5. September 1972: Es ist der elfte Tag der Olympischen Sommerspiele in München. Die ganze Welt schaut auf die bayrische Landeshauptstadt. Auch das Sport-Reporter-Team des US-Fernsehsenders ABC berichtet live über die aktuellen Wettkämpfe: Schwimmen, Leichtathletik und Basketball läuft auf den Studio-Bildschirmen. Verheißungsvolle Euphorie liegt in der Luft, doch sie schlägt bald in Angst und Bestürzung um.
Info
September 5
Regie: Tim Fehlbaum,
95 Min., Deutschland/ Schweiz/ Großbritannien 2024;
mit: Peter Sarsgaard, John Magaro, Leonie Benesch, Ben Chaplin
Weitere Informationen zum Film
Terror erstmals live im Fernsehen
Das Attentat von München war ein düsterer Meilenstein der Medienschichte als erste Live-Übertragung eines Terroranschlags. Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum rekonstruiert die historische Tragödie in Form eines kammerspielartigen Psychothrillers. Sein Film schildert die Ereignisse aus Sicht der ABC-Sportjournalisten um den TV-Manager Roone Arledge (Peter Sarsgaard) und seinen ehrgeizigen Produzenten Geoff Mason (John Magaro). Das Duo entscheidet darüber, was den Zuschauern – und damit auch den Terroristen – gezeigt wird und was nicht.
Offizieller Filmtrailer
Bilder, die sich einprägten
Fehlbaum wirft in seinem Film einen Blick hinter die Kulissen der TV-Berichterstattung. Die Inszenierung ist dicht, die Anspannung enorm. Hastig bemühen sich die überforderten Sportreporter, mitunter widersprüchliche Informationen auszuwerten und Fakten zu verifizieren. Nur die junge Übersetzerin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch), die im provisorisch eingerichteten Mini-Studio der Amerikaner aushilft, versteht Deutsch und kann den Fernsehleuten die Radio-Nachrichten übersetzen.
Der Trumpf des ABC-Teams ist eine Kamera in unmittelbarer Nähe des Geschehens. Von ihr stammen die Bilder, die bis heute gezeigt werden, wenn an das Attentat erinnert wird: nervöse Terroristen mit Wollmasken über dem Gesicht, die immer wieder aus dem Fenster schauen, um die Lage zu prüfen. Auf der anderen Seite: einfache Polizisten in Trainingsanzügen, die sich mit Scharfschützen-Gewehren auf dem Dach gegenüber positionieren. Selbst auf Laien wirken sie unbeholfen, fast lächerlich.
Kein Anspruch auf Fehleranalyse
Ein ABC-Mitarbeiter schmuggelt die brisanten Aufnahmen am Sicherheitspersonal vorbei ins Studio. Die Produktion läuft ununterbrochen auf Hochtouren. Ihr Moderator Jim McKay führt derweil Interviews mit schockierten Sportlern und Vertretern des Olympischen Komitees. Die Funktionäre beharren zu diesem Zeitpunkt noch immer darauf, die Spiele so schnell wie möglich fortzusetzen. Dabei ist die Katastrophe längst abzusehen.
Fehlbaum geht es jedoch nicht um die Bloßstellung der deutschen Behörden oder um eine detaillierte Fehleranalyse des Geschehens. Beides haben mehrere Filmemacher vor ihm unternommen, allen voran Regisseur Kevin Macdonald in „Ein Tag im September“ („One Day in September“, 1999). Durch diesen Oscar-prämierten BBC-Dokumentarfilm wurde der 1982 in Basel geborene Fehlbaum überhaupt auf das Ereignis aufmerksam.
Wenig Raum für Reflexion
Mit einer Mischung aus fiktivem Drama und historischen Originalaufnahmen versucht Fehlbaum, trotz der chaotischen Ereignisse möglichst objektiv zu bleiben. In seinen SciFi-Thrillern „Hell“ (2011) und „Tides“ (2021) hat er zwei Mal dystopische Zukunfts-Szenarien ausgemalt. Nun stellt er in „September 5“ zwar die richtigen Fragen nach Verantwortung und Moral in den Medien – aber die lassen sich auch 50 Jahre nach dem Münchner Attentat nicht eindeutig beantworten. Und so greift sein ambitionierter Ansatz in den entscheidenden Momenten letztlich zu kurz.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Tides" – origineller SciFi-Thriller von Tim Fehlbaum
und hier eine Besprechung des Films "Zeit für Legenden - Race" – gelungener Sport-Historienfilm über Jesse Owen + die Olympiade 1936 in Berlin von Stephen Hopkins
und hier einen Beitrag über den Film "Der Fall Richard Jewell" – wahres Underdog-Drama über Wachmann im Umfeld der Olympischen Spiele von Clint Eastwood
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Mythos Olympia – Kult und Spiele in der Antike" im Martin-Gropius-Bau, Berlin.
Technik + Archivbilder von 1972
Keine Abstriche macht „September 5“ hingegen bei der Ausstattung. Der winzige, enge Kontrollraum beeindruckt mit seinen massiven Originalgeräten aus den 1970er Jahren, die mehr als Kulisse sind. Alles funktioniert, alles ist echt. Fehlbaum selbst hat in Interviews immer wieder betont, dass „September 5“ auch ein Film über Technologie sei.
Auch der weiterführende Gedanke ist interessant: Inwieweit hat sich mit den Produktionsbedingungen unsere Wahrnehmung von Nachrichten verändert? Heutzutage können alle mit Smartphones filmen und auf diese Weise news bites produzieren. Zugleich hat das Internet die Medienwelt in zweierlei Hinsicht radikal revolutioniert: Nachrichtenfluss und Interaktion. Was für wen sichtbar ist, wird in Echtzeit von Algorithmen gesteuert – zugleich kann jeder das Geschehen kommentieren und damit Aufmerksamkeits- und Erregungswellen verstärken.
Originalbilder bestimmen Erinnerung
Dagegen zeigt „September 5“ eindrücklich, dass es bis heute immer noch Originalaufnahmen sind, die am intensivsten in Erinnerung bleiben und die Deutung der Ereignisse bestimmen. Das macht die Stärke von Fehlbaums Film aus: Der Regisseur hat das Potential des Archivmaterials erkannt, setzt es an den richtigen Stellen ein und verhindert so, dass aus dem Desaster ein Spektakel wird.