„THE hidden LÄND“ als Ausstellungsname ist so um die Ecke gedacht, dass ihn allenfalls Bewohner von Baden-Württemberg (BaWü) verstehen können. Für alle anderen: „Ländle“ lautet die liebevolle Bezeichnung der Schwaben und Badener für ihre Heimat. Das „Referat Landesmarketing“ im Staatsministerium hat sie von einer polyglotten PR-Agentur zu „The Länd“ anglo-verballhornen lassen; die gleichnamige Website erklärt der übrigen Welt, wie toll das Ländle ist. Auf dort im Boden verborgene Schätze bezieht sich nun „THE hidden LÄND“: Alles klar?
Info
THE hidden LÄND –
Wir im ersten Jahrtausend
13.09.2024 - 26.01.2025
täglich außer montags 10 bis 17 Uhr,
donnerstags bis 19 Uhr
im Kunstgebäude, Schloßplatz 2, Stuttgart
Begleitband 29 €
1600 Exponate aus fünf Fundorten
Zumal sich die Schau auf fünf Ausgrabungsorte beschränkt. Jeder von ihnen steht nicht nur für einen Zeitraum von 200 Jahren, sondern auch für ein abstraktes Mega-Thema: von Integration über Migration, Kommunikation und Spiritualität bis zu Macht. Fünf Orte für 1000 Jahre – die magere Zahl der Abschnitte soll wohl durch eine Überfülle an Exponaten ausgeglichen werden: insgesamt 1600 Stücke, darunter viel Kleinteiliges. Eindrucksvolle Objekte sind manchmal Leihgaben aus der Welt außerhalb von Baden-Württemberg.
Impressionen der Ausstellung
Lichteffekte verbreiten Budenzauber
Wobei die Mehrzahl – etwa Tonscherben, Speerspitzen und Grabbeigaben – eher bescheidenen Reiz aufweist, wie meist bei Archäologie-Präsentationen. Was eine Ausstellungs-Architektur wettmachen soll, deren Opulenz zum Standort von Mercedes-Benz und Porsche passt. Das Kunstgebäude wurde in vier Räume unterteilt; in jedem hat man eine „Zentralinstallation“ errichtet. Um sie herum sind „Zentralinstallations-Vitrinen“ gruppiert, weiter weg „Vertiefungsvitrinen“ aufgebaut. Lichteffekte verbreiten Budenzauber; etwa einen lodernden Scheiterhaufen; einen Kirchenbau, dessen Umrisse alle paar Minuten wie ein Bannstrahl aufleuchten, oder unter der Decke schwebende Verstorbene, die Gespenstern ähneln.
Doch der ganze Aufwand kommt dem grundsätzlichen Missverhältnis nicht bei: Die Ausstellung will einen riesigen Zeitraum beleuchten – aber ausschließlich mithilfe von Ausgrabungsfunden. Sie verzichtet sogar auf alle üblichen Hilfsmittel, um Entwicklungen in einer derart langen Epoche zu veranschaulichen: Zeitstrahl, Schautafeln, Illustrationen oder rekonstruierte Modelle. Stattdessen nutzt sie nur zwei Vermittlungsformen: Kurze Einführungstexte, die pauschal bis trivial ausfallen, und Erklärtafeln zu Exponaten, deren detailgesättigte Fülle die meisten Besucher ermüden dürfte.
Bemühte bis abseitige Zentralbegriffe
In diesem Oszillieren zwischen Vogel- und Froschperspektive geht jede Orientierung verloren. Kaum wird deutlich, dass jeder Fundort exemplarisch zwei Jahrhunderte repräsentiert. Auch die Zuordnung von Zentralbegriffen wirkt bemüht bis abseitig: So sollen Bestattungsbräuche und Grabbeigaben „spezifische Mittel sozialer Kommunikation“ sein. Einerseits sind sie das natürlich, wie jedes Verhalten von Individuen in Gruppen: Man kann nicht nicht kommunizieren. Andererseits belegen üppig ausgebreitete Funde aus dem Gräberfeld von Lauchheim-Wasserfurche höchstens, wie dort Menschen im 5. bis 7. Jahrhundert bestattet wurden – aber kaum, wie sie gelebt haben.
Dabei bietet die Schau durchaus herausragende Prunkstücke auf; bloß gehen sie in der Exponate-Masse beinahe unter. Etwa die besterhaltene Leier aus Europas Frühmittelalter – die Grabbeigabe von 480 n. Chr. wurde 2001 in Trossingen entdeckt: Auf dem Korpus des Instruments ist eine rätselhafte Zeremonie eingeritzt, bei der sich zwei Kriegerreihen um eine Lanze gegenüberstehen. Dass ihr einstiger Besitzer „zu einer Bevölkerungsschicht gehörte, die einen gehobenen, adeligen Lebensstil pflegte“, versteht sich.
