Tim Fehlbaum

September 5

Jacques Lesgardes (Zinedine Soualem), Geoff Mason (John Magaro), Marianne Gebhard (Leonie Benesch) und Carter (Marcus Rutherford) im Kontrollraum. Foto: © Constantin Film Verleih GmbH
(Kinostart: 9.1.) Düsterer Meilenstein der Mediengeschichte: Den Anschlag auf das israelische Olympia-Team 1972 inszeniert Regisseur Tim Fehlbaum als Kammerspiel im TV-Studio. Ausstattung, Inszenierung und Montage sind ohne Fehl, aber wichtige Fragen verpuffen im Zigarettenrauch.

5. September 1972: Es ist der elfte Tag der Olympischen Sommerspiele in München. Die ganze Welt schaut auf die bayrische Landeshauptstadt. Auch das Sport-Reporter-Team des US-Fernsehsenders ABC berichtet live über die aktuellen Wettkämpfe: Schwimmen, Leichtathletik und Basketball läuft auf den Studio-Bildschirmen. Verheißungsvolle Euphorie liegt in der Luft, doch sie schlägt bald in Angst und Bestürzung um.

 

Info

 

September 5

 

Regie: Tim Fehlbaum,

95 Min., Deutschland/ Schweiz/ Großbritannien 2024;

mit: Peter Sarsgaard, John Magaro, Leonie Benesch, Ben Chaplin

 

Weitere Informationen zum Film

 

Im Olympischen Dorf sind in den frühen Morgenstunden Schüsse zu hören. Mitglieder der palästinensischen Untergrundorganisation „Schwarzer September“ haben sich Zugang zum Quartier der israelischen Sportler verschafft. Sie töten zwei Team-Mitglieder und nehmen neun weitere als Geiseln. Kaum 24 Stunden später sind insgesamt 17 Menschen tot, darunter alle Gefangenen und ein deutscher Polizist.

 

Terror erstmals live im Fernsehen

 

Das Attentat von München war ein düsterer Meilenstein der Medienschichte als erste Live-Übertragung eines Terroranschlags. Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum rekonstruiert die historische Tragödie in Form eines kammerspielartigen Psychothrillers. Sein Film schildert die Ereignisse aus Sicht der ABC-Sportjournalisten um den TV-Manager Roone Arledge (Peter Sarsgaard) und seinen ehrgeizigen Produzenten Geoff Mason (John Magaro). Das Duo entscheidet darüber, was den Zuschauern – und damit auch den Terroristen – gezeigt wird und was nicht.

Offizieller Filmtrailer


 

Bilder, die sich einprägten

 

Fehlbaum wirft in seinem Film einen Blick hinter die Kulissen der TV-Berichterstattung. Die Inszenierung ist dicht, die Anspannung enorm. Hastig bemühen sich die überforderten Sportreporter, mitunter widersprüchliche Informationen auszuwerten und Fakten zu verifizieren. Nur die junge Übersetzerin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch), die im provisorisch eingerichteten Mini-Studio der Amerikaner aushilft, versteht Deutsch und kann den Fernsehleuten die Radio-Nachrichten übersetzen.

 

Der Trumpf des ABC-Teams ist eine Kamera in unmittelbarer Nähe des Geschehens. Von ihr stammen die Bilder, die bis heute gezeigt werden, wenn an das Attentat erinnert wird: nervöse Terroristen mit Wollmasken über dem Gesicht, die immer wieder aus dem Fenster schauen, um die Lage zu prüfen. Auf der anderen Seite: einfache Polizisten in Trainingsanzügen, die sich mit Scharfschützen-Gewehren auf dem Dach gegenüber positionieren. Selbst auf Laien wirken sie unbeholfen, fast lächerlich.

 

Kein Anspruch auf Fehleranalyse

 

Ein ABC-Mitarbeiter schmuggelt die brisanten Aufnahmen am Sicherheitspersonal vorbei ins Studio. Die Produktion läuft ununterbrochen auf Hochtouren. Ihr Moderator Jim McKay führt derweil Interviews mit schockierten Sportlern und Vertretern des Olympischen Komitees. Die Funktionäre beharren zu diesem Zeitpunkt noch immer darauf, die Spiele so schnell wie möglich fortzusetzen. Dabei ist die Katastrophe längst abzusehen.

