Mike Cheslik

Hundreds of Beavers

Jean Kayak (Ryland Brickson Cole Tews) im Biberkostüm . Foto: Lighthouse Entertainment
(Kinostart: 13.2.) Allein gegen Hunderte von Bibern: Regisseur Mike Cheslik belebt den Slapstick-Stummfilm wieder, indem er einen Trapper wider Willen durch den verschneiten US-Norden scheucht. Ein Popkultur-Experiment in Cartoon-Ästhetik voller Gags und Anspielungen – und ein großer Spaß.

Im Norden Amerikas, irgendwann im 19. Jahrhundert, wuchsen im Garten von Jean Kayak (Ryland Brickson Cole Tews), genannt „Apple Jack“, die köstlichsten Äpfel. Obendrein war der Apfelbauer in der Gegend für seinen Cider-Apfelschaumwein beliebt. Aber der Sabotageakt eines Bibers und die Unachtsamkeit des stets beschwipsten Apple Jack machten der tollen Zeit ein Ende: Haus und Garten brannten ab, und der Winter legte sich übers Land.

 

Info

 

Hundreds of Beavers

 

Regie: Mike Cheslik,

108 Min., USA 2022;

mit: Ryland Brickson Cole Tews, Olivia Graves, Doug Mancheski, Wes Tank

 

Weitere Informationen zum Film

 

All das wird zu Filmbeginn in Form eines Songs erzählt, illustriert von einer Mischung aus Realfilm (Jean) und Animationen (alle anderen Figuren). Als die eigentliche Handlung einsetzt, gräbt sich Jean gerade aus dem Schnee, der nun offenbar ewig herrscht. Einziger Vorposten der Zivilisation ist eine Handelsstation, in der ein mürrischer Pelzhändler (Doug Mancheski) Gebrauchs-Gegenstände gegen Tierfelle eintauscht.

 

Unter den Fittichen des alten Hasen

 

Obwohl mittellos und in der Wildnis unerfahren, muss sich Jean nun als Trapper verdingen. Seine Widersacher sind nun Hasen, Waschbären, Wölfe und natürlich Biber; dabei kassiert der Neuling zunächst eine Menge Denkzettel. Glücklicherweise nimmt ihn ein erfahrener Trapper (Wes Tank) unter seine Fittiche. Zwar segnet dieser Mentor bald das Zeitliche, doch Jean hat das Glück, die Landkarte zu erben, auf der der Alte seine Fallen eingezeichnet hat.

Offizieller Filmtrailer


 

Low-Budget-Look wie daheim gedreht

 

Nach allerhand Rückschlägen hat Jean endlich den Bogen raus, wie man Pelztiere fängt; seine Beute tauscht er beim immerfort Tabak spuckenden Fellhändler gegen Ausrüstung. Sein eigentliches Ziel bleibt jedoch unerreichbar: Für die Hand seiner Tochter (Olivia Graves) verlangt der Kaufmann nicht zehn oder zwanzig, sondern Hunderte von Biberfellen.

 

So viel zur Handlung des eigenwilligen Survival-Dramas von Regisseur Mike Chestik. Auf den ersten Blick dient sie nur als Anlass, um jede Menge visuelle Gags und Slapstick-Situationen aneinander zu reihen. Wobei der radikale Schwarzweiß-Look des Films recht gewöhnungsbedürftig ist: Diese Low-Budget-Produktion sieht so aus, als hätten Chestik und sein Team hinter dem eigenen Haus gedreht.

 

Eher „Goldrausch“ als „The Revenant“

 

Dabei wirken die tief verschneiten Schauplätze ziemlich weitläufig; tatsächlich entstanden die Außenaufnahmen in Wisconsin und Michigan. Die Schneemassen und ein paar Landschafts-Panoramen sind allerdings das einzig Naturalistische in diesem Film. Damit enden auch seine Gemeinsamkeiten mit „The Revenant – Der Rückkehrer“ (2015) von Alejandro G. Iñárritu, einem monumentalen, mit drei Oscars prämierten Trapper-Epos von existentieller Wucht.

