Timothée Chalamet

Like A Complete Unknown

Bob Dylan (Timothée Chalamet) bei einem Auftritt. Foto: © 2024 Searchlight Pictures
(Kinostart: 27.2.) Bildnis des Literatur-Nobelpreisträgers als junger Mann: Regisseur James Mangold blickt auf die Anfänge von Bob Dylans Karriere. Das liebevoll ausgestattete und inszenierte Biopic bietet den perfekten Rahmen für Timothée Chalamet in der Hauptrolle – dem Nebenfiguren die Schau stehlen.

Bob Dylan bigger than life: Wohl keinem anderen Musiker wurden schon zu Lebzeiten so viele Filme gewidmet. Oft versuchten die Filmemacher, ebenso rätselhaft mit intellektuellem Anspruch vorzugehen. Ihre Werke gerieten entsprechend spröde und verkünstelt, etwa der Fan-Film „I’m Not There“ (2007) von Todd Haynes. Im Vergleich dazu wirkt das Biopic von Regisseur James Mangold grundsolide.

 

Info

 

Like A Complete Unknown

 

Regie: James Mangold,

141 Min., USA 2024;

mit: Timothée Chalamet, Elle Fanning, Edward Norton

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sein Titel, der dem Dylan-Song „Like A Rolling Stone“ entnommen ist, kreist um eine Leerstelle. Als Dylan (Timothée Chalamet) 1961 in New York eintrifft, ist er tatsächlich noch ein unbeschriebenes Blatt: A Complete Unknown. Kaum in der Stadt angekommen, verschafft sich er sich eine Audienz bei seinem Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy). Der liegt wegen seiner Alkoholsucht im Krankenhaus und ist fast unfähig zu sprechen.

 

Erst Aufwartung, dann Abschied
 

Dylan bringt ihm auf seiner Gitarre mit dem berühmten Schriftzug „This Machine Kills Fascists“ ein Ständchen; damit beeindruckt er auch den ebenfalls anwesenden Pete Seeger (Edward Norton). Guthrie und Seeger sind Zentralgestalten in der alten Garde der US-Folk-Musik; ihnen macht Dylan klug seine Aufwartung, um sie später hinter sich zu lassen.

Offizieller Filmtrailer


 

Bruch beim „Newport Folk Festival“
 

In New York lernt er auch die bereits erfolgreiche Kollegin Joan Baez (Monica Barbaro) und die Künstlerin Sylvie Russo (Elle Fanning) kennen. Beide sind seiner Karriere förderlich, zudem erweitert er mit ihnen seinen Erfahrungshorizont und gewinnt Vertrauen in seine Verführungskünste. Auch sie werden später von ihm enttäuscht. Bis dahin schildert der Film ohne übertriebene Heroisierung den Werdegang eines jungen Künstlers, der in New York nicht zuletzt vom Interpreten zum Komponisten wurde.

 

Regisseur Mangold hat bereits ein erfolgreiches Biopic über Johnny Cash („Walk the Line“, 2005) gedreht. In „Like A Complete Unknown“ konzentriert er sich auf Dylans fünf Jahre in der New Yorker Folk-Szene; mit seinem Bruch mit diesem Zirkel endet der Film. Beim „Newport Folk Festival“ 1965 spielt Dylan zum Entsetzen der Veranstalter mit einer elektrisch verstärkten Band. Dieser Abschied von der puritanischen Enge der Folk-Szene zugunsten einer Rock’n’Roll-Karriere ist zugleich der erste all der biografischen Hakenschläge, mit denen er Kritiker und Exegeten bis heute in Atem hält.

 

Joan Baez durchschaute Dylan
 

Natürlich steht und fällt der Film mit seinem Hauptdarsteller: Timothée Chalamet, das aktuelle Idealbild eines hübschen und harmlosen Jünglings, ist eine naheliegende Besetzung; er hat an Gitarre und beim Gesang seine Hausaufgaben gemacht. Seine Verwandlung vom Unbekannten zum enigmatischen Künstler überzeugt jedoch erst so richtig, nachdem dieser seinen eigenen Look gefunden hat: Koteletten, Sonnenbrille und kryptisches Murmeln.

