Mohammad Rasoulof

Die Saat des heiligen Feigenbaums

Najmeh (Soheila Golestani,, mi.) tröstet ihre beiden Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki). Foto: Alamode Film
(Kinostart: 26.12.) Deutschlands Kandidat für den Auslands-Oscar: Ein Staatsanwalt im Iran macht Karriere, legt alle Skrupel ab – und zerstört durch Misstrauen seine Familie. Regisseur Mohammad Rasoulof seziert unbestechlich die Verheerungen einer Diktatur bei den Tätern; als makellos fesselndes Psychodrama.

Unter den oppositionellen iranischen Regisseuren ist Mohammad Rasoulof wohl der einzige, dessen Filme nicht nur die Opfer des Regimes porträtieren, sondern auch die Täter. Unbarmherzig beleuchtet er, welche Verheerungen Gewalt und Willkür ebenso in ihrem Leben anrichten. „Manuscripts don’t burn“ (2013) beobachtete zwei Folterknechte bei ihrem blutigen Tun. Der Berlinale-Siegerfilm 2020 „Doch das Böse gibt es nicht“ kontrastierte zwei Henker, die Todesstrafen vollstreckten, mit zwei Männern, die das ablehnten – und dafür einen hohen Preis zahlten.

 

Info

 

Die Saat des heiligen Feigenbaums 

 

Regie: Mohammad Rasoulof,

167 Min., Iran/ Deutschland/ Frankreich 2024;

mit: Misagh Zareh, Soheila Golestani, Mahsa Rostami

 

Weitere Informationen zum Film

 

Einen noch höheren Preis zahlt Iman (Misagh Zareh), die Hauptfigur von Rasoulofs neuem Film: Er zerstört seine ganze Familie. Dabei scheint der Staatsanwalt zu Beginn am Ziel seiner Wünsche zu sein: Er wird zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgerichtshof befördert. Ihm winken nicht nur bessere Bezüge, sondern auch die Aussicht auf zusätzliche Privilegien, sobald er weiter zum Richter aufsteigt. Kein Wunder, dass seine Frau Najmeh (Soheila Golestani), die sich hingebungsvoll um den Haushalt und die beiden Töchter kümmert, mächtig stolz auf ihn ist.

 

Todesurteile ohne Prüfung

 

Als Symbol für seinen Aufstieg bekommt Iman eine Dienstwaffe ausgehändigt; um sich und seine Familie zu schützen, heißt es. Das könnte bald nötig werden: Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam wird im September 2022 landesweit demonstriert. Obwohl paramilitärische Milizen brutal dagegen vorgehen, weiten sich die Proteste zu Unruhen aus; Tausende von Demonstranten werden festgenommen. Unversehens soll Iman ohne Prüfung etliche Todesurteile unterschreiben. Erst zögert er, weil das seinem Berufsethos widerspricht, dann fügt er sich.

Offizieller Filmtrailer


 

Wie verschwand die Dienstwaffe?

 

Währenddessen geraten seine Töchter in den Strudel der Ereignisse. Mutters Ermahnungen, sie müssten sich angesichts von Vaters neuem Posten noch sittsamer verhalten als bisher, fruchten nichts. Die 20-jährige Rezvan (Mahsa Rostami) und ihre jüngere Schwester Sana (Setareh Maleki) sind schockiert von den Videoclips voller Gewalt, die sie in den Sozialen Medien finden; solche Original-Bilder montiert Rasoulof in seinen Film. Dann wird Rezvans beste Freundin bei einer Demo schwer verletzt: Eine Ladung Schrot trifft sie im Gesicht. Najmeh und ihre Töchter leisten Erste Hilfe, doch Vater darf davon nichts erfahren.

 

Die Heimlichtuerei eskaliert, als seine Dienstwaffe verschwindet. Er hat sie in die Nachttisch-Schublade gelegt, da ist er ganz sicher – aber nun ist sie weg. Also muss eine der drei Frauen sie entwendet haben, doch alle streiten das ab. Der Vorfall wiegt schwer: Würde die Sache publik, wäre nicht nur Imans Ruf unter den Kollegen ruiniert; er riskiert auch bis zu drei Jahre Gefängnis. Der seelische Druck, der auf ihm lastet, macht ihn misstrauisch bis zur Paranoia: Erst nötigt er Mutter und Töchter zum Verhör bei einem befreundeten Spezialisten. Als das ergebnislos bleibt, karrt er sie zum verwaisten Landhaus seines Vaters, womit er eine Katastrophe heraufbeschwört.