Römische Tür mit 54 Bronze-Beschlägen
Von beachtlichem Reichtum zeugen auch mit punziertem Goldblech verkleidete Reliquienbehälter wie derjenige aus Heroldstatt-Ennabeuren: In einem solchen Bursenreliquiar konnten Wandermönche und Klostergründer sterbliche Überreste von Heiligen mit sich führen. Zur Entstehung und Bedeutung des Reliquienkults, der das frühe Christentum enorm prägte, fällt den Ausstellungsmachern aber nur ein Satz ein: „Die Heiligen wirken über ihre Überreste in die irdische Welt hinein und schaffen eine besondere Nähe zu Gott.“
Am eindrucksvollsten wirken die 54 Bronze-Beschläge einer Monumentaltür aus römischer Zeit, die 1973 in Ladenburg entdeckt wurden. Hochkant montiert, beeindruckt ihre feine Ausarbeitung noch heute, etwa bei Löwenköpfen, vollplastischen Göttinnen-Büsten und so genannten „Seeleoparden“ – die mythischen Mischwesen dienten als Türgriffe. Heute zwischen Mannheim und Heidelberg gelegen, war Ladenburg in der Antike als Lopodunum der Zentralort der römischen Verwaltungseinheit Civitas Ulpia Sueborum Nicrensium.
Völkerwanderung als modernes Märchen
Sie war nach den Neckarsueben benannt, einer Untergruppe des germanischen Stammes der Sueben – waren sie die antiken Vorfahren der Schwaben? Diese im Ländle brennend interessierende Frage streift die Schau nur beiläufig. Zwar ist auf einem römischen Grabstein aus Offenburg von einem „princeps sueborum“ die Rede, also einem „Anführer der Sueben“. Und ein Prunkkessel aus einem germanischen Fürstengrab, den die Kuratoren aus der Westukraine herbeischaffen ließen, ist mit Männerköpfen verziert, die seitliche Haarknoten tragen: so genannte Sueben-Knoten.
Doch antike Schriftquellen lokalisieren die Sueben mal hier, mal dort in Mitteleuropa. Erst ab dem 6. Jh. werden Siedler in Südwestdeutschland als Sueben und Alamannen bezeichnet; so schildert es Wikipedia. Die Ausstellung widmet dem Sujet keinen Abschnitt; selbst der geläufige Begriff „Völkerwanderung“ kommt nicht vor. Nur im Katalog wird er als „modernes Märchen“ abgetan: „Lineare Wanderungen größerer, zusammenhängender Verbände über längere Zeiträume hin sind nicht nachweisbar. Wir müssen uns Migrationsbewegungen weitaus komplexer, häufig auch kleinschrittiger vorstellen als bislang geschehen.“ Wäre diese Schau nicht der ideale Schauplatz, um solche Einsichten dem breiten Publikum nahe zu bringen?
200 Jahre Gütesiegel für Schwerter
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Der Untergang des Römischen Reiches" – hervorragende Themen-Schau in drei Museen in Trier
und hier eine Besprechung der Ausstellung "CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter" – opulente Überblicks-Schau in drei Museen in Paderborn
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Karl der Große: Macht − Kunst − Schätze" − dreiteilige Mammutschau über das Antike-Recycling der Karolinger in Aachen
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Schätze des Glaubens" mit Meisterwerken mittelalterlicher Sakralkunst im Bode-Museum, Berlin.
Erstklassige Exemplare tragen manchmal den Schriftzug „+ULFBERH+T“ – dieses ‚Gütesiegel‘ wurde mehr als 200 Jahre lang verwendet und findet sich auf Schwertern von Island bis zur Ukraine. War „Ulfberth“ ein berühmter Schmied oder Leiter angesehener Werkstätten? Dieser Frage nachgehend, könnte man sie zu einer kleinen Sonderschau über europaweiten Waffenexport im Frühmittelalter ausbauen – und damit die überraschend weitreichenden Handelsbeziehungen in dieser vermeintlich dunklen Epoche darstellen.
Schau klebt an Fundstellen
Doch dafür müsste man die Ausstellung entlang von lebensnahen Themen konzipieren, anstatt an Fundstellen und dort verscharrten Kleinteilen zu kleben. Was Archäologen oft misslingt: Sie hangeln sich von einem Ausgrabungsort zum nächsten, beschreiben sie detailverliebt und ignorieren dabei Vorwissen und Erwartungshorizont des Publikums. Da hilft auch keine verschwenderische Inszenierung – es bleibt eine verpasste Gelegenheit.