 

Allerdings wird er von zwei Nebenfiguren in den Schatten gestellt: Monica Barbaro sieht Joan Baez zwar nicht besonders ähnlich und singt auch nicht genau wie sie. Aber sie verkörpert mit Haut und Haar und eigener, reiner Stimme eine bodenständige Ausstrahlung mit Talent und Leidenschaft. Baez durchschaut als Einzige Dylan, wenn der mal wieder seinen eigenen Mythos aufhübscht – und wird dadurch zur Sympathieträgerin des Films.

 

Gutmütiger Lehrer-Kommunist
 

Ein weiterer Schauspieler stiehlt den anderen Stars mit Vorliebe die Schau: Edward Norton verwandelt sich täuschend echt in Pete Seeger, den gutmütigen Kommunisten mit dem Habitus eines Grundschullehrers. Mit Guthrie, der die Klinik nicht mehr verlassen wird, verkörpert er die Gemeinschaft, die Dylan aufnahm und nährte, bis sie ihm zu eng wurde.

 

Im Übrigen hält sich die Erzählung meist minutiös an überlieferte Fakten, verkürzt oder vereinfacht aber stellenweise, damit der Erzählfluss nicht gebremst wird. Dennoch ist Platz für zahlreiche historische Nebenfiguren, etwa Dylans Manager Albert Grossman (Don Fogler) und Johnny Cash (Boyd Holbrock).

 

Kein Song länger als 45 Sekunden
 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Inside Llewyn Davis" – bittersüße Tragikomödie über einen erfolglosen Folk-Musiker Anfang der 1960er Jahre von Joël + Ethan Cohen

 

und hier eine Besprechung des Films "Jazz an einem Sommerabend (WA)" – brillante Doku über das Newport Jazz Festival 1958 von Bert Stern + Aram Avakian

 

und hier einen Beitrag über den Film "Frances Ha" – New Yorker Bohemien-Tragikomödie von Noah Baumbach mit Greta Gerwig

 

und hier einen Bericht über den Film "On The Road – Unterwegs" – Verfilmung von Jack Kerouacs Beatnik-Kultbuch durch Walter Salles.

 

Dabei wird der dialogreiche Film nie zu wortlastig: Dafür sorgt hervorragend ausgewählte Musik, die dankenswerterweise weit über Dylans Repertoire hinausreicht. Zudem ist die Ausstattung perfekt gelungen. So ersteht das längst verlorene Greenwich Village wieder auf; mit originalgetreu wirkenden Straßen, Cafés, Kellerclubs, Plattenläden und kleinen Wohnungen – das pralle Leben im Schatten der Kuba-Krise.

 

Ähnlich kleinteilig wurde das Ferien-Ressort von Newport nachgebaut, wo alljährlich die berühmten Folk- und Jazz-Festivals stattfanden. Nur stellenweise kann diese Sorgfalt mit dem Tempo des Films nicht Schritt halten. So werden die zahlreichen Musikstücke maximal 45 Sekunden lang angespielt, was eine gewisse Hektik verbreitet, aber wohl auch der Konzentrationsspanne der Hauptfigur entspricht.

 

Genie als Patchwork-Existenz
 

Alles in allem hat Mangold ein vielerzähltes Kapitel der Popgeschichte liebevoll in Szene gesetzt. Was den Mythos Dylan betrifft, betont er klugerweise, dass auch der Dichterfürst nur mit Wasser kochte. Zugleich wird deutlich, wie viel der Songwriter sich von anderen abgeschaut und angeeignet hat, um daraus seine auratische Erscheinung zu formen. Immer etwas schlauer als die anderen zu sein und ein paar Züge voraus zu denken, gehört zum Selbstverständnis einer narzisstischen Künstler-Persönlichkeit.