 

Fehlbaum geht es jedoch nicht um die Bloßstellung der deutschen Behörden oder um eine detaillierte Fehleranalyse des Geschehens. Beides haben mehrere Filmemacher vor ihm unternommen, allen voran Regisseur Kevin Macdonald in „Ein Tag im September“ („One Day in September“, 1999). Durch diesen Oscar-prämierten BBC-Dokumentarfilm wurde der 1982 in Basel geborene Fehlbaum überhaupt auf das Ereignis aufmerksam.

 

Wenig Raum für Reflexion

 

Mit einer Mischung aus fiktivem Drama und historischen Originalaufnahmen versucht Fehlbaum, trotz der chaotischen Ereignisse möglichst objektiv zu bleiben. In seinen SciFi-Thrillern „Hell“ (2011) und „Tides“ (2021) hat er zwei Mal dystopische Zukunfts-Szenarien ausgemalt. Nun stellt er in „September 5“ zwar die richtigen Fragen nach Verantwortung und Moral in den Medien – aber die lassen sich auch 50 Jahre nach dem Münchner Attentat nicht eindeutig beantworten. Und so greift sein ambitionierter Ansatz in den entscheidenden Momenten letztlich zu kurz.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Tides" – origineller SciFi-Thriller von Tim Fehlbaum

 

und hier eine Besprechung des Films "Zeit für Legenden - Race" – gelungener Sport-Historienfilm über Jesse Owen + die Olympiade 1936 in Berlin von Stephen Hopkins

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Fall Richard Jewell" – wahres Underdog-Drama über Wachmann im Umfeld der Olympischen Spiele von Clint Eastwood

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Mythos Olympia – Kult und Spiele in der Antike" im Martin-Gropius-Bau, Berlin.

 

Was tun, wenn eine Geisel vor laufender Kamera umgebracht wird? Probleme wie diese werden hier zwischen Tür und Angel bei ordentlich Zigarettenqualm diskutiert. Natürlich: Die Uhr tickt, Zeit für Reflexion bleibt da wenig. Dennoch hätte ein bisschen mehr Raum für Argumentation und Kontroverse unter den Protagonisten dem Drehbuch die bisweilen fehlende Substanz verliehen.

 

Technik + Archivbilder von 1972

 

Keine Abstriche macht „September 5“ hingegen bei der Ausstattung. Der winzige, enge Kontrollraum beeindruckt mit seinen massiven Originalgeräten aus den 1970er Jahren, die mehr als Kulisse sind. Alles funktioniert, alles ist echt. Fehlbaum selbst hat in Interviews immer wieder betont, dass „September 5“ auch ein Film über Technologie sei.  

 

Auch der weiterführende Gedanke ist interessant: Inwieweit hat sich mit den Produktionsbedingungen unsere Wahrnehmung von Nachrichten verändert? Heutzutage können alle mit Smartphones filmen und auf diese Weise news bites produzieren. Zugleich hat das Internet die Medienwelt in zweierlei Hinsicht radikal revolutioniert: Nachrichtenfluss und Interaktion. Was für wen sichtbar ist, wird in Echtzeit von Algorithmen gesteuert – zugleich kann jeder das Geschehen kommentieren und damit Aufmerksamkeits- und Erregungswellen verstärken.

 

Originalbilder bestimmen Erinnerung

 

Dagegen zeigt „September 5“ eindrücklich, dass es bis heute immer noch Originalaufnahmen sind, die am intensivsten in Erinnerung bleiben und die Deutung der Ereignisse bestimmen. Das macht die Stärke von Fehlbaums Film aus: Der Regisseur hat das Potential des Archivmaterials erkannt, setzt es an den richtigen Stellen ein und verhindert so, dass aus dem Desaster ein Spektakel wird.