus zum Thema Abtreibung; sie selbst hat in ihrer Wahlheimat mehrere solcher Eingriffe durchführen lassen. Nachdem in Portugal ein erstes Referendum 1998 zur Legalisierung von Schwangerschafts-Abbrüchen knapp gescheitert war, schuf Rego eine Reihe von Pastellen und Radierungen, die auf die lebensbedrohlichen Folgen von illegalen Eingriffen aufmerksam machten. Dabei soll die Wucht von Bildern wie „Scarecrow and the Pig“ („Vogelscheuche und Schwein“, 2005), das eine gekreuzigte Frau mit dem Kopf einer Kuh zeigt, mitgeholfen haben, die öffentliche Meinung in Portugal bis zur folgenden Abstimmung 2007 zu verändern.

 

Doch auch wenn sie scheinbar ganz harmlose Sujets zur Illustration von Märchen aufgreift, etwa Schneewittchen oder Pinocchio, spürt sie darin enthaltene, subtile Machtspiele auf. Die verarbeitet sie zu suggestiven Erzählungen, die lange nachwirken – getreu ihrem Motto: „My favourite themes are power games and hierarchies.“