
Dieses Ausstellungsplakat geizt nicht mit Reizen: Pralle Formen schwellen, rosiges Pink trifft auf leuchtendes Orange. Sind das noch Blüten, schon Früchte oder vielmehr menschliche Geschlechtsorgane in prickelnder Androgynität? Das poppige Motiv kitzelt unverblümt die Lust an der Vieldeutigkeit pflanzenhafter Formen: Sex sells, keine Frage.
Info
Böse Blumen
12.12.2024 - 04.05.2025
mittwochs - sonntags 11 bis 18 Uhr
in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schloßstr. 70, Berlin
Katalog 38 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Gut durchgejätetes Kunstbiotop
Das verspricht wohlig-gruseliges Lustwandeln durch Abgründe der menschlichen Phantasie. Allerdings zeigt sich rasch: das Überbordende, Ungezähmte, Rauschhafte und manchmal ins Ekelhafte Abdriftende der literarischen Vorlage wird hier hübsch ordentlich in Kabinette sortiert und von Eros bis Kitsch etikettiert. Den Besucher erwarten keine Irrgärten im Dschungel der Leidenschaften, sondern ein Beet für Beet gut durchgejätetes Kunstbiotop. Aber die Idee zu dieser Schau ist außergewöhnlich; erstaunlich, dass bislang kein anderes Museum darauf gekommen ist.
Impressionen der Ausstellung
Formstrenge Lyrik + radikale Tabulosigkeit
Skandal! Als der 36-jährige Charles Baudelaire, der sich zuvor als Kunstkritiker einen Namen gemacht hatte, 1857 die unbebilderte Erstausgabe seiner Sammlung von zunächst 100 Gedichten drucken ließ, handelte er sich prompt ein Verbot wegen „Beleidigung der öffentlichen Moral“ ein. Auf dem Index landeten insbesondere sechs Gedichte mit sexuell offenherzigen Schilderungen etwa der lesbischen Liebe.
Wenig später erschien eine erweiterte Zweitausgabe in Brüssel, wo auch der syphiliskranke, stets verschuldete Autor inzwischen lebte. Der wüste Mix aus formstrenger Lyrik und radikaler Tabulosigkeit wurde ein Meilenstein der Moderne. Das Buch selbst ist in der Ausstellung allerdings nicht vertreten; Gedichtzeilen werden auch nicht zitiert. Mit Grund: Die meisten Künstlerinnen und Künstler, die sich davon inspirieren ließen, dürften die ausschweifenden Reime und rätselhaften Inhalte kaum en détail studiert haben – ebensowenig wie viele Besucher.
Symbol-Motivgewirr des Titelbilds
Es war vor allem der geniale Titel von Baudelaires Erstlingswerk, der Wirkung entfaltete. Zahlreiche ausgestellte Arbeiten greifen ihn wörtlich auf. Die gängige deutsche Übersetzung „Blumen des Bösen“ verengt den Sinn: „Fleurs“ bedeutet nicht nur Blumen, sondern auch Blüten. „Mal“ umfasst ebenso das Leiden oder Übel, eben die ganze Malaise unseres Daseins.
Den ersten Entwurf für ein Titelbild, der in der Schau zu sehen ist, schuf Félix Bracquemond; doch Baudelaire lehnte ihn als lächerlich ab. Als zweiter versuchte sich der Belgier Félicien Rops, ein Fachmann für morbide Erotik, an dieser Aufgabe. Sein mit Symbolen gespicktes Motivgewirr verrät vor allem, wie tief Autor und Illustrator noch in der traditionellen Bildsprache des 19. Jahrhunderts verwurzelt waren.
Schwarzes Blumen-Heer im Stroboskoplicht
Ein verrotteter Baumstamm soll das Laster der Faulheit verkörpern, darum herum wucherndes Knabenkraut die Wollust. Hoch oben trägt eine schwarze Schimäre ein Medaillon mit Baudelaires Bildnis in den Himmel. All das wirkt auf heutige Betrachter reichlich überladen und verschmockt. Erst posthum und mit einiger Verspätung begann das künstlerische Nachleben des Buches zu wuchern und Sprösslinge zu treiben.
In einem stockfinsteren Raum springt ohrenbetäubend tosend ein Gebläse an. Ein Dutzend pechschwarzer Blumen richten sich auf, jede groß wie ein Mensch. Spitz wie Waffen erscheinen die tulpenhaften Blüten im plötzlich einsetzenden Stroboskoplicht – und schon sinken diese „Fleurs du Mal“ von 1969 wieder schlaff herab. Das mechanische Ballett stammt von Otto Piene, bekannt als abstrakter Lichtkünstler der Gruppe ZERO.
Allianz von Gutem + Schönem wird aufgekündigt
Nicht jede der ausgestellten Arbeiten macht Unheimliches und Böses tatsächlich spürbar. Die ausgedörrten Baumwollpflanzen, welche die türkische Künstlerin Fatoş Irwen mit Menschenhaar-Knäueln bestückt und in echte Erde steckt, wirken eher harmlos. Hier in der Sektion „Blumen des Grauens“ sind vorwiegend Videoarbeiten vertreten; was sie mit Baudelaire zu tun haben sollen, bleibt ziemlich unklar.
