
Hier kommt die Vollendung der Dienstleistungs-Gesellschaft: Man bezahlt eine andere Person dafür, eine bestimmte Rolle zu übernehmen – etwa den dankbaren Sohn, eine charmante Begleitung beim Konzert oder den Traumvater mit angesehenem Beruf. Das klingt weit hergeholt, ist es aber nicht. In Japan gibt es so genannte „Rent-a-Friend“-Agenturen seit etlichen Jahren; dort hat der östereichische Regisseur Bernhard Wenger für seinen Debütfilm recherchiert.
Info
Pfau – Bin ich echt?
Regie: Bernhard Wenger,
102 Min., Österreich/ Deutschland 2024;
mit: Albrecht Schuch, Julia Franz Richter, Anton Noori
Weitere Informationen zum Film
Hinter allen Rollen kein Ich
Als Inhaber der Agentur „My companion“ ist er sehr erfolgreich. Für die Erledigung seiner Aufträge geben die Kunden dem Miet-Gefährten, der mit gepflegtem Schnauzer und sanfter Stimme formvollendet auftritt, stets Bestnoten. Im eigenen Leben hat Matthias jedoch zwischen all seinen Rollen sein Ich längst verloren. Als unbeschriebenes Blatt verharrt er passiv auf der Couch in seiner sterilen Designer-Villa und reagiert nur auf die Erwartungen Anderer. Dabei wirkt er gar nicht sonderlich unglücklich, sondern eher wie ein Automat.
Offizieller Filmtrailer OmU
Was ist überhaupt echt?
Auch als seine langjährige Freundin Sophia (Julia Franz Richter) als Provokation eine große, schwarze Dogge auf dem Sofa füttert, empört das Matthias kaum. Nachdem sie ihn verlassen hat, scheint er sich erstmals traurig zu fühlen. Danach laufen seine akribisch vorbereiteten Aufträge zunehmend aus dem Ruder. Das echte Leben holt ihn allmählich ein.
Was ist überhaupt „echt“? Wurde die schöne Norwegerin, der Matthias mehrmals begegnet, engagiert, um ihn aufzumuntern? Ist seine couragierte Hilfe für ein älteres Paar, das in Bedrängnis gerät, eine Inszenierung, um vor seiner Ex-Freundin Sophia gut dazustehen? Sein Verständnis von Realität wird nicht nur für Matthias fragwürdig, sondern auch für den Zuschauer.
Vignetten-Reigen gleitet ins Absurde ab
Manchmal begibt er sich in einen Raum seiner Villa voller akkurat aufgereihten Akten und gestapelten Kisten. Was sich wohl darin befindet? Unterlagen von allen bislang erledigten Aufträgen? Man erfährt es nicht – und der Film ist klug genug, um nicht alles auszuformulieren.
Im Grunde ist diese so vielschichtige wie rabenschwarze Satire eine Folge von sorgfältig gestalteten Vignetten, die immer stärker ins Absurde abgleiten; Tragik und Humor halten sich perfekt die Waage. Dabei vollbringt Hauptdarsteller Albrecht Schuch das Kunststück, glaubwürdig jemanden zu verkörpern, der ständig in verschiedene Rollen schlüpft, ohne sich je mit einer zu identifizieren. Als sei sein Selbst permanent abwesend, eine Leerstelle. Man bekommt ihn einfach nicht zu fassen.
Wenn hinten ein Kinderkopf hüpft
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Veni Vidi Vici" – bitterböse Gesellschaftssatire über Superreiche von Daniel Hoesl + Julia Niemann
und hier eine Besprechung des Films "Rimini" – herrlich schwarzhumoriges Porträt eines abgetakelten Schlagersängers von Ulrich Seidl
und hier einen Bericht über den Film "15 Jahre" – gelungene Rache-Drama-Fortsetzung von Chris Kraus mit Albrecht Schuch
und hier einen Beitrag über den Film "Systemsprenger" – fesselndes Drama über ein schwer erziehbares Kind von Nora Fingscheidt, prämiert mit Silbernem Bären 2019, mit Albrecht Schuch.
So wird Matthias eine kathartische Entwicklung zugestanden, wobei er bei seiner Selbstsuche sehr komisch aus seinen Rollen fällt. Der Humor findet vor allem im Bild statt: Während der Dienstleister im Vordergrund an einer Haustür klingelt, hüpft hinter einer gestutzten Gartenhecke der Kopf eines Kindes, das auf einem Trampolin springt. Solche Momente gibt es einige.
Logisch nächster Schritt
Regisseur Wenger hat alle Einstellungen genau kadriert – sie sind genauso durchgestaltet wie Matthias’ Leben. Doch diese Überinszenierung wird zuweilen geschickt durchbrochen. Etwa durch eine Eisbären-Figur aus Plastik, die Matthias angeschafft hat, um seine Gäste zu beeindrucken; später wird sie jedoch als Kleiderständer oder als Sitzgelegenheit missbraucht.
Trotz solcher Kurzweil verweist diese Sittenkomödie auf ein zeitgenössisches Problem. In einer durchökonomisierten Gesellschaft werden uneigennützige soziale Beziehungen für diejenigen, die es sich leisten können, immer häufiger durch Dienstleistungen ersetzt: seien es Therapeuten, Coaches oder Escort-Ladys. Da erscheint das Mieten von Verwandten, Freunden und Bekannten nur als logisch nächster Schritt.