 

Dagegen werden in „Hundreds of Beavers“ beispielsweise sämtliche Tiere vom Biber bis zum Pferd von Menschen in Cartoon-Kostümen dargestellt. Außerdem scheint das Werk in der Stummfilm-Ära entstanden zu sein: Der Zuschauer fühlt sich öfter an die Kapriolen von Buster Keaton oder an die eisige Landschaft von Charlie Chaplins „Goldrausch“ (1925) erinnert.

 

Symphonie des Stöhnens + Seufzens

 

Um all dem die Krone aufzusetzen, geben sich die CGI-Tricks unverblümt als solche zu erkennen: Sie sehen aus, als seien sie mit einem Zeichen-Tool auf dem Laptop-PC in die Schneelandschaft gemalt worden. Passend zur cartoonesken Stummfilm-Atmosphäre ist der Humor zunächst komplett körperlich und robust. Abgesehen vom einleitenden Song kommt auch die Handlung ohne Sprache und mit einem Minimum an Schrift aus.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Revenant – Der Rückkehrer" – brillantes Survival-Drama im winterlichen Wilden Westen von Alejandro González Iñárritu mit Leonardo DiCaprio, prämiert mit drei Oscars 2016.

 

und hier eine Besprechung des Films "Isle of Dogs – Ataris Reise" – hochklassiger Stopptrick-Animationsfilm über eine japanische Insel voller Hunde von Wes Anderson

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die feine Gesellschaft"Neo-Slapstick-Groteske um 1900 von Bruno Dumont mit Juliette Binoche

 

und hier einen Bericht über den Film "The Forbidden Room" – verspieltes Remake-Potpourri aus Fake-Stummfilmen von Guy Maddin.

 

Von den Schauspielern hört man zumeist nur universale Laute des Entsetzens oder des Erschreckens; vor allem Hauptdarsteller und Ko-Drehbuchautor Tews muss ausdauernd stöhnen, schreien und seufzen. Sein Leiden steht dem von Leonardo DiCaprio als Hauptfigur in „The Revenant“ in nichts nach. Immer wieder versinkt Jean im Schnee und muss sich mühsam aus ihm hervor graben, um in der Wildnis zu überleben. Umwelt und Physik erinnern dabei nur entfernt an die Realität.

 

Merkmale von Comics + Computerspielen

 

Auf jede Niederlage folgt aber stets eine Wiedergeburt. Zu den vielen Paten von Jeans Leidensgeschichte zählen etwa die Cartoon-Abenteuer von Figuren wie „Wile E. Coyote“ und dem „Road Runner“: Wie etliche Comic-Serien zehrt auch der Witz dieses Films von der Variation des Immergleichen. Die Story weist aber auch Merkmale der klassischen Heldenreise auf; ebenso die eines Computerspiels mit strukturell ähnlichen, aber immer schwieriger werdenden Missionen.

 

Auf Zwischentext-Tafeln wird dabei weitgehend verzichtet. Als sie auftauchen, haben sie nur ein Ziel: das Publikum zu manipulieren, damit es wie aus einer Kehle ruft: „Hundreds of Beavers!“ Wer all das mitmacht, wird durch ein Finale belohnt, das Gags und Anspielungen buchstäblich am laufenden Band abfeuert und dabei so temporeich voranprescht wie Indiana Jones, Jackie Chan oder eben Charlie Chaplin.

 

Fesselnde Action-Komödie mit Einfachst-Mitteln

 

Gleichzeitig ordnen sich plötzlich alle losen Handlungsstränge, irren Ideen und zuvor rätselhaften Episoden zu einem riesigen gespielten Scherz an. Chestik und Tews fahren alle Zutaten für ein zündendes popkulturelles Experiment auf, um vorzuführen: Mit genügend Phantasie lässt sich auch mit einfachsten Mitteln eine fesselnde Action-Komödie erzählen, die bei allem Unsinn nicht ohne Tiefgang ist. Am besten als Gruppe zu genießen!