Bei ihm lässt sich nachlesen, wie Gewaltexzesse seine Phantasie beflügelten, nicht weniger als rauschhaftes Imaginieren von Sexualität. Er kündigte damit die klassische Allianz des Guten mit dem Schönen auf, die seit jeher für die Künste gegolten hatten. Damit wurde auch Unbewusstes kunstfähig und -würdig. Der Symbolist Odilon Redon war einer der ersten, der sich vom Traumhaften und Uneindeutigen der literarischen Vorlage anregen ließ.
Französisches Stillleben verweist auf Verfall
Der Franzose zeichnete um 1890 ein zartes, traumverlorenes Mädchengesicht mit Blumenbouquet, betitelt „Fleur du Mal“. Nichts, aber auch gar nichts Böses liegt darin. Gerade das machte Arnulf Rainer knapp 100 Jahre später offenbar aggressiv: er traktierte mit brutalen, blutroten Strichen ein Foto des Originals und machte es zum Opfer gezielter Zerstörungswut.
Weit subtiler zeigt sich das Umschlagen von Schönheit in Bosheit im Genre des Stilllebens schon im 17. Jahrhundert. Etwa bei der naturgetreuen Ansicht einer Sellerieknolle mit daran nagenden Insekten vor nachtschwarzem Grund, gemalt von Barbara Regina Dietsch. Stilleben heißen auf Französisch „Nature Morte“; schon diese Gattungsbezeichnung verweist auf Verfall und Verderben – schnell verwelkendes Blüten- und Blattwerk ist ja seinem Tode immer schon nah. Giftige Blüten, unheilschwangere Vegetation in modernerem Stil bietet die Berliner Dadaistin Hannah Höch, die am Stadtrand von Berlin ihren eigenen wuchernden Hausgarten anlegte.
Steinerne Gärten des Grauens
Wer selber gärtnert, weiß: Nicht jede Pflanze mag man im Garten haben. Und schnell schlägt das Beherrschenwollen der Kreatur ins Lebensfeindliche um. Der Fotokünstler Ulf Soltau dokumentiert mit Witz die pflegeleicht versiegelten Stein- und Schotter-Vorgärten in Deutschlands Vorstädten als „Gärten des Grauens“. Kein Grashalm in der Ritze? Zum Glück siegt der Eigensinn der Natur: Neben dem spießigen Eigenheim triumphiert eine phallusartige Konifere mit hodenförmigen Gebüschen.
Beim pflanzenhafter Erotika läuft die Ausstellung zu Hochform auf. Die augenfällige Formverwandtschaft von Orchideen – und nicht nur ihnen – mit der Anatomie menschlicher Genitalien verlockte zahlreiche Künstler. Auf einem berühmten Aquarell von Paul Klee erblüht in einer Schnörkelvase eine orange-rote Vagina, betitelt als „Büchse der Pandora“. Fröhlich ignoriert schon ein anonymer Stich des 18. Jahrhunderts jegliche Prüderie: Da wachsen kopulierende Penisse wie Blattsprosse auf einer grünen Palme, die weiblichen Gegenstücke flattern mit roten Flügelchen herbei.
Von Wespennest-Vulva zu Venusfliegenfalle
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "»Paris ist meine Bibliothek«: Zeichnungen und Druckgraphik von Félicien Rops" – abgründig schillernde Fin-de-Siècle-Grafik über Sex, Satan und Sarkasmus in der Kunsthalle, Hamburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Hannah Höch – Abermillionen Anschauungen" im Bröhan Museum, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afterimages – Nachhall der Schwarzen Romantik in der Film- und Videokunst" – opulent inszenierte Themen-Schau in der Kunstsammlung Jena
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Gewächse der Seele: Pflanzenfantasien zwischen Symbolismus und Outsider Art" im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen.
Zuvor hat man noch allerlei blumig-böse Gefilde zu durchschreiten. Die Abgründe von Geschlechtskrankheiten wie der Syphilis, der Drogensucht – Baudelaire war erfahrener Opium-Konsument – und des Kitsches werden en passant angetippt. Doch zwischen Poesiealben-Bildchen, Fake-Antikgläsern und Jugendstil-Vasen zerfasert das Konzept leider in thematischen Verästelungen und verliert an Überzeugungskraft.
Phantasiegespinst-Labyrinth von Schulze
Eine Überraschung bietet jedoch eine Arbeit aus der Sammlung der Nationalgalerie, die 40 Jahre lang nicht ausgestellt war. Ins Universum der Bösen Blumen passt sie bestens: 1966 bastelte sich der abstrakte Informel-Maler Bernhard Schulze ein organisch wirkendes Labyrinth aus Pappmaché, nackten Schaufensterpuppen, fleischigen Wülsten, bemalten Möbeln und Drahtgespinsten.
Dieses bizarre Panoptikum setzt sich jeweils zur vollen Stunde leise surrend in Bewegung. Wie Grillspieße drehen sich die wild wuchernden Phantasiegespinste in allen Regenbogenfarben. Ist das noch schön? Wohl eher der Stoff, aus dem Albträume sind. Vielleicht hat der Künstler Baudelaires legendäre Verse nie gelesen – aber den beherzten Sprung ins Abgründige wagt er genauso wie dieser.