Mo Harawe

The Village Next to Paradise

Mamargade (Axmen Cali Faarax) lebt mit seinem Sohn Cigaal (Ahmed Mohamoud Salleban) im somalischen Dorf Paradies. Foto: © FreibeuterFilm
(Kinostart: 30.1.) Wortkarge Lebenskünstler am Horn von Afrika: Regisseur Mo Harawe porträtiert einen Tagelöhner samt Sohn und seine Schwester in Somalia. Seine durchaus realistische Kleine-Leute-Chronik ist malerisch inszeniert, schleppt sich aber mit mäßig begabten Laiendarstellerin recht zäh dahin.

Einmal ist immer das erste Mal. Die letzten weißen Flecken auf der Kino-Weltkarte füllen sich: Dank Stipendiaten-Ausbildung, günstiger Technik und internationaler Filmförderung werden mittlerweile Autorenfilme auch in Weltgegenden gedreht, in denen keinerlei Filmindustrie existiert – etwa abgelegenen Kleinstaaten oder failed states. Mitunter schaffen sie es auf die große Bühne, wie in diesem Fall: „The Village Next to Paradise“ ist der erste somalische Spielfilm, der je beim Festival in Cannes gezeigt wurde. Zwar in der Nebenreihe „Un Certain Regard“, aber immerhin.

 

Info

 

The Village Next to Paradise

 

Regie: Mo Harawe,

133 Min., Somalia/ Frankreich/ Österreich/ Deutschland 2024;

mit: Axmen Cali Faarax, Canab Axmed Ibraahin, Ahmed Mohamoud Salleban

 

Weitere Informationen zum Film

 

Allerdings wirft das Langfilm-Debüt des somalisch-österreichischen Regisseurs Mo Harawe, der in Kassel studiert hat, eher die Frage auf, warum etlichen anderen Filmen aus Afrika nicht der Sprung zu prestigeträchtigen Festivals gelingt, die es eher verdient hätten. Denn „The Village Next to Paradise“ ist kein herausragendes Werk, auch nicht im Vergleich mit dem übrigen schwarzafrikanischen Kino.

 

Drohnen-Angriff als Computer-Simulation

 

Dass Harawes Erstling so viel Aufmerksamkeit erhält, dürfte eher am westlichen Somalia-Komplex liegen. Die erfolglose Intervention von US-Truppen 1992/3 fachte den dortigen Bürgerkrieg erst richtig an. Bis heute ist das Land am Horn von Afrika weder befriedet noch staatlich geeint. Daran erinnert der Filmanfang: mit britischen Fernseh-Nachrichten, die von der Liquidierung eines Anführers der islamistischen Al-Shabab-Milizen durch eine US-Drohne berichten. Als Computer-Simulation, denn reale TV-Bilder vom Geschehen gibt es nicht.

Offizieller Filmtrailer


 

Bagger macht Totengräber arbeitslos

 

Dieser distanzierten, halb fiktiven und ziemlich kenntnisfreien Sicht des Westens auf Somalia will Regisseur Harawe die Eigenperspektive der Einwohner entgegen setzen. Sobald das politisch werden soll, wirkt es arg konstruiert; etwa wenn ein Kleinbus in eine kontextlose Demo gegen fremde Fischfangflotten vor Somalias Küsten gerät oder plötzlich eine postkoloniale marching band um die Ecke biegt.

 

Plausibler erscheinen die Hauptfiguren mit ihren Sorgen. Der allein erziehende Vater Mamargade (Ahmed Ali Farah) schlägt sich und seinen kleinen Sohnes Cigaal (Ahmed Mohamud Saleban) mit Gelegenheitsarbeiten durch. Bislang oft als Totengräber, doch diese Einnahmequelle droht zu versiegen, seitdem eine Baufirma mit Baggern die Grabstellen schneller und billiger aushebt. Außerdem fährt Mamargade manchmal als Kurier einen voll bepackten Laster in die nächste größere Stadt. Solange unter Lebensmitteln nur Schnapsflaschen versteckt sind, geht alles gut. Als er jedoch heimlich Waffen transportiert, wird er verpfiffen und landet im Knast.

 

Der Inszenierung fehlt Schwung

 

Nun wäre Cigaal aufgeschmissen, gäbe es nicht Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim): Nach ihrer Scheidung ist Mamargades Schwester in dessen Einraum-Hütte eingezogen. Die Schneiderin möchte ihren eigenen Laden aufmachen, doch für einen Startkredit braucht sie einen männlichen Bürgen – und ihr mittelloser Bruder taugt nicht dafür. Nichtsdestoweniger hält die Familienbande: Da die Dorfschule geschlossen wurde, schickt Mamargade seinen Sohn ins städtische Internat. Als der Vater hinter Gittern verschwindet, kümmert sich fortan seine Schwester um ihren Neffen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Goodbye Julia" – brillantes Familiendrama über die Ursachen der Spaltung des Sudan von Mohamed Kordofani

 

und hier eine Besprechung des Films "Global Family" – Doku-Drama über eine somalische Familie von Melanie Andernach + Andreas Köhler

 

und hier einen Beitrag über den Film "Lingui"  – eindrucksvolles Mutter-Tochter-Drama im Tschad über illegale Abtreibung von Mahamat-Saleh Haroun

 

und hier einen Bericht über den Film "Captain Phillips" – Dokudrama über Kidnapping durch Piraten in Somalia von Paul Greengrass mit Tom Hanks.

 

Mehr geschieht eigentlich nicht. Dennoch könnte diese Chronik der Hoffnungen und Nöte kleiner Leute durchaus fesseln, weil sie exemplarisch für den Erwartungshorizont und Aktionsradius der Menschen in weiten Teilen Afrikas steht. Doch dafür hätte Regisseur Harawe die Handlung mit mehr Schwung in Szene setzen müssen. Leider beschränkt er sich auf malerische Bildgestaltung und Beleuchtung, was das schleppende Tempo nicht ausgleicht. Es passiert einfach sehr wenig.

 

Dialoge in Zeitlupe + Mimik-Minimum

 

Was vor allem durch die Laienspielschar auffällt, die Harawe rekrutiert hat. Sämtliche Akteure lassen sich vor ihren jeweils nächsten Sätzen mehrere Anstandssekunden verstreichen und begleiten ihre Dialoge in Zeitlupe mit einem Minimum an Mimik – da möchte man als Zuschauer am liebsten den Gesprächsfaden aufnehmen und schneller abspulen, um die Sache endlich voranzubringen.

 

All das mag dem elegisch-resignativen Lebensgefühl der verarmten somalischen Landbevölkerung entsprechen. Es passt auch gut zum bizarren Setting aus Strandidylle rund um das Küstendorf namens „Paradise“ und unwirtlicher Wüstenei im Hinterland. Aber dieser Reigen aus Alltags-Impressionen ist letztlich zu spröde, um zweieinviertel Stunden lang zu fesseln.