
Eine Powerfrau wie aus dem Karriere-Ratgeber: Romy (Nicole Kidman) hat alles im Griff. Sie ist Chefin eines erfolgreichen Robotik-Unternehmens und seit 19 Jahren glücklich mit dem Theaterregisseur Jacob (Antonio Banderas) verheiratet. Auch zu ihren beiden Töchtern hat sie trotz deren Pubertätswirren immer noch einen guten Draht. Was sie vermisst, ist erotische Erfüllung: Romy sehnt sich danach, beim Sex die Kontrolle abzugeben.
Info
Babygirl
Regie: Halina Reijn,
114 Min., Niederlande/ USA 2024;
mit: Nicole Kidman, Antonio Banderas, Harris Dickinson
Weitere Informationen zum Film
Beste Darstellerin in Venedig
Der selbstsichere Beau wittert Romys Verlangen und sucht zielstrebig ihre Nähe. Anfangs leistet sie Widerstand, dann gibt sie den allmählich auf, und das Unvermeidliche passiert: Die beiden treffen sich in einem Hotelzimmer und beginnen, ihre Fantasien umzusetzen. Bis dahin legt der Film ein flottes Tempo vor. „Babygirl“ beginnt vielversprechend mit einer originellen Schnittfolge, einer ungewöhnlichen Figurenkonstellation und einer furiosen Nicole Kidman, die dafür beim Festival in Venedig als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde.
Offizieller Filmtrailer
Erotik-Filme aus Frauen-Sicht
Dass zudem das Begehren einer reifen Frau im Mittelpunkt steht, ist ebenso positiv. Lange genug haben sich Filmemacher vor allem für Orgasmen junger Frauen interessiert – und kamen sich dabei womöglich wie Feministen vor. Mittlerweile haben Regisseurinnen wie die Neuseeländerin Jane Campion („In the Cut“, 2003) und die Französin Catherine Breillat („Romance XXX“, 1999) anspruchsvolle erotische Filme aus dezidiert weiblicher Sicht etabliert.
Nun hat die experimentierfreudige US-Produktionsfirma A24 dafür die niederländische Regisseurin Halina Reijn engagiert, die bislang vor allem als Schauspielerin tätig war; ihre Debüt-Regiearbeit „Instinct – Gefährliche Begierde“ (2019) ist gleichfalls ein Erotik-Thriller. Dass auch in „Babygirl“ die Sex-Szenen so realistisch wie einfühlsam erscheinen, mag am Mitwirken eines dafür engagierten Intimitätskoordinators liegen. Jedenfalls sind sie integraler Teil der Handlung, und nicht wie häufig Selbstzweck.
Amour fou am Arbeitsplatz
Allerdings erschöpfen sich darin auch die Qualitäten des Films. Sobald das ungleiche Paar zueinander findet, wird die ohnehin recht konstruiert wirkende Story unter den eigenen Ambitionen begraben. Einerseits hat die Regisseurin ihrer Hauptfigur ein paar autobiografische Züge verliehen, etwa eine Kindheit in einer New-Age-Sekte – was für die Handlung jedoch unerheblich bleibt.
Dagegen wird aus Romys Suche nach neuen sexuellen Erfahrungen eine Amour fou am Arbeitsplatz: Natürlich verletzen sie und ihr Liebhaber sämtliche Compliance-Regeln ihrer eigenen Firma, wobei sie weit mehr zu verlieren hat als er – was Reijn genüsslich ausspielt. Schließlich beginnt der forsche Jungmann sie ohne erkennbares Motiv zu erpressen, was ihn arg widersprüchlich erscheinen lässt. Im Gegensatz zu Romy, die ihre Wunschträume auslebt, weiß er offenbar gar nicht, was er mit seiner Macht über sie anfangen will.
Berauscht vom Alphamann-Auftreten
Einerseits tritt er fast selbstironisch auf, andererseits bringt sie mit übergriffigem Werben immer wieder in Verlegenheit. Während Romys Gefühlswelten immer deutlicher zum Ausdruck kommen, bleibt sein Charakter im Dunkeln, wie bei einer klassischen femme fatale. Das macht ihn fast zur interessanteren, weil mysteriöseren Figur, doch die Spannung verpufft bald: Offenbar ist er einfach nur berauscht von den eigenen Alphamann-Fähigkeiten.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Meine Stunden mit Leo" – Sittenkomödie über ältere Frau, die jungen Callboy engagiert von Sophie Hyde mit Emma Thompson
und hier eine Besprechung des Films "Zimmer 212 - In einer magischen Nacht" – musikalische Tragikomödie über Ehebrecherin, die junge Liebhaber bevorzugt, von Christophe Honoré mit Chiara Mastroianni
und hier einen Bericht über den Film "Traumnovelle" – Neuverfilmung der Erzählung von Artur Schnitzler durch Florian Frerichs mit Nikolai Kinski
und hier einen Beitrag über den Film "Fifty Shades of Grey" – hochglanzpolierte SM-Romanze von Sam Taylor-Johnson mit Dakota Johnson.
Jobwechsel als Antiklimax
So zählt zu Romys geheimen Wünschen offenbar auch das Risiko, ihre großbürgerliche Existenz aufs Spiel zu setzen. Das mag erklären, warum bei ihr alle Sicherungen durchbrennen, aber es erschwert zunehmend die Identifikation oder Empathie mit ihr. Eher bekommt man Mitleid mit ihrem Ehemann Jacob, der sich angesichts seiner Besonnenheit und seines Verantwortungsbewusstseins als reifster Akteur entpuppt.
Das Ende läuft auf einen recht simplen Antiklimax hinaus: Nach einer lustlosen Prügelei zwischen den beiden Männern löst sich das Problem von selbst, weil Samuel einen neuen Job in Tokio annimmt. Wie in Artur Schnitzlers „Traumnovelle“ finden sich die Eheleute dort wieder, wo sie angefangen haben. Nur kann Romy jetzt, dank schöner Erinnerungen, auch beim Sex mit Jacob kommen. Nach einem so verheißungsvollen Vorspiel ist dieses Finale ziemlich unbefriedigend.