 

Heuchelei gebiert Ungeheuer

 

Fesselnd an dieser Höllenfahrt ist, wie geschmeidig sie geschieht. Frühere Filme von Rasoulof knirschten stellenweise in ihrer Konstruktion; diesmal wirkt alles wie aus einem Guss. Anfangs erscheint das Quartett wie eine wohlhabende Vorzeigefamilie: Alles picobello und an seinem Platz, Mama hat mit der richtigen Mischung aus Gefühl und Härte ihre Kinder im Griff, alle erweisen dem erfolgreichen Papa Respekt. Doch in dem Maße, in dem er sich die Finger schmutzig macht und dabei allmählich seine Skrupel verliert, erodiert seine Autorität. Bis ihm seiner Tochter vorwirft, Erfüllungsgehilfe bei Verbrechen zu sein: „Du steckst zu tief drin. Du willst es um jeden Preis erhalten.“

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Doch das Böse gibt es nicht" – Berlinale-Gewinnerfilm 2020 von Mohammad Rasoulof

 

und hier eine Besprechung des Films "A Man of Integrity – Kampf um die Würde" – komplexes Korruptions-Drama von Mohammad Rasoulof

 

und hier einen Bericht über den Film "Manuscripts don’t burn" – lakonische Parabel über Geheimdienst-Morde im Iran von Mohammad Rasoulof

 

und hier das Interview “Filme im Gefängnis machen” mit Regisseur Mohammad Rasoulof über seinen Film “Good Bye“, eine Auswanderungs-Parabel in Teheran

 

und hier einen Bericht über den Film “Jahreszeit des Nashorns” – brilliantes Polit-Psychodrama über Exil-Iraner in der Türkei von Bahman Ghobadi.

 

Die Heile-Welt-Illusion lässt sich auch bei Profiteuren des Systems nicht aufrechterhalten, das Verdrängte bricht in sie ein – hier in Form von verwackelten Handy-Videos, die kaum zensiert werden können. Diese Überzeugung von der Unvermeidlichkeit der Wahrheit teilt Rasoulof mit seinem Vorbild Ingmar Bergman. An die Psychodramen des schwedischen Regisseurs erinnert auch der Aufbau des Films: Geschliffene Dialoge treiben unmerklich, aber unerbittlich die Handlung voran. Ein gepflegt bürgerliches Setting verwandelt sich in klaustrophobische Enge. Heuchelei gebiert Ungeheuer – selbst bei ursprünglich besten Absichten.

 

Flucht nach Festival-Nominierung

 

Dass sich dieses Kammerspiel meist in einer Wohnung abspielt, mit nur wenigen Außenaufnahmen, liegt an den Zwängen, unter denen Rasoulof und seine Crew standen: Die Dreharbeiten liefen illegal und geheim ab. Im Anbetracht solcher Bedingungen beeindruckt umso mehr, wie prägnant vor allem die drei weiblichen Schauspielerinnen agieren. Sie wurden indes wie das übrige Team von den Behörden unter Druck gesetzt, nachdem der Film zum Festival in Cannes eingeladen worden war. Rasoulof, der schon mehrere Reiseverbote, Verurteilungen und Inhaftierungen erlebt hatte, sah sich gezwungen, aus dem Iran zu fliehen – wie mehrere Team-Mitglieder.

 

In Cannes erhielt sein Film den Spezialpreis der Jury. Eine weitere hohe Auszeichnung könnte folgen: Da eine Hamburger Firma ihn federführend produziert hat, gilt er formal betrachtet als deutsche Produktion. Und die hiesigen Gremien haben ihn zu Deutschlands Kandidaten für den Oscar für den besten internationalen Film gekürt. Auch wenn seine Chancen eher schlecht stehen dürften, weil erst vor zwei Jahren der deutsche Film „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger den Auslands-Oscar gewonnen hat: „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist der inhaltlich relevanteste Anwärter seit langem.