Daniel Craig

Queer

Eugene Allerton (Drew Starkey) und William Lee (Daniel Craig) kommen sich langsam näher. Foto: © A24
(Kinostart: 2.1.) Schnaps, Heroin und Ayahuasca: In seiner Verfilmung einer Novelle von Beat-Skandalautor William S. Burroughs schickt Regisseur Luca Guadagnino einen zerknitterten Daniel Craig auf eine drogenlastige Antihelden-Reise voller ästhetischer Brüche. Das gelingt mal mehr, mal weniger.

Mexiko-Stadt im Jahr 1950: Hier versteckt sich der US-Amerikaner William Lee (Daniel Craig) vor der Justiz in seiner Heimat. Ein Tag verschwimmt mit dem nächsten in einem Nebel aus Zigaretten, Heroin und Schnaps. Mit anderen schwulen Expats hängt Lee in Bars herum, gelegentlich leistet er sich ein Treffen mit einem Stricher. Meistens ist der zerknittert wirkende Schriftsteller jedoch allein mit sich selbst. Kreativ zu nutzen weiß er seine Einsamkeit nicht – seine Schreibmaschine taugt allenfalls als Deko-Element.

 

Info

 

Queer

 

Regie: Luca Guadagnino,

135 Min.,  Italien/ USA 2024;

mit: Daniel Craig, Drew Starkey, Lesley Manville

 

Weitere Informationen zum Film

 

So beginnt Luca Guadagninos ambitionierte Verfilmung von William S. Burroughs’ autofiktionaler Novelle „Queer“. Diese entstand zwischen 1953 und 1955 als Erweiterung von Burroughs‘ Debütromans „Junkie“, während er in Mexiko auf seinen Gerichtsprozess wartete. Im Vollrausch hatte der angehende Schriftsteller, der später zu einer Ikone der Beat Generation werden sollte, seine Frau Joan Vollmer erschossen.  Sobald ein Verlag für „Junkie“ gefunden war, verlor Burroughs jedoch das Interesse an „Queer“. Erst 1985 wurde die Novelle veröffentlicht.

 

Craigs schweißgetränkte Solo-Show

 

Die erste Hälfte der Adaption ist eine eindrucksvolle, schweißgetränkte One-Man-Show von Daniel Craig. Der lässt mit dieser Persönlichkeitsstudie eines einsamen Mannes komplett vergessen, dass er 15 Jahre lang in fünf Filmen den Actionhelden James Bond verkörperte. Ebenfalls beträchtlich ist der Kontrast zu den erfolgreichsten Arbeiten des italienischen Regisseurs, etwa der sommerlich schwülen Coming-Of-Age-Romanze „Call me by your Name“ (2017) und der Tennis-Dramödie „Challengers – Rivalen“ (2024).

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Dandy beim Hahnenkampf

 

Bei „Queer“ setzt Guadagnino weniger auf atmosphärische Kohärenz als auf ästhetische Brüche – und die funktionieren mal besser, mal weniger gut. Zunächst irritiert, dass die mexikanische Hauptstadt mit seltsam sauberer Dörflichkeit inszeniert wird, und ausgerechnet in dieser steril wirkenden Atmosphäre sich Lees rohe Körperlichkeit entfalten soll. So machohaft und zugleich fragil Craig seine Figur auch spielt – in dieser spielzeughaften Kulisse bleibt sie ein Fremdkörper. Da gelang Regisseur David Cronenberg 1991 in seiner Burroughs-Verfilmung „Naked Lunch“ ein wesentlich packenderes Alptraum-Amalgam.

 

Vielleicht hat Guadagnino derartige Verfremdungsmomente beabsichtigt, doch sie bremsen den Erzählfluss immer wieder aus. Als atmosphärisch überraschend stimmig erweist sich dagegen der anachronistische Soundtrack. So flaniert Lee dandyesk, aber mit extrabreiter Brust zu „Come As You Are“ (1992) von der Grunge-Band „Nirvana“ durch die Straßen und begegnet erstmals dem Schönling Eugene Allerton (Drew Starkey) – ausgerechnet beim Hahnenkampf.

 

Auf der Suche nach Yagé

 

Lee ist Allerton im Nu verfallen. Der spielt jedoch, scheinbar unbeteiligt, ein Katz-und-Maus-Spiel mit ihm, behält dabei stets die Oberhand und lässt sich zudem von ihm aushalten. Nach der ersten gemeinsamen Nacht ignoriert er demonstrativ seinen zunehmend obsessiven Gönner, lässt sich aber dann doch von ihm überreden, mit nach Südamerika zu reisen.

 

Lee interessiert sich nämlich neuerdings sehr für Telepathie – vielleicht, weil er allzu gerne in Allertons Kopf schauen würde. Dem psychoaktiven Sud Yagé, hierzulande als Ayahuasca bekannt, eilt der Ruf voraus, derartige Potenziale freizusetzen. In der Hoffnung, dort an den Trank heranzukommen, reist Lee mit Allerton in den Regenwald von Ecuador.

 

Der transzendentale Kern des Films

 

Die Frage „Are you queer?“, auf die Lee nicht zuletzt von Allerton gerne eine Antwort hätte, zieht sich als roter Faden durch das surreale Drama  – mal an das Gegenüber gerichtet, mal als Selbstbefragung. Zweimal folgt darauf eine Antwort, die vielleicht das Zentrum dieses Films bildet: „I am not queer. I am disembodied!“ Letzteres lässt sich als „entkörperlicht“ oder „körperlos“ übersetzen, „queer“ dagegen bedeutet im ursprünglichen Wortsinn „seltsam, eigenartig“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Challengers – Rivalen" – clever doppelbödige Tennisprofi-Dramödie von Luca Guadagnino

 

und hier eine Besprechung des Films "Naked Lunch" – surreale Alptraum-Verfilmung des Skandalromans von William S. Burroughs von David Cronenberg

 

und hier einen Bericht über den Film "Call me by your Name" – betörend stimmungsvolles Coming-Out-Drama von Luca Guadagnino

 

und hier einen Beitrag über den Film "William S. Burroughs: A Man Within" – Doku über den drogensüchtigen Literaten von Yony Leyser.

 

Darin klingt die transzendentale Sehnsucht durch, die Grenzen der menschlichen Körperlichkeit zu überwinden. Das erste Mal gibt Lee die Antwort sich selbst, in einem Heroin-Traum; das zweite Mal kommt sie aus Allertons Mund, als die beiden im Dschungel ihren Ayahuasca-Rausch durchleben. Der erweist sich als Mischung aus orgiastischer Verschmelzung und surrealem Body-Horror. Anders als in der Romanvorlage ist ihre Suche nach dem Elixier nämlich von Erfolg gekrönt.

 

Stockender Erzählfluss, wenig Chemie

 

„Queer“ beginnt als Psychogramm eines gestrandeten Einzelgängers und wird dann zum Road Movie; auf der Zielgeraden wähnt man sich plötzlich in einem psychedelisch bebilderten, abgründigen David-Lynch-Film. Dem folgt ein elegischer Epilog. Es steckt also selbst in dieser fürs Kino gekürzten Fassung – offenbar gibt es noch eine mehr als drei Stunden lange Version – eine Menge Stoff.

 

Doch der Sog gerät immer wieder ins Stocken – auch weil die behauptete Chemie zwischen Lee und Allerton sich kaum auf die Leinwand überträgt: Drew Starkey gibt einen glatten Schönling, womit er uninteressant bleibt. Doch zumindest hat Guadagnino das eindrucksvolle Porträt eines Mannes geschaffen, der seine tief empfundene Isolation überwinden will – und daran scheitert.